Direkte Demokratie stärken – Voraussetzungen für eine aktive Beteiligung der Bürger bei Abstimmungen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene schaffen

Zum Antrag der Fraktion der AfD – Drucksache 6/986


Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kollgen, die drei Koalitionsfraktionen


(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Das ist unsere Wählerschaft, 87 Prozent!)


beziehungsweise die sie tragenden Parteien sind seit Beginn Mitglied im Bündnis „Mehr Demokratie in Thüringen“


(Beifall DIE LINKE)


und damit Mitträgerinnen und Mitorganisatoren der beiden inhaltlich erfolgreichen Volksbegehren zur Weiterentwicklung der direkten Demokratie auf Landesebene und auf kommunaler Ebene. In einer von circa 100 Teilnehmern besuchten Veranstaltung der drei Fraktionen mit dem Bündnis im Juni dieses Jahres im Landtag wurden weitere Ideen zum Ausbau der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene schon intensiv diskutiert und die Einbringung eines entsprechenden Gesetzentwurfs in den Landtag angekündigt. Vorgestellt wurden als Neuerung zum Beispiel das Ratsreferendum und das obligatorische Referendum, das stattfinden soll, wenn kommunale Unternehmen der Daseinsvorsorge veräußert oder erworben werden. Außerdem sollen Initiatoren von Bürgerbegehren Rederecht in den kommunalen Gremien erhalten und ein Beratungsrecht vor Abgabe des Antrags auf Bürgerbegehren erhalten. Es liegt auf der Hand, dass die AfD diese laufende Reformdiskussion, über die auch öffentlich berichtet wurde, offensichtlich verfolgt und versucht, in populistischer Manier als Trittbrettfahrerin auf einen schon fahrenden Zug aufzuspringen.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Doch der vorliegende Antrag ist nicht nur deshalb problematisch. Auch inhaltlich enthält der Antrag Kritikwürdiges, vor allem das Festhalten an der von der CDU eingeführten Amtssammlung. Ganz formal, korrekt heißt es „Amtseintragung“. Sie war von der CDU 2008 ursprünglich als einzige Sammlungsform vorgesehen. Nur durch den Druck des Volksbegehrens und des Bündnisses konnte das zu einem Wahlrecht umgestaltet werden, denn bekanntermaßen stellt die Pflicht eines Gangs zum Amt eine Hürde für den Bürger dar. Das zeigen Untersuchungen und Erfahrungsberichte. Auch in der Anhörung zur Reform auf kommunaler Ebene wurde dieses Problem angesprochen.


Ein weiterer wichtigster Gesichtspunkt dieser Thematik. Nach Recherchen von „Mehr Demokratie“ gibt es die Amtssammlung auf kommunaler Ebene nur in Thüringen, sonst nirgendwo weltweit. Deshalb sieht die geplante Reform der Koalition die Streichung der Amtssammlung vor. Auch für die Landesebene haben die Koalitionsfraktionen schon Reformschritte in Sachen direkter Demokratie vereinbart. So soll laut Koalitionsvertrag das sogenannte Finanztabu angegangen werden. Die Bürger in Thüringen sollen in Zukunft auch über finanzrelevante Themen, wie zum Beispiel ein neues Kita-Gesetz oder Abgabenfragen, ohne Beteiligungsbremse und Zulässigkeitshindernisse abstimmen können. Dass es auch auf Bundesebene Volksentscheide zu mehr Sachthemen als nur den bisher schon erfassten Länderfusionen geben muss, ist für die Koalition selbstverständlich. Dennoch kann man der Einreicherin auch in diesem Punkt nicht zustimmen. Denn die AfD hat gerade in der Vergangenheit mit ihren populistischen oder nationalistischen …


(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Sagen Sie nationalsozialistisch, das passt zu Ihnen!)


(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Halt die Fresse!)


Ich glaube, Ihre Einstellung haben Sie eben damit verdeutlicht, dass Sie auf Seuchen hingewiesen haben in Verbindung mit der Unterbringung von Flüchtlingen. Das ist ekelhaft und widerwärtig, das in diesem Hohen Hause hier zu hören.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


(Unruhe AfD)


Entschuldigen Sie bitte. Damit haben Sie sich wirklich …



Vizepräsident Höhn:


Meine Damen und Herren, mäßigen Sie sich. Die Abgeordnete Müller hat immer noch das Wort.


(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Ämterweise! Hören Sie doch mal zu!)


Abgeordnete Müller, DIE LINKE:


Denn die AfD hat gerade in der Vergangenheit und mit ihren populistischen


(Unruhe AfD)


und nationalistischen Positionen im Zusammenhang mit ihren Forderungen nach Volksentscheiden zum Euro gezeigt, dass sie als Rechtsaußenpartei die direkte Demokratie zur Stimmungsmache missbrauchen will.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber eine wirkliche funktionierende direkte Demokratie ist auf eine breite, inhaltlich fundierte Sachdiskussion gerichtet.


(Unruhe AfD)


Sie ringt durch Einbeziehung von möglichst viel Fachkompetenz und durch eine sehr differenzierte Themendiskussion in fairer Art und Weise um die beste Lösung für ein Sachproblem. Wenn man das bisherige Agieren der AfD verfolgt, kann man hinsichtlich der fairen Sachdiskussion schon mehr als erhebliche Zweifel bekommen.


(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die AfD verkündet seit dem Bundestagwahlkampf 2013, dass sie die Einführung der direkten Demokratie bzw. von Volksentscheiden in Deutschland nach Schweizer Vorbild will. Allen hier im Haus dürfte bekannt sein, dass es in letzter Zeit auch hochproblematische Volksentscheide bzw. Ergebnisse von Volksentscheiden in der Schweiz gegeben hat.


(Unruhe AfD)


Stichworte seien hier nur das sogenannte Minarett-Verbot und die mit hauchdünner Mehrheit angenommene Initiative gegen sogenannte Masseneinwanderung. Beide Entscheide wurden besonders stark von der populistischen und rechtslastigen Schweizerischen Volkspartei befördert. Die Ergebnisse der Entscheide haben in weiten Teilen der Schweizer Bevölkerung zu Entsetzen und zum erneuten Diskussionsprozess geführt. Das Ergebnis der Volksabstimmung zur sogenannten Masseneinwanderung ist auch noch nicht umgesetzt und es sind verstärkt Gegeninitiativen aktiv geworden.


(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Erfolglos!)


Die Schweiz ist grundsätzlich ein weltoffenes Land


(Beifall AfD)


mit einem Migrantinnenanteil ohne Schweizer Bürgerrecht von aktuell 24 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund insgesamt liegt noch höher. Doch Christoph Blocher und die Schweizerische Volkspartei vertreten populistische und klar rechtslastige Positionen und schaffen es mit emotional aufgeladenen Parolen, per Stimmungsmache im Trüben nach Wählern zu fischen.


(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Ja, zu Recht!)


Hier sei exemplarisch nur auf ein berüchtigtes Werbe- bzw. Abstimmungsplakat, sogenanntes Schäfchenplakat, der SVP verwiesen mit einem schwarzen Schaf, das von weißen Schafen aus einem stilisierten Schweizer Territorium vertrieben wird.


(Unruhe AfD)


Hier muss man sich meines Erachtens schon sehr blind und dumm stellen, wenn man dies nicht als rassistisch und fremdenfeindlich erkennen will.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Sie sind naiv! Unglaublich!)


Wer aber zwecks Hetze und Ausgrenzung von Mitmenschen und Mitbürgern und zur Spaltung der Gesellschaft sich der Instrumente der direkten Demokratie bedient, verrät und missbraucht die direkte Demokratie und auch die Demokratie als solche.


(Unruhe AfD)


Denn die Idee der Demokratie beinhaltet in ihrem Kern auch und vor allem das Prinzip der gleichen Teilhabe aller an den politischen Entscheidungsprozessen. Die Menschen, die den Auswirkungen staatlicher und gesellschaftlicher Entscheidungen ausgesetzt sind, sollen dabei auch selbst mitentscheiden dürfen, und zwar in gleicher Weise und mit der gleichen Einflussmöglichkeit für jede und jeden. Dieses Grundprinzip prägt im Übrigen nicht nur die direkte, sondern auch die parlamentarische repräsentative Demokratie.


Wie ein Blick auf Aktivitäten der AfD zeigt, bestehen hier offensichtliche politische Sympathien und Affinitäten zu bestimmten politischen Richtungen und Akteuren in der Schweiz. Die AfD lädt zu einer Veranstaltung als Referenten auch den Schweizer Rechtswissenschaftler und Publizisten Robert Nef ein. Dieser Referent hat offensichtlich kein Problem damit, in einer Publikation zu seinem 70. Geburtstag auch einen Beitrag des oben genannten SVP-Politikers Blocher als Geschenk zu bekommen. Damit wird eindeutig klar, in welchen politischen Verwandtschaftsverhältnissen sich die AfD bewegt und dass sie die direkte Demokratie für ihre populistischen und


(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Linkspopulistische Kontextkontaminierung!)


rechtslastigen Zwecke und Ziele instrumentalisieren und damit letztlich diffamieren will.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diesen Instrumentalisierungs- und Diffamierungsaktivitäten müssen alle, die eine tatsächliche, wirksame und in ihren Wirkungen für die Gesellschaft positive direkte Demokratie wollen, mit aller Entschiedenheit entgegentreten, auch durch Stärkung und Ausweitung der Instrumente und durch Ausdehnung des Beteiligungskreises auf möglichst alle Einwohnerinnen. Und man muss durch entsprechende Gestaltung der direkt demokratischen Entscheidungsverfahren dafür sorgen, dass diese und ihre Ergebnisse nicht ausgrenzen und spalten, sondern zur Weiterentwicklung einer solidarischen und weltoffenen Gesellschaft beitragen. Dazu gehört, dass Bürgerbegehren und Volksbegehren, die gesetz- bzw. verfassungswidrige Ziele verfolgen, nicht zulässig sind. Den Schutz der Menschenwürde und die Gleichheit aller Menschen und das Recht auf gleiche Teilhabe aller darf niemand unter dem Deckmantel der direkten Demokratie infrage stellen oder gar angreifen.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weil dies die Nazis mit Volksentscheid-Initiativen in der Weimarer Republik praktiziert haben, wurde von vielen die Konsequenz für richtig befunden, in Deutschland vor allem auf Bundesebene auf direkte Demokratie zu verzichten. Wenn diese Schlussfolgerung auch nachvollziehbar ist, so ist sie nach Meinung der Linken doch nicht sinnvoll, denn damit haben die Demokratiefeinde noch in jahrzehntelanger Nachwirkung das geschafft, was sie wollten: die Demokratie zu beschneiden und teilweise zu beseitigen. Die richtige Antwort auf das Problem ist daher, wie oben beschrieben, die Stärkung und der Ausbau der Instrumente und Verfahren und Einbau von Schutzmechanismen. Das gilt für alle staatlichen und die EU-Ebene. Die direkte Demokratie ist das unverzichtbare zweite Standbein der Demokratie neben der parlamentarischen. Doch um die Gefährdung wirklich zu beseitigen, muss die Zivilgesellschaft und müssen die Menschen sich als engagierte Bürger bei der praktischen Anwendung der direkten Demokratie dafür einsetzen. Sie müssen der sachlichen und offenen Themendiskussion und dem fundierten Ringen um die beste inhaltliche Lösung den Vorrang geben vor dumpfen populistischen Parolen. Das kann und muss praktisch eingeübt werden, am besten schon so früh wie möglich, das heißt, auch Demokratieerziehung in Kitas und Schulen ist sinnvoll und notwendig,


(Unruhe AfD)


auch durch praktisches Einüben im kleinen Alltag. Praktische Erfahrungen auch in Thüringen zeigen, wie Volksbegehren und Bürgerbegehren die Menschen zu mehr politischem Engagement motivieren. Das hilft dann auch der repräsentativen Demokratie und den Wahlen.


Dass auf direkt demokratischem Weg auch sehr sinnvolle und komplexe gesellschaftliche Projekte verwirklicht werden können, zeigt ebenfalls ein Beispiel aus der Schweiz, die sogenannte neue Eisenbahn-Alpentransversale, abgekürzt NEAT. In mehreren Volksentscheiden, die auch notwendigen Steuererhöhungen zu eigenen Lasten für die notwendige Finanzierung des Projekts mit einschlossen, haben die Schweizer Stimmbürger entschieden, dass der immer mehr belastende LKW- und Schwerlastverkehr aus Gründen des Umweltschutzes von den Straßen in und über die Alpen verbannt wird. Güter und LKW müssen auf die Schiene. Die NEAT schließt neben dem Bau neuer Bahnstrecken vor allem mehrere Eisenbahntunnel zur Alpenquerung ein. Das bekannteste Bauprojekt im Rahmen der NEAT ist der neue Gotthardbasistunnel, mit einer Länge von über 57 Kilometern ist er auch der längste Tunnel der Welt. Eröffnung soll im Dezember 2016 sein.


(Unruhe AfD)


Dieses praktische und aktuelle Beispiel zeigt, die Stärkung der direkten Demokratie kann also auch zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung beitragen, wenn ihre Instrumente entsprechend ausgestaltet sind und diese sinnvoll und verantwortungsvoll genutzt werden. Es ist daher ständige Aufgabe, die direkte Demokratie wie die Demokratie überhaupt gegen diejenigen zu verteidigen, die sie missbrauchen und pervertieren wollen. So vermeintlich sachlich der Antrag der hier rechts außen sitzenden Fraktion auch daher kommt, er ist sozusagen vergiftet durch eine falsche Grundmotivation, ganz abgesehen von seiner populistischen Trittbrettfahrerei.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


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