Duale Ausbildung stärken, Unternehmertum fördern!

Zum Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 6/4160

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe zwei Besucher, liebe Zuhörerinnen am Livestream, werte Kolleginnen! Wer heute in Thüringen eine Ausbildung anfangen will und sich erst jetzt im November entscheidet, hat dennoch immer noch eine riesige Auswahl an beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten.


Kauffrau für Verkehrsservice, Gebäudereinigerin, Elektronikerin für Betriebstechnik, Elektronikerin für Energie- und Gebäudetechnik, Elektronikerin für Informations- und Telekommunikationstechnik, Maler und Lackiererin, Trockenbaumonteurin, Kauffrau im Einzelhandel, Kauffrau für Büromanagement, Kauffrau für Dialogmarketing, Kauffrau für Groß- und Außenhandel, Kauffrau für Versicherung und Finanzen, Industriekauffrau, Sport- und Fitnesskauffrau, Köchin, Hotelfachkraft, Hörakustikerin, Metallbauerin, Restaurantfachkraft, Fachkraft für Systemgastronomie, Berufskraftfahrerin, Alltagsbegleiterin, Technische Zeichnerin, Veranstaltungstechnikerin, Friseurin, Fachkraft für Lagerlogistik, Anlagenmechanikerin für Sanitär, Heizung und Klimatechnik, Fachkraft für Lederbearbeitung, Fachkraft für Schutz und Sicherheit, Tierwirtin, Werkzeugmechanikerin – dies alles sind Berufe, in denen allein im Raum Erfurt jetzt noch Ausbildungsplätze frei sind, also wo junge Menschen ab morgen anfangen könnten. Denn wie bereits 2015 und 2016 sind auch in diesem Jahr im Herbst noch rund 6.000 Ausbildungsplätze in ganz Thüringen unbesetzt. In vielen Branchen gibt es durch diese Entwicklung bereits einen erheblichen Mangel an beruflichen Nachwuchskräften.


Und ja, ein Ergebnis dieser Situation ist es, dass die Neigung von Betrieben, auszubilden, weiter zurückgeht. Das ist ein ernstes Problem, denn an dieser Stelle ist die Zukunft des dualen Ausbildungssystems direkt betroffen. Insofern ist das Thema, das die CDU mit ihrem Antrag hier anspricht, durchaus wichtig und aktuell. Dennoch halten wir als Linksfraktion den Antrag der CDU für nicht weitgehend genug, denn er bezieht sich vor allem auf die Berufsorientierung an Gymnasien. Dies ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass immer mehr junge Menschen einen Studienplatz einer dualen Berufsausbildung vorziehen. Unserer Ansicht nach liegt das jedoch nicht allein an mangelnden Informationen über die Möglichkeiten einer dualen Ausbildung, denn junge Menschen haben nämlich durchaus gute Gründe, wenn sie sich für ein Studium entscheiden. So sind zum Beispiel immer noch Menschen mit einer akademischen Ausbildung seltener von Arbeitslosigkeit betroffen als Menschen mit einem Abschluss einer dualen Berufsausbildung. Außerdem erscheint vielen jungen Menschen die Studienzeit attraktiver als Ausbildungsjahre, denn viele Auszubildende sehen sich unverändert mit großen Belastungen konfrontiert. Natürlich spricht sich das rum, denn auch junge Menschen reden mit ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis darüber, über ihre Arbeitsbedingungen, über Überstunden, fachlich ungenügende Anleitung, eine unterdurchschnittliche Ausbildungsvergütung oder schlicht und einfach das Gefühl, als billige Arbeitskraft ausgenutzt zu werden. Die duale Berufsausbildung gewinnt erst an Attraktivität, wenn es selbstverständlich ist, dass gute tarifliche Vergütung gezahlt wird und betriebliche Mitbestimmung durch Betriebsräte und Jugend- und Auszubildendenvertretungen gewährleistet wird. Das spricht junge Menschen an. Nur so können Ausbildungsstellen auch besetzt werden. Dies bestätigt auch immer wieder der jährliche Ausbildungsreport der DGB-Jugend. Der ist für dieses Jahr 2017 bereits erschienen. So wird darin zum Beispiel jedes Jahr aufs Neue festgestellt, dass Auszubildende in Betrieben mit betrieblicher Mitbestimmung viel zufriedener mit ihre Ausbildung sind.


Gelingt es uns also nicht, die Berufsausbildung massiv qualitativ zu verbessern, die Tarifbindung der Thüringer Betriebe signifikant zu erhöhen und Mitbestimmung weiter flächendeckend zu verankern, so nützt uns auch die schönste Imagekampagne nichts.

Letztendlich aber muss es auch wirksame Kontrollen zur Überwachung der Ausbildungsqualität geben. Verstöße und Nichteinhaltung gesetzlicher Regelungen und Verordnungen sind nämlich keine Kavaliersdelikte. Es ist Aufgabe der Kammern, dafür Sorge zu tragen, dass vor Ort die festgelegten Standards auch eingehalten werden. Doch gerade hier offenbart sich ein zentrales Problem. Auf der einen Seite sind sie für die Kontrolle der Ausbildung zuständig, auf der anderen Seite sind sie ein arbeitgeberfinanzierter Interessenverband. Diese Doppelstruktur führt häufig dazu, dass der Kontrolle der Ausbildung nur unzureichend nachgekommen wird, und wenn Missstände aufgedeckt werden, dann folgen darauf meist keine wirklichen Sanktionen. Hier legt der Fehler im System. Die Kammern sind gezwungen, ihre zahlenden Mitglieder zu sanktionieren. Das kann nicht funktionieren. Unabhängige Kontrollinstanzen könnten da ein Ausweg sein.


Auszubildende brauchen eine Beschwerdestelle, der sie auch vertrauen. Es bedarf eines Beschwerdemanagements, das Auszubildende tatsächlich in ihren Problemen ernst nimmt und ihnen Schutz gewährt und das für die Auszubildenden auch leicht zugänglich ist.

Nicht umsonst fordern die Gewerkschaften schon lange eine Reform des Berufsbildungsgesetzes, um die Qualität der Berufsausbildung zu verbessern und somit auch attraktiver zu machen. Doch alle Novellierungs- und Reformversuche wurden bisher seitens der CDU-Fraktion im Bundestag blockiert und zurückgewiesen. Davon jetzt einmal abgesehen, gibt es immer noch Hunderte Jugendliche, die den Einstieg in eine berufliche Ausbildung gar nicht erst schaffen. In Thüringen haben wir – wie in vielen anderen Bundesländern auch – einen hohen Sockel an jungen Menschen, die die Schule ohne Abschluss verlassen und von denen die wenigsten nach dem Verlassen der Schule einen Weg in eine berufliche Zukunft finden. Trotz aller demografischen Probleme ist diese Zahl der Jugendlichen in den letzten Jahren kaum zurückgegangen. Die Ursachen dafür sind so vielfältig wie die Menschen selbst: problematische Familiensituationen, gesundheitliche Einschränkungen, eine Reihe unterschiedlicher Belastungen, denen junge Menschen ausgesetzt sind und bei denen sie Unterstützung brauchen; gesundheitliche Unterstützung, sozialpädagogische Unterstützung oder manchmal auch einfach nur konzentrierte Nachhilfe, um die nächste Prüfung zu bestehen.


Auch wenn es vielleicht möglich sein sollte, einen Teil der jungen Menschen, die sich aufs Studium orientieren, für den dualen Bereich zurückzugewinnen, so ist es aus Sicht der Linksfraktion dringlicher, auf die Jugendlichen mit Problemlagen zu schauen und hier neuere und bessere Wege zu finden. Erfahrungen aus anderen Bundesländern wie zum Beispiel aus Hamburg zeigen, dass man mit kooperativen Ansätzen, die die Unterstützungsmöglichkeiten der verschiedenen Systeme koppeln, weiterkommt. Manches ist hier bereits in Bewegung. Es ist daher gut, diesen Stand zu bilanzieren und über die Dinge zu reden, die als Nächstes getan werden müssen.


Ich möchte noch mal auf zwei Themen, die in diesem Zusammenhang wichtig sind, insbesondere eingehen: die Berufsorientierung an den Schulen und die begleitenden Hilfen beim Übergang von den Schulen in die Ausbildung. Im Sommer 2016 hat die von Bundes- und Landesregierung gemeinsam unterzeichnete Vereinbarung „Abschluss und Anschluss“ das Ziel gestellt, die Zahl der Schulabgängerinnen ohne Schulabschluss zu verringern und den Anteil der Jugendlichen, die eine Ausbildung erfolgreich abschließen, zu erhöhen. Hierfür soll die Landesstrategie zur praxisnahen Berufsorientierung strukturell optimiert werden – ein Ziel, das ich so auch in den ersten Anstrichen Ihres Antrags herauslese, liebe CDU-Fraktion, und wo wir uns durchaus treffen könnten.


Leider ist das Niveau der Berufsorientierung an Thüringer Schulen sehr unterschiedlich. Es gibt einerseits sehr gute Beispiele mit festen Kooperationen, mit ortsnahen Unternehmen und vielen Möglichkeiten für die Schülerinnen, sich auszuprobieren. Aber es gibt auch Schulen, an denen diesen Bereichen immer noch viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. Eine Möglichkeit, dem abzuhelfen, wäre vielleicht, die Berufsorientierung im Zuge der aktuell vorgesehenen Novellierung des Thüringer Schulgesetzes als verbindliche Aufgabe für alle allgemeinbildenden Schulformen festzuschreiben, wie es unter anderem der Landesausschuss für Berufsbildung – kurz LAB – vorschlägt. Dadurch wäre es möglich, die Berufsorientierung landesweit qualitativ und quantitativ nachhaltig zu sichern.


Es gibt jedoch noch ein anderes Problem. Im Jahr 2020 endet die gegenwärtige ESF-Förderperiode. Es ist davon auszugehen, dass Thüringen nicht mehr zu den Vorranggebieten dieser Förderung gehören wird, und dass in diesem Zusammenhang die Finanzierung der Berufsorientierung umgestellt werden muss. Diese notwendige Neuordnung sollte aus unserer Sicht Anlass sein, zu diskutieren und zu entscheiden, in welcher Form sowohl die Berufsorientierung an den Schulen als auch die am Übergang ansetzenden Hilfen über die ESF-Förderperiode hinaus neu organisiert und gesichert werden können. Denn was die Hilfen beim Übergang von Schule in Ausbildung angeht, die im CDU-Antrag leider gar nicht vorkommen, so sieht meine Fraktion hier ebenfalls dringenden Handlungsbedarf. In Thüringen sind am Übergang von Schule und Ausbildung verschiedene Hilfen wirksam. Zu ihnen gehören Berufseinstiegsbegleiterinnen, Übergangskoordinatorinnen, das Konzept der assistierten Ausbildung und das Projekt PraWO Plus. Über Berufseinstiegsbegleiterinnen, die im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Bildungsketten“ von der Bundesagentur gefördert werden, werden an 88 Schulen rund 840 Jugendliche betreut. Von den aus der ESF-Förderung finanzierten Übergangskoordinatorinnen werden circa 1.500 Schülerinnen erreicht und am Projekt PraWO Plus nehmen laut Bildungsministerium thüringenweit 30 Förderzentren und allgemeinbildende Schulen teil. Um hier bessere und nachhaltigere Effekte zu erreichen, ist es notwendig, die vielen guten Ansätze, die in diesen Bereichen vorhanden sind, stärker aufeinander abzustimmen und eine ausgewogene regionale Verteilung zu schaffen.


Liebe Kolleginnen, liebe Zuhörerinnen, aus Sicht der Fraktion Die Linke geht der Antrag der CDU in einigen Fragen in die richtige Richtung. Zur Berufsorientierung zum Beispiel habe ich mich geäußert. Auch die Frage des Ausbaus von Praktika und die bessere Vernetzung von Schulen im Territorium sind Ansätze, die man weiterverfolgen sollte. Im September vergangenen Jahres gab es auf der Tagung der Koalitionsfraktionen „Fokus Jugendpolitik“ im Workshop „Schule und Ausbildung“ eine lebhafte Diskussion darüber, in welcher der Bedarf zur Verbesserung der Berufsorientierung vor allem an Gymnasien und insbesondere die Verstärkung von Einblicken in die duale Ausbildung deutlich wurde.

Aber andere Punkte des CDU-Antrags sind reine ideologische Motive. So will die CDU in ihrem Antrag, dass in Schulen mehr für das Unternehmertum geworben wird. Das geht komplett an der Lebensrealität der Schülerinnen vorbei, denn die wenigsten werden doch später eine eigene Firma gründen. Vielmehr ist es wahrscheinlicher, dass sie Arbeitnehmerinnen werden.


(Zwischenruf Abg. Bühl, CDU: Wäre doch schön, wenn es mehr machen würden!)


Wir halten es deshalb für sinnvoller, dass junge Menschen sich schon vor Beginn ihrer Berufsausbildung intensiv und kritisch mit der Funktionsweise unseres Wirtschaftssystems auseinandersetzen. Dazu gehören selbstverständlich auch Themen wie Konfliktregelung in der Ausbildung, betriebliche Mitbestimmung, Gewerkschaften und das Tarifvertragssystem. Ob dagegen Unternehmensplanspiele und die Propaganda für den Beruf der Unternehmerin geeignet sind, Kinder und Jugendlichen wirklich Lust auf eine berufliche Ausbildung zu machen, erscheint mir fragwürdig.


Aber auch darüber können wir gern im Ausschuss diskutieren. Aus diesem Grund plädiere ich auch dafür, diesen Antrag an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport zu überweisen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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