Energiearmut entgegenwirken – Notfallfonds für Thüringen

Markus Gleichmann

Zum Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 7/6300

 

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren am Livestream und verbliebene Besucherinnen und Besucher, es ist mal wieder eine spannende Debatte, so wie die Debatten zur Energiepolitik immer spannend waren. Wie immer wird alles wild durcheinandergemischt und jeder versucht, seine Botschaften nach außen zu senden, die zumeist mit dem eigentlichen Antrag gar nichts zu tun haben, und wie immer sticht die AfD da heraus, indem sie zum einen nicht zum Antrag redet und zum anderen mit ihrem latenten völkischen Nationalismus versucht, eine Debatte hier auszunutzen.

 

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

An dieser Stelle muss man sagen, wir als Linke – und ich habe sehr viel Respekt vor Menschen, die aktuell aufgrund der schwierigen Umstände auf die Straße gehen, nur denen muss man auch deutlich sagen, dass brauner Protest keine Solidarität ist.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Wenn man ansonsten – da kommen wir zum Thema der verschiedenen Tagesordnungspunkte, die wir gerade beraten – die Forderungen der CDU in ihrem Antrag unter Anstrich I sieht, dann muss ich mich als Linker doch teilweise wundern. Und ich wollte es schon sehr positiv interpretieren, bevor ich die Einbringung von Herrn Henkel hier gehört habe, denn eigentlich könnte man allem, was dort steht, zustimmen. Aus unserer Sicht steht das sogar in unseren Bundestagswahlprogrammen von 2017 und 2021. Auch in verschiedenen Anträgen unserer Bundestagsfraktion haben wir kostengünstige Kontingente gefordert, wir haben einen Energiepreisdeckel gefordert usw., und auch schon 2017 in einer Initiative unserer EU-Fraktion haben wir das gefordert. Insofern kam vorgestern, glaube ich, auch mal der Einwurf, dass es ja keine Parteien gab, die sich auf EU-Ebene gegen das Merit-Order-System gewehrt haben. Das ist insofern auch falsch.

 

Richtig ist im CDU-Antrag die Forderung der Diversifizierung der Energiequellen und die Garantie der energetischen Daseinsvorsorge. Das können wir nur sehr unterstützen. Leider – und da sind wir bei der Einbringungsrede von Herrn Henkel und auch der Rede von Herrn Kemmerich – wird mit Technologieoffenheit meistens nicht das offen genannt, was man eigentlich meint, denn Sie meinen nämlich immer das Gegenteil von Technologieoffenheit. Sie meinen nicht Power-to-Gas. Sie meinen nicht intelligente regionale Netze. Sie meinen auch nicht regional vernetzte Speichereinheiten und Sie meinen auch nicht moderne Wärmekaskadennutzung in der Industrie. Sondern Sie wollen eigentlich nur zurück zur Stromversorgung der Vergangenheit und damit erneut großer Abhängigkeit und diese große Abhängigkeit erreichen wir eben auch durch Atomkraft. Und wenn man sich einfach die Entwicklung im Sommer dieses Jahres anschaut, dann kann man bei jeder Kartendarstellung sehen, dass der Strompreis in Frankreich dieses Jahr im Sommer besonders hoch ist. Das liegt eben daran, dass viele der Atomkraftwerke gar nicht mehr eingesetzt werden. Wenn wir schon mal bei dem Thema sind, müssen sich alle, die sagen, dass Atomkraft eine Zukunftstechnologie sein könnte, auch fragen, woher denn die Brennstäbe und woher das Uran bzw. das Material kommen sollen. Es kommt zum einen zu großen Teilen auch aus Russland, muss man dazu sagen. Und wenn man so einen Brennstab jetzt bestellen würde, hätte man eine Lieferzeit von mindestens eineinhalb Jahren. Also das ist auch keine Antwort auf die …

 

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, Gruppe der FDP: Halbes Jahr!)

 

(Zwischenruf Abg. Müller, DIE LINKE: 18 Monate hat es gedauert!)

 

Na ja, vielleicht haben Sie andere Quellen.

 

Und, Herr Thrum, Sie hatten es vorhin so gesagt – und das fand ich insofern bemerkenswert –, Sie hatten gesagt, dass es in der Ukraine im März dieses Jahres einen großen Knall gab. Aber wenn man das richtig betrachtet, gab es diesen großen Knall 1986, nämlich als das Atomkraftwerk Tschernobyl hochgegangen ist. Und unter den Folgen leidet die Region und leiden die Menschen noch heute.

 

Viel länger will ich mich auch gar nicht aufhalten bei den Dingen, die vonseiten der AfD noch genannt wurden, denn sie sind es wirklich nicht wert, sich damit auseinanderzusetzen. Vielleicht noch ein Hinweis. Wenn man den Menschen suggeriert, dass es jetzt damit getan wäre, quasi Nord Stream 2 wieder zu eröffnen oder die Sanktionen zurückzufahren, dann will man entweder die Leute für blöd erklären, man irrt oder man ist total naiv. Welches Interesse hätte denn die russische Wirtschaft, welches Interesse hätte denn Russland aktuell, wieder Gas zu liefern? Wenn man sieht, dass die Importquote aus Russland sogar gestiegen ist nach Deutschland – 33 Prozent ist sie gestiegen im Wertumfang. Es sind zwar 27 Prozent weniger Güter transportiert worden und verkauft worden, aber die Summe an sich, die Russland bekommt, ist um 33 Prozent gestiegen. Das liegt eben daran, dass Erdöl, das Kohle usw. deutlich teurer geworden ist und dementsprechend aktuell mehr Gewinne bringt für russische Unternehmen und auch für Staatsunternehmen, als das zu dem Zeitpunkt war, als Erdgas geliefert wurde. Insofern macht das für die gar keinen Sinn, Erdgas wieder zu liefern. Das zeigen sie ja auch, denn es gibt genügend Pipelines und man braucht Nord Stream 2 nicht. Sie könnten von heute auf morgen wieder Gas liefern und das tun sie nicht, weil sie es nicht wollen.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Regional, dezentral, regenerativ, in Bürgerhand und bezahlbar, das ist die Basis unserer Energiepolitik. Und leider sind wir da – und da sind wir bei den Handlungsmöglichkeiten im Land, die der CDU-Antrag bespricht – ja in den letzten Jahren von einer Konstellation von AfD, CDU und FDP in Thüringen durchweg behindert worden. Ich erinnere da auch an gemeinsame Auftritte der genannten Parteien bei radikalen Antiwindkraft-Bürgerinitiativen,

 

(Zwischenrufe aus der Fraktion der CDU: Was?)

 

zum Beispiel in der Nähe von Hermsdorf. Und jetzt haben wir die Misere. Aber auch hier scheint es ja zumindest bundespolitisch bei der CDU/CSU ein Umdenken zu geben. Wie wir vor Kurzem lesen konnten, hat der bayerische Ministerpräsident Söder ein Windkraftprogramm angekündigt, welches vor allem im Wald Windkraft forcieren soll. Also vielleicht orientieren Sie sich auch mal am Nachbarbundesland in dem Falle.

Warum ist das in der aktuellen Situation so wichtig? Die Antwort darauf bekommt man, wenn man sich wirklich die Mühe macht und mit den kleinen und mittelständischen Unternehmen spricht und an den Veranstaltungen ihrer Netzwerke teilnimmt. Die Unternehmen machen sich Gedanken um die Zukunft und entwickeln Konzepte, um mittelfristig ihre Stromversorgung sichern, zu guten Preisen sichern zu können. Die Dekarbonisierung findet statt, sie überfordert jedoch zum Teil die vorhandenen Strukturen. Das hat folgende Gründe: zum einen den Grund der Bürokratie, extrem lange Genehmigungsprozesse, die eben auch aus den Verweigerungshaltungen der letzten Jahre und der letzten Bundesregierung noch resultieren, und auch fehlendes Kapital, um gleichzeitig zur Energiekrise jetzt die nötige Transformation hinzubekommen – und wir müssen feststellen, dass wir bei allem hätten schon viel weiter sein können –, die Verhinderungshaltung im Bund – wer hat denn die Solarbranche nach China geschickt, das waren die FDP und die CDU – und auch die Opposition im Thüringer Parlament haben uns zurückgeworfen. Insofern freue ich mich, dass die CDU Kompetenzstreitigkeiten und Ressorteitelkeiten zurückstellen möchte. Ich nehme zwar an, dabei reflektieren Sie eher die Regierungspolitik, aber vielleicht reflektieren Sie auch mal die Politik Ihrer Fraktion und Ihrer Funktionsträger in den Kommunen.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Denn wer heute noch Stimmung gegen die Energiewende macht, vergeht sich an der Zukunft der mittelständischen Unternehmen und damit an dem Rückgrat unserer Wirtschaft. Das schwächt unsere Region und damit auch den Wohlstand der Menschen und das müssen wir jetzt und hier beenden.

 

An dieser Stelle möchte ich die vielen Menschen grüßen, welche heute unter dem Dach von „Fridays for Future“ auf die Straße gehen. Das Motto könnte zur aktuellen Zeit nicht wichtiger sein: „#PeopleNotProfit“.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Dann erzählen die genauso einen Unsinn wie Sie, weil sie nichts gelernt haben, weil sie nur Spinner in den Reihen haben!)

 

(Beifall AfD)

 

(Unruhe DIE LINKE)

 

Na ja, vielleicht reflektieren Sie sich selbst jetzt, aber man muss natürlich die Dramatik auch mal deutlich machen: Dieser Krieg und diese aktuelle Energiepolitik, die jetzt gemacht werden muss, um kurzfristig die Menschen zu entlasten, belastet das Klima, die belastet die Zukunft der jungen Menschen, die die Auswirkungen noch stärker zu spüren bekommen werden als viele von Ihnen und auch als meine Generation. Wir können uns eigentlichen diesen Krieg und diese Energieveränderung gerade gar nicht leisten.

 

(Zwischenruf Abg. Thrum, AfD: Warum liefern Sie dann schwere Panzer?)

 

Wir müssten eigentlich gemeinsam an der Energiewende arbeiten, damit wir die so schnell wie möglich realisieren können, um eben die Zukunft für unsere Kinder und Enkel sicherzustellen.

 

Die notwendige Abschöpfung der Übergewinne bei den Energie- und Mineralölkonzernen muss jetzt kurzfristig zu einem Unterstützungsprogramm für Menschen und Unternehmen werden. Den Vorschlag der CDU eines – wie auch immer – genau strukturierten Schutzschirmes des Landes können wir unterstützen, auch wenn klar sein muss, dass das quantitativ natürlich nur für die Abfederung der extremen Härten, auch im Bereich der kleinen und mittelständischen Unternehmen, geschehen kann.

 

Das Bekenntnis zum Mittelstand, wie es zum Beispiel der Geschäftsführer von Kahla Porzellan in dieser Woche gefordert hat, muss sich nun kurzfristig manifestieren, da gebe ich Ihnen recht, aber ohne die Dekarbonisierung aus den Augen zu verlieren. Auch die Unternehmen haben eine Verantwortung und ich weiß aus vielen Gesprächen, dass viele dieser auch gerecht werden wollen. Die energieintensive Produktion wie Porzellan, aber auch das einfache Brötchen vom Bäcker nebenan muss weiterhin in Thüringen produzierbar sein, ohne die Betriebe damit in die Insolvenz zu treiben. Gerade die eben von mir Genannten können die gestiegenen Energiekosten nicht auf die Verbraucher umlegen. Der Traditionsbäcker Laudenbach aus Gera rechnet deswegen richtigerweise vor, dass der sich aus dem aktuellen Energiepreis ergebende Endpreis für ein Brötchen von 80 Cent sich auf dem Markt nicht umsetzen ließe. Wir brauchen also kurzfristige Änderungen. Wir brauchen ein kurzfristiges Hilfsprogramm für die Wirtschaft und auch für die Menschen, und genau darüber reden wir gerade in diesem Tagesordnungspunkt. Wir brauchen einen Deckel der Preise – der Energiepreise, der Gaspreise – aus Berlin und wir brauchen das Ende von Merit-Order aus Brüssel.

 

Gleichzeitig – und das ist der zweite Punkt, den ich hier noch mal ansprechen möchte – brauchen wir ein Transformationsprogramm in einer ansprechenden Größenordnung, auch um gegenüber anderen Regionen nicht zurückzufallen. Bayern legt gerade einen Fonds von 1 Milliarde Euro für die Transformation der Wirtschaft auf, das kleine Saarland – man höre und staune – hat 3 Milliarden Euro in Planung. Wir müssen uns zu den Möglichkeiten von Thüringen intensiv im Gespräch aufeinander zubewegen, auch hinsichtlich des Landeshaushalts 2023, um die schwierige Lage aktuell, aber eben auch die Transformation in die Zukunft besprechen zu können. Die Menschen und die Unternehmen wollen Antworten, sie gehen teilweise – wie gesagt – zu Recht auf die Straße. Lassen Sie uns in diesem Moment zeigen, dass wir alle gemeinsam, also der demokratische Teil dieses Hauses, handlungsfähig sind. Vielen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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