Fachkräftemangel und Langzeitarbeitslosigkeit in Thüringen

Lena Saniye Güngör

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion - Drucksache 7/203

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehe geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Zuhörende, ich begrüße die Themensetzung der FDP insofern, als dass die Beschäftigung mit dem Phänomen „Fachkräftemangel und Langezeitarbeitslosigkeit“ relevant ist, auch wenn ich glaube, dass die Aktualität des Themas nicht nur zur heutigen Aktuellen Stunde gegeben ist.

 

Um der Komplexität gerecht werden zu können, sollte man aber sich erst einmal mit den Begrifflichkeiten auseinandersetzen. Dieser Antrag – und davon gehe ich auch nach Ihrer Einführung aus –, spricht ja nur von dem Bereich der bezahlten Arbeit bzw. von ihrem Mangel, das heißt von Erwerbsarbeit bzw. Erwerbsarbeitslosigkeit. Das ist nicht nur eine sprachliche Feinheit, sondern man muss das mit Blick auf all die Arbeit, die jeden Tag unbezahlt geleistet wird, sichtbar machen: Die Frau, die ihre pflegebedürftigen Eltern versorgt, oder der Mann, der seine Kinder versorgt, die Person, die sich ehrenamtlich einsetzt, das alles sind erbrachte Arbeitsleistungen und der größte Teil der in Deutschland geleisteten Arbeit ist weiterhin unbezahlt.

 

Selbst bei der vergleichsweise vorsichtigen Bewertung des Statistischen Bundesamts beträgt der Wert der unbezahlten Arbeit etwa ein Drittel der im Bruttoinlandsprodukt ausgewiesenen Bruttowertschöpfung. Man kann doch nicht ständig in den vorhergegangenen Debatten über die Aufwertung von dieser Arbeit reden und sie dann doch nicht unter dem Punkt der Arbeit berücksichtigen. Wir reden also nicht wirklich von Arbeitslosigkeit, sondern nur vom Bereich der Erwerbsarbeitslosigkeit. Und im jährlichen Bericht zur Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt erfasste das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie für das Jahr 2019 eine Quote von 5,1 und damit liegt Thüringen wieder leicht über der 5-Prozent-Marke, aber auch deutlich unter der Quote der ostdeutschen Länder. Im Ranking aller Bundesländer liegt Thüringen an siebter Stelle. Im zahlenbasierten Vergleich sieht die Lage also nicht so schlecht aus. Letztlich muss man sich fragen, was Erwerbsarbeitslosigkeit eigentlich systematisch für eine Rolle spielt. Die aktuellen ökonomischen Machtverhältnisse brauchen Erwerbsarbeitslosigkeit insofern, um als sozialen Referenzwert auch Druck auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auszuüben. Denn wenn ich Angst vor dem Verlust von Erwerbsarbeit habe, dann nehme ich doch auch eher schlechte Arbeitsbedingungen und schlechte Löhne in Kauf, dann mache ich auch eher unbezahlte Überstunden. Erwerbsarbeitslosigkeit bedeutet aber gerade auch im Langzeitsektor zunächst eine massive existenzielle und psychische Belastung des Individuums. Umso wichtiger sind die Landesprogramme wie das Programm öffentlich geförderte Beschäftigung, die soziale Teilhabe ermöglichen. Denn diese soziale Teilhabe ist dann auch ein wichtiger Schritt, um dem Fachkräftemangel über die Reintegration in den Arbeitsmarkt entgegenzutreten.

Gute Erwerbsarbeit zu gestalten bedeutet aber, weiterhin auch für angemessene und gerechte Arbeitsbedingungen zu sorgen, das heißt Arbeit, für die Bürgerinnen und Bürger einen fairen Lohn erhalten, die ihre physische und psychische Gesundheit erhält und bei der sie mitbestimmen können. All das gehört zwingend dazu. Und ich finde es wichtig, dass diese Aspekte bedacht werden, wenn – das kommt ganz schnell in der Debatte – der berechtigte Ruf nach mehr Fachkräften laut wird. Damit sind wir auch bei der eingebrachten Frage, welcher Handlungsbedarf denn jetzt hier konkret besteht, wenn sie auch bisher nicht beantwortet werden konnte. Denn die Problematik der häufig schwierigen Anerkennung von Abschlüssen bei ausländischen Fachkräften steht hier nicht im Vordergrund, sondern die Logik, die hinter dieser grundsätzlich berechtigen Forderung steht. Denn ja, wir brauchen Einwanderung, um dem Fachkräftemangel entgegenzutreten, aber ja, auch diese Fachkräfte müssen fair entlohnt werden und gute Arbeitsbedingungen vorfinden.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Ich erinnere hier an die Figur des sogenannten Gastarbeiters als einer Praxis der strukturellen Ausbeutung. Diese Praxis von Erwerbsarbeitsverteilung nach Herkunft führt zu Ungerechtigkeit am Arbeitsmarkt und bietet damit auch wieder Potenzial für gesellschaftliche Spaltungsprozesse. Wenn wir also für gute Erwerbsarbeit streiten, dann heißt das gute Erwerbsarbeit für all diejenigen, die in ihrem Herkunftsort eine Ausbildung machen und genauso für diejenigen, die für eine Erwerbstätigkeit nach Deutschland, nach Thüringen gekommen sind. Das ist ein zwingendes Und kein Entweder-oder und nur dann ist Thüringen auch ein attraktiver Wirtschaftsstandort.

 

Deswegen setzen für uns für den Mindestlohn ein, für ein auskömmliches Ausbildungsgehalt und ja, deswegen wird auch weiterhin in arbeitsweltbezogene Maßnahmen der Weiterbildung und der Qualifizierung investiert, deswegen werden die Arbeitsmarktprogramme weitergeführt und ausgebaut und deswegen wird die Thüringer Agentur für Fachkräftegewinnung finanziell gefördert. Und deswegen macht es auch Sinn, dass nun Zuwanderungs- und Arbeitsmarktpolitik ministeriell zusammengeführt werden sollen.

 

Also lassen Sie uns gemeinsam sowohl für guten Zugang zur Erwerbsarbeit als auch gute Bedingungen in Erwerbsarbeit sorgen, denn das, liebe FDP, ist tatsächlich immer wieder aktuell. Vielen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dateien