Drogenabhängige Schwangere und Mütter in Thüringen

Zum Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 6/3413

 

Werte Vizepräsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Besucherinnen, liebe Presse, liebe Zuschauer am Livestream! Mit dem vorliegenden Antrag macht die CDU-Fraktion auf ein wichtiges Thema aufmerksam, welches leider immer noch viel zu oft – sowohl im gesellschaftlichen als auch im politischen Kontext – vergessen wird. Doch die Problematik der suchterkrankten Eltern und deren Kinder ist vielfältiger und hat mehr Ebenen, als es die CDU hier in ihrem Antrag darstellt. Dieser Antrag offenbart leider wieder einmal nur das doch recht begrenzte Verständnis, welches die CDU vom Drogenkonsum hat.


(Zwischenruf Abg. Holbe, CDU: Gott sei Dank!)


In Ihrem Antrag, liebe CDU-Fraktion, findet sich zum Beispiel kein Wort darüber, worin Sie eigentlich die Ursachen für den Drogenkonsum sehen, welche gesellschaftlichen Entwicklungen dahinterstehen, warum sich junge aber auch alte Menschen dafür entscheiden, Drogen zu nehmen, und das, obwohl diese Menschen genau wissen, dass diese Stoffe nicht gesund für sie sind und sie sich damit auch strafbar machen. Denn wer das alles allein mit Experimentierfreude und Unkenntnis abtut, hat nichts verstanden. Nicht umsonst fruchten doch die Verbote eben nicht und führt die reine Abstinenztherapie meist zu Rückfällen.


Vizepräsidentin Jung:


Frau Abgeordnete Engel, gestatten Sie eine Anfrage der Abgeordneten Meißner?


Abgeordnete Engel, DIE LINKE:


Am Ende, bitte.


Sie ignorieren wieder einfach mal die gesellschaftlichen Ursachen für Drogenkonsum, wie zum Beispiel den stetig steigenden Leistungsdruck oder die wachsende soziale Ungleichheit.


(Beifall DIE LINKE)


(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Oder dieses Plenum?)


Chrystal ist eine aufputschende Droge, die sowohl die eigenen Leistungsgrenzen vergessen macht, als auch Ängste nimmt. Es ist doch bezeichnend für unsere Gesellschaft, dass der Gebrauch von Drogen, wie Chrystal oder anderen Amphetaminen, zunimmt und dass das halluzinogen wirkende Heroin als vorherrschende Droge längst abgelöst wurde. Der Konsum von Drogen ist ein Marker für Fehlentwicklungen in einer Gesellschaft. Nicht umsonst stellen zum Beispiel alleinerziehende Frauen eine Risikogruppe dar. Angesichts des hohen Leistungsdrucks und des akuten Armutsrisikos, dem diese tagtäglich ausgesetzt sind, ist das auch nicht verwunderlich.


Natürlich ist es gut und richtig, die mafiösen Strukturen des Drogenschwarzmarkts zu bekämpfen. Aber wir werden allein mit Repressionen die drogenbedingten Probleme nicht in den Griff bekommen, wenn wir nicht endlich anfangen, die Ursachen für den Konsum zu verstehen und diese gezielt anzugehen. Wer es zulässt, dass Alleinerziehende reihenweise in die Armut rutschen, muss sich doch auch nicht wundern, wenn Doping in Form von Drogenkonsum auch diese Gesellschaftsschichten erreicht. Vor allem hilft es niemandem, am wenigsten den Kindern, wenn Müttern deswegen auch noch mit Geldstrafen oder gar Freiheitsentzug gedroht wird.


(Zwischenruf Abg. Schulze, CDU: Alle sind sie schuld, nur nicht die Gesellschaft!)


Wenn Sie, liebe CDU-Fraktion, Evaluation für die bestehenden Hilfsprogramme fordern, dann haben Sie damit natürlich recht, keine Frage. Aber diese Evaluationen dürfen sich eben nicht auf die verschiedenen Richtungen in der Drogenhilfe beschränken, sondern sollten auch das Betäubungsmittelrecht als Ganzes in den Blick nehmen.

Ihr Antrag, werte Kolleginnen, verkennt außerdem die gesellschaftliche Realität. Natürlich ist der Gebrauch von Crystal in den letzten Jahren stark angestiegen. Aber die Problemdroge Nummer 1 ist und bleibt der Alkohol. Wenn wir also über Drogengebrauch von Schwangeren und Müttern reden wollen, müssen wir uns im Kopf freimachen und von solchen Unterteilungen wie legale oder illegale Drogen weggehen. Denn diese sind bloße Konstrukte, die rein gar nichts über die eigentliche Gefährlichkeit dieser Substanzen aussagen.


(Beifall DIE LINKE)


Alkohol, aber auch Zigarettenkonsum – also legale Suchtstoffe – stellen nämlich eine ebenso große Gefahr für Ungeborene dar. So gibt es viel mehr Kinder, die durch Alkoholkonsum oder Rauchen in der Schwangerschaft geschädigt werden als Neugeborene, die mit Entzugssyndrom durch Heroin oder Substitutionsmittel auf die Welt kommen. Alkoholkonsum während der Schwangerschaft verursacht die am häufigsten vermeidbare Fehlbildung, das Fetale Alkoholsyndrom. In Deutschland werden jährlich bis zu 2.000 Kinder damit geboren. Dahingegen sind zum Beispiel für Substitutionsmittel wie Methadon gar keine Risiken für die Schwangerschaft oder das Ungeborene bekannt. Vorausgesetzt natürlich, die Konsumentin hält sich an die regelmäßige Einnahme und die vorgeschriebene Dosis. In Wahrheit ist es sogar so, dass selbst bei Heroinkonsum in der Schwangerschaft die größte Gefahr für das ungeborene Kind nicht von der Droge selbst, sondern von deren Beimischungen ausgeht. Genau diese schwer einzuschätzende –


(Unruhe CDU)


(Zwischenruf Abg. Zippel, CDU: Machen Sie Werbung für Drogen oder was?)


(Zwischenruf Abg. Kubitzki, DIE LINKE: Bleibt mal sachlich!)


Darf ich bitte ausreden? – Genau diese schwer einzuschätzenden und risikobehafteten Beimischungen sind es doch, warum wir bereits im Koalitionsvertrag vereinbart haben, endlich auch in Thüringen Drug-Checking-Projekte voranzutreiben, um eben dieser Gefahr vorzubeugen.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich bedarf es auch Präventionsarbeit. Doch in erster Linie brauchen diese Schwangeren Unterstützung und Hilfe – und das fängt bei der Aufklärung an. Es ist leider immer noch ein weit verbreitetes Vorurteil – auch bei Ärzten –, dass Drogengebrauch während der Schwangerschaft das ungeborene Kind zwangsläufig schädigt. Dadurch entschließen sich viele Frauen für einen unnötigen Schwangerschaftsabbruch. Richtig ist dagegen, dass Drogenkonsum zwar eine Gefahr für die Gesundheit des Kindes darstellt – ohne Frage –, jedoch kein medizinischer Grund ist, die Schwangerschaft abzubrechen. Schon hier bedarf es mehr Aufklärung aller Beteiligten.


Weiterhin verkennt Ihr Antrag, dass Kinder suchtkranker Eltern nicht nur während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt Hilfe benötigen, auch durch das Aufwachsen in suchtbelasteten Familien ist die gesunde Entwicklung dieser Kinder gefährdet. Und hier müssen wir die Väter dieser Kinder genauso in den Blick nehmen wie die Mütter.


(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Völlig richtig!)


An dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich mich im Folgenden meiner Rede allein auf suchtkranke Eltern beziehe und nicht auf alle Drogen konsumierenden Eltern. Das, liebe CDU, ist nämlich ein Unterschied.


In Deutschland leben etwa 2,6 Millionen Kinder mit alkoholkranken Eltern zusammen. Hinzu kommen 40.000 bis 60.000 Kinder drogenabhängiger Eltern. Damit ist jedes sechste Kind von einer Suchtkrankheit in der Familie betroffen. Und hier sind die Kinder, die unter nichtstofflichen Abhängigkeiten im Elternhaus leiden – wie zum Beispiel Spielsucht oder Online-Sucht – noch gar nicht mit eingerechnet, weil sich deren Zahl noch viel schwieriger abschätzen lässt. Diese Kinder sind oft durch ihre Sozialisationsbedingungen schwer belastet und benachteiligt. Laut Statistik wird ein Drittel später selber abhängig werden, ein weiteres Drittel wird psychische oder soziale Störungen davontragen und nur ein Drittel wird es schaffen, dieser belastenden Situation halbwegs unbeschadet zu entkommen.


Kinder aus suchtbelasteten Familien werden auch als „vergessene Kinder“ bezeichnet, einerseits weil ihre Eltern mit ihrer Aufmerksamkeit vollständig um die Sucht kreisen, so bleibt für die Kinder kaum Raum und Zeit für Zuwendung, andererseits aber auch, weil sie von der Gesellschaft vergessen werden. Kinder suchtkranker Eltern erhalten in Deutschland eben nicht die Aufmerksamkeit, die sie benötigen. So wird zum Beispiel immer noch die Alkoholproblematik in der Gesellschaft verharmlost und werden die vielfältigen Schäden und Belastungen dieser Kinder zu wenig ernst genommen. In Kindergärten, Schulen und im Gesundheitswesen fehlt es an Wissen über diese Kinder. Die Mitarbeiterinnen in diesen Bereichen sind im Umgang mit Kindern suchtkranker Eltern oft überfordert. Die Hilfesysteme, Jugendhilfe und Suchthilfe kooperieren hier noch zu wenig miteinander, sodass Kinder aus suchtbelasteten Familien allzu oft durch die Maschen dieser Hilfenetze hindurchrutschen. Diese Kinder haben aber auch ein Recht auf Unterstützung und Hilfe, unabhängig davon, ob ihre Eltern bereit sind, Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen oder nicht. Doch bis heute haben sie dafür keinen gesetzlichen Anspruch. Es gibt in den Sozialgesetzbüchern für diese Kinder keine Anspruchsgrundlage auf präventive Hilfe. Erst, wenn es zu spät ist, erst, wenn die Kinder und Jugendlichen infolge ihres Aufwachsens in einer von Unberechenbarkeit und emotionaler Abwesenheit geprägten Atmosphäre selbst krank oder sozial auffällig werden, erst dann greifen Hilfeansprüche aus der Jugendhilfe oder der Krankenversicherung. Ein Ausweg könnte hier die Novellierung des SGB VIII sein, bei der die Finanzierung von Hilfen für Kinder aus Suchtfamilien durch ein Bundesgesetz geregelt werden könnte. Denn auch bei allen Belastungen in diesen Familien, auch diese Kinder lieben ihre Eltern. Und mit der richtigen Art von Unterstützung können die Familien mit den suchtbedingten Schwierigkeiten zurechtkommen und die Kinder haben dann eine gute Chance, sich zu gesunden, reifen und lebensfrohen Erwachsenen zu entwickeln. Ziel muss es sein, die Eltern trotz Suchterkrankung zu unterstützen.


(Zwischenruf Abg. Meißner, CDU: Unser Antrag!)


Schließlich sind diese Menschen krank und eine vorsätzliche Schädigung der Kinder ist wie bei allen anderen Eltern auch die Ausnahme. Um solche Hilfe zu geben und die nötige Unterstützung zu gewähren, leisten Einrichtungen wie das Suchthilfezentrum für Mutter und Kind „Wendepunkt“ in Trockenborn-Wolfersdorf einen enorm wichtigen Beitrag. Dies ist nämlich die einzige Einrichtung ihrer Art für Thüringen und die angrenzenden Bundesländer, welche sowohl therapeutisch mit Müttern als auch mit deren Kindern arbeitet. In anderen stationären Einrichtungen, wie zum Beispiel in der Klinik Römhild, werden die Kinder zwar betreut, mit ihnen wird aber therapeutisch nicht gearbeitet. Ich muss dazu sagen, dass es in Jena ein Projekt gab, das „Chamäleon“, was auch Mutter-Kind-Projekte hatte, das aber leider aufgrund von übertragenen Wirkungskreisen geschlossen wurde. Da sollten Sie, Frau Meißner, vielleicht mal ihre kommunalen Akteure hinweisen, dass sie eine gemeinsame Drogenpolitik verfolgen. Das wäre auch für die Mütter mit ihren Kindern in Jena sehr hilfreich. Auf der anderen Seite vertritt aber auch das Suchthilfezentrum für Mutter und Kind in Wolfersdorf laut deren Konzeption und Leistungsbeschreibung eine reine Abstinenztherapie. Warum erkrankte Frauen gedrängt werden, auch eine Substitutionsbehandlung zu beenden, erschließt sich mir nicht. Schließlich ist hinlänglich bekannt, dass nur 5 Prozent der Therapierten diesen Ausstieg wirklich schaffen, zumal eine volle Abstinenz für ein selbstbestimmtes und integriertes Leben gar nicht notwendig ist und für eine erfolgreiche Reintegration im Kindeswohl ist sie ebenso wenig Voraussetzung. Für die Suchtkranken und ihre Angehörigen ist wichtiger, dass sie sich realistische Ziele setzen, wobei Selbstbestimmung und Teilhabe im Fokus stehen sollten.


(Zwischenruf Abg. Zippel, CDU: Komplette Drogenfreiheit ist wohl kein Ziel oder was?)


Für einige mag eine Entzugsbehandlung bestimmt hilfreich sein, für viele ist sie es aber nicht. Wir brauchen in Thüringen daher sowohl mehr Vielfalt in der Suchthilfelandschaft als auch eine gute wissenschaftliche Begleitung dieser, um passgenaue Hilfen anzubieten und um langfristig eine evidenzbasierte und ideologiefreie Drogen- und Suchthilfe zu etablieren.


(Zwischenruf Abg. Zippel, CDU: Genau: Ideologiefrei bitte!)


Gerade die akzeptierende Drogenhilfe nimmt dabei einen wichtigen Platz ein. Ich möchte daher hier für ein ganzheitliches Verständnis werben. Das heißt Ja zur Bekämpfung der organisierten Drogenkriminalität, Ja zu mehr Frühintervention und Hilfen, Ja zu einem eigenen Unterstützungsanspruch für die Kinder im Jugendrecht und vor allem Ja für mehr soziale Gerechtigkeit und Teilhabe aller benachteiligten Gruppen und ein entschiedenes Nein zur Kriminalisierung der Konsumierenden. Denn das löst keines der Probleme, sondern verursacht lediglich welche. Leider finde ich in Ihrem Antrag, liebe CDU-Fraktion, keinen einzigen Vorschlag, der nach vorne weist und in diesem Sinne neue Wege beschreitet. Für sich genommen sind Ihre Forderungen unter Nummer II Ihres Antrags natürlich nicht zu beanstanden, denn sie sind ebenso richtig wie unkonkret. Daher können wir uns gern dazu im Ausschuss weiter unterhalten und ich bitte, diesen Antrag zu überweisen. Den Antrag der Bernd-Höcke-Fraktion werden wir natürlich ablehnen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vizepräsidentin Jung:


Frau Abgeordnete Engel, Sie hatten eine Zwischenfrage der Abgeordneten Meißner gestattet. Frau Abgeordnete Meißner, bitte.


Abgeordnete Meißner, CDU:


Gut gebrüllt, Löwe. In diesem Sinne eine Nachfrage, Frau Engel: Welche Initiativen hat Ihre Fraktion in dieser Legislaturperiode zum Thema „Drogen“ auf den Weg gebracht? Die CDU-Fraktion hat in Kleinen Anfragen, in einer Großen Anfrage an die Landesregierung mit diesem Antrag das Thema aufgegriffen. Ich höre Sie heute hier zum ersten Mal im Plenum dazu reden. Welche Initiativen zu Ihrer Rede hat denn die Fraktion bisher ergriffen?


(Beifall CDU)


Abgeordnete Engel, DIE LINKE:


Also wenn Sie unter Initiativen reine populistische Veranstaltungen wie Anfragen oder hier mal im Plenum reden verstehen ...


(Unruhe CDU)


(Zwischenruf Abg. Zippel, CDU: Gar nichts kommt von Ihnen, nur heiße Luft!)


Nur weil wir nicht alles öffentlich machen, was wir den ganzen Tag tun – dann tut es mir leid, aber Sie können mir gern auf Twitter folgen, dann würden Sie auch mehr verstehen, was wir tun. Natürlich begleiten wir zum Beispiel diese Drugchecking-Projekte, um dort auch einen Verbraucher- und Gesundheitsschutz für die Konsumierenden zu erreichen. Vielen Dank!

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