Drittes Gesetz zur Änderung des Thüringer Kommunalwahlgesetzes

Zum Gesetzentwurf der Landesregierung – Drucksache 6/685


Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Besucherinnen, liebe Presse, liebe Zuhörerinnen am Live-Stream, liebe Kolleginnen, da unseren Gästen und Zuhörerinnen die jetzt zu behandelnden Gesetzentwürfe der Landesregierung nicht vorliegen, möchte ich diese zu Beginn noch mal kurz umreißen. Das Mindestalter für das aktive Wahlrecht, also das Recht, wählen zu gehen, soll auf Landesebene von 18 auf 16 Jahre gesenkt werden. Das passive Wahlrecht, also das Recht, sich zu einer Wahl aufstellen zu lassen, soll weiterhin bei 18 Jahren bleiben. Außerdem sollen in der Thüringer Landesverfassung Voraussetzungen geschaffen werden für den Fall, dass der Bund oder die Europäische Union ein Wahlrecht für Menschen ohne deutschen Pass einführt. Dafür ist es nötig, die Thüringer Verfassung und das Thüringer Wahlgesetz für den Landtag zu ändern.

Mit der Herabsenkung der Altersgrenze erhalten die Jugendlichen auf Landesebene auch Stimmrecht bei Bürgeranträgen, Volksbegehren und Volksentscheiden, da die Stimmberechtigung an die Wahlberechtigung gebunden ist.


Im zweiten Gesetzentwurf geht es um die Absenkung des Mindestalters für die Ausübung des aktiven Wahlrechts, dem Recht zu wählen, bei Kommunalwahlen. Die Landesregierung möchte hier ebenfalls das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre senken. Das passive Wahlrecht, also das Recht, sich bei einer Kommunalwahl wählen zu lassen, soll unverändert bei 18 Jahren bleiben. Dafür ist eine Änderung des Thüringer Kommunalwahlgesetzes nötig.


Mit dem aktiven Wahlrecht für die Kommunalwahlen würden die Jugendlichen auch den Rechtsstatus eines Bürgers der Gemeinde bzw. des Landkreises erhalten. Die Jugendlichen würden damit volljährigen Bürgerinnen gleichgestellt und erhalten auch alle damit verbundenen Rechte und Pflichten wie zum Beispiel Beantragung und Unterzeichnung bei Bürgerbegehren, Stimmrecht bei Bürgerentscheiden, Mitwirkung als sachkundige Bürgerinnen in Ausschüssen des Gemeinderats und des Kreistags, Mitarbeit im Wahlausschuss und Wahlvorstand sowie Mitwirkung bei der Aufstellung von Wahlvorschlägen.


Beide Gesetzentwürfe wurden im Innen- und Kommunalausschuss, im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport und im Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz beraten. Alle drei Ausschüsse sprechen sich für die Annahme dieser Gesetzentwürfe aus. Zusätzlich wurde diesen September eine öffentliche Anhörung zu beiden Gesetzentwürfen durchgeführt. Von 27 Personen oder Organisationen, die dabei angehört wurden, sprachen sich lediglich vier gegen die Absenkung aus. Deshalb finde ich das ein bisschen erstaunlich, dass die CDU-Fraktion das scheinbar nicht gehört hat. Die angestrebten Änderungen würden nämlich positive Auswirkungen auf mehr als 30.000 junge Menschen in Thüringen haben.


(Unruhe CDU)


Durch das Festhalten am Wahlalter mit 18 Jahren wurde diese Gruppe bei demokratischen Entscheidungsprozessen bisher stets ausgeschlossen. Doch auch 16-Jährige sind von der Kommunal- und Landespolitik nicht weniger betroffen als 18-Jährige. Die Schulpolitik beispielsweise ist Ländersache und betrifft Jugendliche am stärksten.


(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Was ist denn das für eine Argumentation?)


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bisher hatten sie aber keine Möglichkeit, ihre Meinung über Wahlen auszudrücken. Warum sollten sie dann von der Mitentscheidung ausgeschlossen sein?


(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Frau Engel, von welcher Wolke kommen Sie denn?)


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Absenkung des Wahlalters ist damit auch ein wichtiger Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Denn angesichts der demografischen Entwicklung stellen Jugendliche zunehmend eine gesellschaftliche Minderheit dar. Im Moment kann eine immer älter werdende Bevölkerung ihre Interessen durchsetzen, ohne die späteren Betroffenen zu beteiligen.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Könnten Jugendliche früher wählen, könnten sie auch eher selbst für ihre Interessen eintreten. Bereits 2002 hielt die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags zum demografischen Wandel in ihrem Schlussbericht fest, ich zitiere: „Schließlich bedarf das durch den demographischen Wandel abnehmende zahlenmäßige Gewicht von Kindern und Jugendlichen eines Ausgleiches bei den politischen Artikulationschancen. [...] Zu prüfen ist [...] eine direkte Übertragung von politischer Gestaltungsmacht an Jugendliche etwa durch eine Absenkung des Wahlalters. Jugendliche könnten so verbesserte Chancen haben, ihre spezifischen Bedürfnisse, aber auch Ängste und Empfindlichkeiten politisch zum Ausdruck zu bringen und damit eine Art Warnfunktion für spezifische gesellschaftliche Probleme und Konflikte übernehmen.“


Im Übrigen ist das stets angeführte Argument, dass es einen Zusammenhang zwischen Wahlalter und Volljährigkeit gibt, nicht haltbar. Denn Altersgrenzen im Straf- und Zivilrecht dienen dem Schutz von Minderjährigen. Welchen Grund gibt es, junge Menschen vor dem Wahlrecht zu schützen?


(Beifall DIE LINKE)


Bei der Ausübung des Wahlrechts geht es nicht um rechtliche Bindungsfähigkeit. Minderjährige können auch nicht für die Ausübung ihres Wahlrechts persönlich haftbar gemacht werden. Warum sollten sie das auch?


Die hinter dem Argument der Volljährigkeit stehende Behauptung, dass Rechte und Pflichten in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen, stimmt auch nicht, denn eine altersbedingte Aufteilung von Rechten und Pflichten gibt es im deutschen Recht bereits. So setzt die volle Strafmündigkeit erst mit dem 21. Lebensjahr ein. Außerdem halten wir Jugendliche doch auch für mündig genug, zum Beispiel ab 14 Jahren ihre Religionszugehörigkeit zu wählen, ab 16 Jahren einen Führerschein zu machen, zu heiraten oder Alkohol zu trinken.


(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Aber das sind doch keine Argumente!)


(Beifall DIE LINKE)


(Unruhe CDU)


Das zeigt doch nur, dass es sich hierbei eben nicht um eine juristische, sondern um eine politische Frage handelt. Es ist das Wesen einer Demokratie, denen, die von Entscheidungen betroffen sind, auch ein Mitwirkungsrecht zu geben. Das Wahlrecht ist daher eines der wichtigsten Rechte der Demokratie. In einer Demokratie entscheidet nämlich immer das sogenannte Volk. So steht es auch im Grundgesetz, Artikel 20 Abs. 2: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Jede Gruppe, die wir davon ausschließen, gehört dann nicht dazu und wird ausgegrenzt.


(Beifall DIE LINKE)


Das ist ein erheblicher Einschnitt in ihre demokratischen Grundrechte.


(Beifall DIE LINKE)


Selbst das Bundesverfassungsgericht bestätigt im Jahr 2000: „Begrenzungen des allgemeinen Wahlrechts sind verfassungsrechtlich zulässig, sofern für sie ein zwingender Grund besteht und wenn die Ausnahmen auf das unvermeidbare Minimum beschränkt bleiben.“ Es gehört zu den Grundvoraussetzungen einer demokratischen Gesellschaft, dass alle Menschen an gesellschaftlichen Prozessen teilhaben können. Effektiv mitwirken kann aber nur, wer auch das Wahlrecht hat. Menschen, von diesem Recht auszuschließen, bedarf folglich schwerwiegender Gründe. Ausgehend von diesen Grundlagen ist eine Diskussion über Politikinteresse oder Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen hinfällig. Das Beibehalten des Wahlalters bei 18 Jahren wäre eine grundlose Beschränkung des Grundrechtes und dieses Grundrecht darf nicht denen verwehrt werden, die wählen gehen wollen.


Grundsätzlich gilt sowieso, dass in der Debatte um die Absenkung des Wahlalters an die 16- und 17-Jährigen Anforderungen gestellt werden, die bei allen anderen Wählergruppen keine Relevanz spielen. Führt man das Beispiel der Wahlbeteiligung oder das Politikinteresse an, Herr Kellner, so müsste nach Ihrer Logik ganz Sachsen-Anhalt das Wahlrecht entzogen werden. Das haben auch alle Jugendverbände, die zur Anhörung eingeladen wurden, so erkannt und kritisiert. Alle, bis auf einen. Der einzige Jugendverband, der sich gegen eine Absenkung des Wahlalters aussprach, war die Junge Union Thüringen.


(Heiterkeit DIE LINKE)


Die Junge Union ist nämlich unter anderem der Auffassung, dass unterschiedliche Wahlalter bei den verschiedenen Wahlen den Eindruck vermitteln, dass Kommunalwahlen minderwertiger als Landtagswahlen seien. Ja, der Meinung sind Sie auch, Herr Kellner.


(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Genauso ist das!)


(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: Da haben Sie die Meinung vorgegeben!)


Hierzu sei kurz erklärt, dass die Junge Union davon ausgeht, dass wir heute nur das Wahlalter für Kommunalwahlen senken. Bei einer Änderung des Wahlalters auf Landesebene bräuchten wir nämlich eine Zweidrittelmehrheit, also auch die Stimmen der CDU,


(Beifall CDU)


da wir dazu die Verfassung ändern müssten. Bei diesem Argument verstehe ich aber zwei Dinge nicht. Erstens: Warum wird eine Wahl minderwertiger, an welcher mehr Leute beteiligt sind?


(Beifall DIE LINKE)


Ist es dann nicht so, dass die andere Wahl, welche von vornherein Menschen ausschließt, die minderwertigere Wahl ist, da diese viel undemokratischer ist? Und zweitens: Wenn Sie, liebe CDU, ein Problem damit haben, dass durch verschiedene Mindestwahlalter auf Landes- und Kommunalebene verschiedene Wertigkeit der Wahlen bestehen, dann stimmen Sie doch einfach auch der Absenkung des Wahlalters auf Landesebene zu. Dann haben Sie auch gar kein Problem mehr.


(Beifall DIE LINKE)


(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Wir haben doch erklärt, warum nicht!)


Alles in allem ist die Stellungnahme der Jungen Union Thüringen sowieso ein bisschen seltsam. Denn 2010 gab es schon mal eine öffentliche Anhörung zur Absenkung des Wahlalters. Die Grünen brachten einen Gesetzentwurf ein, um das Wahlalter bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre zu senken. Damals stand die Junge Union noch – ich zitiere – etwaigen Änderungen wie der Absenkung des Wahlalters bei Kommunalwahlen offen gegenüber, denn damals vertrat die Junge Union die Auffassung – ich zitiere wieder –, dass auch 16-Jährige durchaus die politische Reife besitzen, verantwortungsvoll mit ihrem Stimmrecht umzugehen.


(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So war das!)


Das Interesse an Politik und demokratischen Prozessen eines 16-Jährigen JU-Mitglieds unterscheidet sich mitunter kaum von dem eines 18-Jährigen Mitgliedes.

 

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nachzulesen in einer Stellungnahme der Jungen Union Thüringen, welche am 7. Juni 2010 in den Thüringer Landtag einging. Sie werden es kaum glauben, wer genau in dieser Zeit führende Position in der Jungen Union Thüringen innehatte.


(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der jetzige Abgeordnete Dr. Mario Voigt als damaliger Landesvorsitzender und der heutige Abgeordnete Stefan Gruhner als sein erster Stellvertreter.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da frage ich mich, wie man innerhalb von nur fünf Jahren vergessen kann, wofür man eingestanden ist.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Übrigens: Die damalige Stellungnahme der Linksjugend [´solid] Thüringen wurde unterzeichnet von einer Kati Grund.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei mir hat sich im Gegensatz zu Ihnen nicht die Auffassung, sondern nur der Nachname geändert,

 

(Unruhe CDU)


aber vielleicht ist das genau der Unterschied, warum Sie CDU-Mitglied sind und ich in der Linken.


(Beifall DIE LINKE)


Den Koalitionsparteien ist übrigens sehr wohl bewusst, dass die Senkung des Wahlalters kein Allheilmittel für politische Teilhabe junger Menschen ist,


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


aber wir versprechen Ihnen, dies ist erst der Anfang.


(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Dazulernen!)


Wir werden diese Legislatur nutzen, um das Mitspracherecht von Kindern und Jugendlichen auch neben den Wahlen auszubauen,


(Zwischenruf Abg. Grob, CDU: Das wird nichts ändern!)


denn auch Kinder und Jugendliche müssen wir mit ihren Problemen, Meinungen und Ansichten ernst nehmen.


Sie, liebe Abgeordnete, haben jetzt die Wahl. Sie können durch Ihre Zustimmung zu diesen Gesetzentwürfen signalisieren, dass Sie bereit sind, junge Menschen ebenfalls ernst zu nehmen oder durch ihre Ablehnung weiterhin Politik über deren Köpfe zu machen. Schlussendlich geht es hier nämlich darum, dass eine Minderheit im Land ein Gesetz verhindert, welches Thüringen demokratischer machen würde, denn eine Absenkung des Wahlalters ermöglicht mehr Menschen die Teilhabe an der politischen Willensbildung und ist ein wichtiger Schritt zu mehr Gerechtigkeit in Thüringen. Vielen Dank.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


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