Erstes Gesetz zur Änderung des Thüringer Nichtraucherschutzgesetzes

Zum Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 5/329 - Erste Beratung

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, die Betrachtung der Nichtraucherschutzgesetzgebung ist für mich nicht einfach. Zu sehr prallen die Erfahrungen meines Berufslebens und die grundsätzlichen Prinzipien, die sich aus 21 Jahren politischer Betätigung für mich ergeben, aufeinander. In den zwölf Jahren, die ich als Arzt arbeite, befasse ich mich notgedrungen regelmäßig mit den Folgen des Rauchens. Dementsprechend interessiert verfolge ich auch die Auswirkungen der Antirauchergesetzgebung in anderen europäischen Staaten. Diese Erfolge sind durchaus beeindruckend. Nachdem am 29. März 2004 in Irland das Nichtraucherschutzgesetz erlassen wurde, ging der Zigarettenverkauf binnen sechs Monaten um 16 Prozent zurück. Die Zahl der regelmäßigen Raucher nahm von 31 Prozent der Bevölkerung im Jahr 1998 auf zuletzt 24 Prozent der Bevölkerung ab. Auffallend ist, dass überwiegend jüngere Personen das Rauchen einschränken bzw. vollkommen einstellen. Zum Beispiel sank in Norwegen, um einmal ein anderes Land aufzuführen, der Anteil der 25- bis 34-jährigen Raucher von 29 Prozent im Jahr 2003 auf 24 Prozent im Jahr 2004.

Neben den Effekten für die Gesundheitserziehung lassen sich aber auch ganz greifbare medizinische Folgen erkennen. Die Ergebnisse einer prospektiven kontrollierten Studie mit nichtrauchenden Angestellten schottischer Bars dokumentieren einen Rückgang von Atembeschwerden um 26 Prozent nach nur einem Monat und 32,5 Prozent nach zwei Monaten Rauchverbot. In einer italienischen Region mit 4 Mio. Einwohnern gingen vier Monate nach dem Rauchverbot die stationären Aufnahmen wegen akuten Herzinfarkts bei unter 60-jährigen Patienten um 11 Prozent zurück, und zwar bereinigt um andere Einflüsse. Noch wesentlich eindrucksvoller, aber auch umfangreicher sind die Studien aus Schottland, die ich bei Interesse gern nachreichen kann. Prinzipiell gleichen sich die Ergebnisse in den Ländern mit einem absoluten Rauchverbot, egal wo man hinschaut. Gibt es ähnliche Effekte nach dem Nichtraucherschutzgesetz in Thüringen? Wohl kaum. Die kann es auch gar nicht geben. In den oben genannten Ländern wird das generelle Rauchverbot in geschlossenen öffentlichen Räumen von einer Vielzahl weiterer Maßnahmen flankiert und unterstützt, also ein gesellschaftliches Klima gegen den Tabakkonsum geschaffen. Ein generelles Rauchverbot würde in Deutschland durch die Realität ad absurdum geführt. Einige Beispiele: Die Bundesrepublik verweigerte zunächst das Werbeverbot in Zeitschriften für Tabakwaren und hat sogar dagegen geklagt und verloren. Zigarettenautomaten bleiben auch im Umfeld von Schulen unangetastet. Während man Tabak an jeder Ecke erhält, muss man Nikotinpflaster und Kaugummi zur Entwöhnung praktisch in der Apotheke besorgen. Mittlerweile darf man aus dem Ausland nicht mehr eine Stange Zigaretten einführen, sondern vier Stangen pro Person. Ergebnisse wie in Schottland, Irland oder in Italien bedürfen des klaren Bekenntnisses des Gesetzgebers gegen den Tabakkonsum

(Beifall DIE LINKE)

und als zweiten Schritt dann ein generelles Rauchverbot in geschlossenen öffentlichen Räumen. Dieses Bekenntnis ist für mich aber nicht erkennbar. Aus fachlicher Sicht halte ich das vorliegende Gesetz schlicht für inkonsequent, untauglich und damit auch nicht weitgehend genug.

(Beifall DIE LINKE)

Damit gebe ich auch die Mehrheit meiner Fraktion wieder und, wenn man den Umfragen glauben darf, auch die Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung, wo die Zustimmung zu einem kompletten Rauchverbot in öffentlichen Räumen zwischen 60 und 80 Prozent liegt, europaweit gerechnet, sogar zwischen 80 und 90 Prozent.

Nichtsdestotrotz möchte ich aus ganz persönlicher Sicht meine Meinung zu diesem Gesetz auch nicht verhehlen. Ich persönlich habe ein prinzipielles Problem, wenn in die Freiheitsrechte einer Minderheit zugunsten einer Mehrheit eingegriffen wird.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Jetzt laufen aber zwei Züge aufeinander zu.)

Sollte ein Staat seine Bürger per Gesetz zu einem gesünderen Leben zwingen, sollte er dafür in die selbstbestimmte Lebensführung eingreifen? Aus meiner persönlichen Sicht - nein. Denn wohin führt uns das? Akzeptieren wir eine Antirauchergesetzgebung, gibt es keine vernünftige Begründung mehr, andere gesundheitliche Risiken nicht per Gesetz einzuschränken. Dann muss konsequenterweise der Zigarette zum Bier das Bier selber folgen. In einiger Zeit gibt es in der Kantine keinen Kuchen mehr, weil dieser mich, einen willensschwachen Übergewichtigen, in unzumutbarer Weise in Versuchung führt und damit meine Gesundheit gefährdet.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Jetzt fahren aber zwei Züge aufeinander.)

Es steht außer Zweifel, dass die gesetzliche Bekämpfung des Übergewichts doch wesentlich größere Effekte erzielen würde als eine Nichtrauchergesetzgebung. Selbstverständlich, um mal wieder zum Ernst zurückzukommen, müssen Nichtraucher in Situationen geschützt werden, denen sie selber nicht ausweichen können.

Selbstverständlich müssen Nichtraucher in Situationen geschützt werden, denen sie nicht ohne Weiteres ausweichen können, natürlich am Arbeitsplatz, natürlich in Behördenräumen, in Bussen und Bahnen, um nur einiges aufzuzählen. Völlig unstrittig ist es, dass Minderjährige eines besonderen Schutzes bedürfen. Aber in der Freizeit ist der mündige Bürger immer noch selbst in der Lage und auch in der Pflicht, sich zu entscheiden, ob er raucht oder nicht raucht, ob er in eine verräucherte Kneipe geht oder in eine Kneipe, in der nicht geraucht wird. Diese Entscheidung sollte nicht der Gesetzgeber für den Bürger treffen.

Als Letztes möchte ich aber - und dann komme ich zum Ende - einer gewissen Enttäuschung Ausdruck verleihen. Die alte Regierung war dafür bekannt, Gesetze nach Belieben zu verfassen und sich dann vom Verfassungsgericht aufschreiben zu lassen, wie man es richtig macht. Die neue Regierung hat daran nahtlos angeknüpft und lediglich die Mindestvorgaben des Gerichts in Gesetzesform gefasst. Eine Auseinandersetzung mit den Ergebnissen in anderen europäischen Ländern - ganz unabhängig von meiner persönlichen Meinung - hätte hier zwingend zu einem anderen Ergebnis führen müssen. Wie dem auch sei, beide Argumentationslinien, die fachliche wie die politische, bringen mich im Hinblick auf das vorgelegte Gesetz zur selben Einschätzung. Es ist ein ineffektives Alibigesetz, dessen Einschränkung der Freiheitsrechte in keinem Verhältnis zum zu erwartenden Nutzen stehen. Ich freue mich auf die Diskussion im Sozialausschuss. Meine Entscheidung im Zweifelsfall ist klar, im Zweifel für die Freiheit und das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Frau Abgeordnete Schubert, Sie können jetzt Ihre Frage stellen.

Abgeordnete Schubert, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Herr Hartung, stimmen Sie mir zu, dass es einen Unterschied gibt, wenn Sie über die Einschränkung der Freiheitsrechte reden, ob mein Gegenüber ein Bier trinkt und ein Stück Kuchen isst oder mir Zigarettenrauch ins Gesicht bläst?

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abgeordneter Dr. Hartung, DIE LINKE:

Selbstverständlich ist da ein Unterschied. Ich habe auch nicht das auf eine Stufe stellen wollen, sondern ich habe lediglich darauf hingewiesen, wohin eine konsequente Gesetzgebung zum Schutz der Bürger vor gesundheitlichen Risiken führen kann.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter Hartung, gestatten Sie eine weitere Frage und der Abgeordnete Höhn steht auch am Mikro und möchte offensichtlich auch eine Frage stellen. Gestatten Sie beide? Dann erst Frau Abgeordnete Schubert und dann Herr Abgeordneter Höhn.

(Zwischenruf Abg. Schubert, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das war ein Kommunikationsfehler.)

Dann würde ich gern die Frage des Abgeordneten Höhn aufrufen.

Abgeordneter Höhn, SPD:

Danke, Frau Präsidentin, danke, Herr Kollege. Zunächst erst einmal Respekt für Ihre durchaus differenzierte Betrachtungsweise, aber das Beispiel mit dem Kuchenbüfett lässt mir dann doch keine Ruhe. Vielleicht könnten Sie dem Plenum noch einmal erläutern, worin denn nun die Gefährdung, wenn ich dieser Versuchung nicht widerstehe, vor diesem Kuchenbüfett, für andere dabei besteht.

Abgeordneter Dr. Hartung, DIE LINKE:

Es ist etwas Ähnliches. Ich warne davor, dass man glaubt, mit einer gesetzlichen Regelung zur Unterstützung der gesunden Lebensweise tatsächlich einen Effekt zu erzielen, der dann davor bewahrt, das auf andere Risiken auch zu übertragen. Es geht einfach um die Frage, wohin kann es führen?

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Dann sind wir aber im Bereich der Psychologie.)

Schauen wir mal, warten wir noch zehn Jahre.

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