Demokratiefreundlicheren Wahltermin im September 2019 bestimmen

Anja Müller

Zum Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 6/6175

 

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende CDU-Antrag verlangt einen demokratiefreundlicheren Wahltermin. Davon einmal abgesehen, dass dieses Wort „demokratiefreundlich“ eine nette Wortschöpfung ist, tauchen nach der Lektüre des Antrags ziemlich viele Fragezeichen auf.

 

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Ehrlich?)

 

Und ganz ehrlich, wir haben uns die Frage gestellt: Was wollen uns die Autorinnen und Autoren damit sagen? Ist das alles nur eine populistische Show

 

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Ja!)

 

oder aber eine Verzweiflungstat aus Angst

 

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Auch das!)

 

vor den Wahlen, Wahlkampf, Wählerinnen und Wählern oder aber auch beides.

 

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Beides!)

 

Und dass die CDU offensichtlich eine Vorliebe für Sommertermine hat, so kurz nach den langen Sommerferien, darf ruhig zu Beginn gesagt werden. Zu CDU-Regierungszeiten fand die Landtagswahl eben auch schon mal am 30. August 2009 statt, gerade mal zwei Wochen nach Ende der Sommerferien. Das heißt wiederum ganz praktisch: Nur innerhalb der zwei Wochen vor dem Wahltermin gab es einigermaßen Chancen, möglichst viele Wählerinnen und Wähler noch einmal in einem Wahlkampf mit Inhalten anzusprechen. In den sechs Ferienwochen davor waren die meisten Thüringer im Urlaub und die Menschen, die in Thüringen geblieben waren, waren mehr auf Sommersonne eingestellt, also eher als auf Wahlkampf und Wahl.

 

Und ganz ehrlich, das möchte ich den Menschen auch nicht verdenken. Doch um Inhalte in einem Wahlkampf nach sechswöchiger faktischer Unterbrechung bei den Menschen zu aktivieren, sind zwei Wochen definitiv zu kurz. Der von Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU, verlangte September-Termin hat in Thüringen Vorläufer. Wenn man sich die Wahltermine für den Landtag seit 1990 anschaut, aber – und das Aber mache ich mal ganz, ganz groß – gibt es in dieser Liste auch Wahltermine im Oktober, so wie es das zuständige Innenministerium nun auch für 2019 festgelegt hat.

Die erste Wahl zum Thüringer Landtag fand am 14. Oktober 1990 statt, dann folgte der 16. Oktober 1994, die Wahl zum 3. Thüringer Landtag fand am 12. September 1999 statt, die 4. Landtagswahl fiel auf den 13. Juni 2004, der 5. wurde am 30. August 2009 gewählt und die Wahl zum aktuellen Landtag fand am 14. September 2014 statt.

 

(Beifall SPD)

 

Jetzt könnte man ganz platt die Rechnung aufmachen: An beiden Oktoberterminen lag die Wahlbeteiligung noch bei über 70 Prozent. Aber am ersten Septembertermin 1999 sackte die Wahlbeteiligung mit 59,9 Prozent unter die 60-Prozent-Marke

 

(Zwischenruf Abg. Geibert, CDU: Dafür war das Ergebnis gut!)

 

und fiel dann über die Jahre bis zum 14. September 2014 mit 52,7 Prozent signifikant ab, der bisher traurigste Tiefstand bei den Landtagswahlen in Thüringen. Aber die Höhe der Wahlbeteiligung soll doch oder ist ein wichtiger Parameter für die demokratische Verortung und Legitimation einer Wahl. Würde man einen vereinfachten Schluss aus den Wahlterminen in Bezug auf die Wahlbeteiligung ziehen, spräche angesichts dieser Fakten alles für einen Oktobertermin. Doch so einfach machen wir es uns dann doch nicht. Denn eines ist doch nun wirklich klar, werte Abgeordnete der CDU-Fraktion: Die deutlich sinkende Wahlbeteiligung seit 1990 hat ihre Ursachen nicht in der zeitlichen Festlegung eines Wahltermins und auch das Wetter kann Wahlen und die Wahlbeteiligung nicht wirklich entscheidend beeinflussen. Die tatsächlichen Gründe für die einbrechende Wahlbeteiligung haben wir hier immer wieder intensiv debattiert und auch in den Beratungen zum Thüringen-Monitor kritisch aufgearbeitet. Doch, anstatt wie Sie die Schlussfolgerungen zu ziehen, ein Wahltermin sei schuld, handeln wir ganz praktisch und versuchen mit der Ausweitung der demokratischen Beteiligung dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Und ja, die direkte Demokratie auf kommunaler Ebene ist zur besten in Deutschland ausgebaut, das Wahlalter für die kommunale Ebene ist auf 16 Jahre gesenkt, und ja, wir hätten das zeitgleich auch gerne für die Landesebene gemacht. Aber die CDU hat die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit bisher verweigert.

 

(Zwischenruf Abg. Grob, CDU: Wie schlimm!)

 

Die Koalition zieht noch eine andere Schlussfolgerung aus der sinkenden Wahlbeteiligung, um dieser alarmierenden Entwicklung auch durch inhaltliche Politik entgegenzuwirken, vor allem in den Bereichen „Soziales“ und „Bildung“. Für uns als Linke steht fest, dass sich in der zunehmen Wahlabstinenz auch die eigentlich laut vernehmbare Frage und Forderung nach einer sozialgerechteren Gesellschaft verbirgt. Denn ohne Erfüllung der sozialen Rechte sind die politischen Rechte nicht wirklich das wert, was sie wert sein könnten.

 

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Aha, aha!)

 

Wir Linke sind uns sicher, dass die Erfüllung der sozialen Rechte unverzichtbar für wirksame politische Rechte ist. Gleiche soziale Teilhabe aller in der Gesellschaft ist notwendige Voraussetzung für die gleiche politische Teilhabe aller in der Gesellschaft. Für die Verwirklichung dieser gleichen Teilhabe aller, sozial wie politisch, machen wir als Linke ganz praktische Politik, arbeiten wir am, im und außerhalb des Landtags, in allen Bereichen der Gesellschaft, auch in der Regierung, um den konkreten Lebensalltag der Menschen in Thüringen zu verbessern. Klar ist das oft ein schwieriger Weg, aber eigentlich der einzig wirksame, um auch die Wahlbeteiligung wieder zu verbessern. Demokratiebildung und Demokratieerziehung in Schulen – aber eben nicht nur dort – ist sehr wichtig und muss unbedingt noch verstärkt werden.

 

Aber nur das allein wird nicht wirklich helfen. Die Demokratie und ihre parlamentarischen Akteure müssen mit praktischer Arbeit überzeugen, die im Lebensalltag aller Menschen positiv spürbar ankommt. Die Menschen müssen die Chance haben, sich engagiert und fachlich kompetent in die Entscheidung von Sachfragen einmischen zu können. Stichwort „Ausbau der direkten Demokratie auch auf Landesebene“, zu der es aber eine Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheit braucht.

 

Wenn alle diese oben genannten Punkte besser umgesetzt werden, stehen die Chancen sehr, sehr gut, dass die Wahlbeteiligung auf Landesebene wieder nach oben geht.

Wenn wichtige Bausteine für wirklich demokratiefreundlichere Wahlen viel grundsätzlicher verortet sind und damit praktisch kaum etwas mit dem konkreten Wahltermin zu tun haben, gilt dann der einfache Schluss, dann ist es egal, ob September oder Oktober 2019? Nein, so einfach ist das nicht. Die Frage lautet dennoch, was bedeutet denn Demokratiefreundlichkeit bezogen auf einen Wahltermin ganz praktisch. In einer Demokratie soll im Optimalfall dem Wahltag ein inhaltlich umfangreicher, fundierter, aber in seiner Art und Weise sachlicher und fairer Wahlkampf vorausgehen. Die Wählerinnen und Wähler sollen sich intensiv und umfassend mit den unterschiedlichen inhaltlichen Positionen und Vorhaben der Parteien beschäftigen können. Sie sollen möglichst viele Gelegenheiten bekommen, mit den Kandidatinnen und Kandidaten direkt ins Gespräch zu kommen. Der Wahlkampf ist sozusagen inhaltlich wie zeitlich eine komprimierte Fassung der kontinuierlichen Themen bzw. Sacharbeit der Parteien und Kandidaten, die sonst außerhalb der Zeit des Wahlkampfes stattfindet. Viele Wählerinnen und Wähler verstärken daher ihr politisches Interesse in bzw. auf diese besondere intensive Wahlkampfzeit hin. Bei Festlegung des Wahltermins sollte daher beachtet werden, dass ein solcher intensiver Wahlkampf – dazu gehört die möglichst optimale Erreichbarkeit der Wählerinnen und Wähler – kontinuierlich über ausreichend lange Zeit möglich sein muss. Das heißt praktisch, ein Wahltermin zeitlich nah an den Sommerferien als Hauptreise- und Abwesenheitszeit und in der feriennahen Nachsaison ist für die Erfüllung der oben beschriebenen Wahlkampfaufgaben nicht wirklich sinnvoll. Zwar gibt es im Oktober 2019 vor dem festgesetzten Wahltermin, dem 27. Oktober – jetzt hören Sie gut zu! –, zeitlich ziemlich nah Herbstferien,

 

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Ja, genau!)

 

aber erfahrungsgemäß haben diese bei Weitem nicht solche Auswirkungen wie die Sommerferienpause. Ganz entscheidend: Bis zum Wahltermin am 27. Oktober verbleibt im Abstand zu den Sommerferien,

 

(Unruhe CDU)

 

also anders als bei einem Septembertermin, noch mehr Zeit für die Erledigung unserer parlamentarischen Arbeit und für einen inhaltlichen Wahlkampf und die demokratische Überzeugungsarbeit bei den Wählerinnen und Wählern. Fazit für uns: Der 27. Oktober ist der demokratiefreundlichere Wahltermin,

 

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: So einen Käse habe ich überhaupt noch nicht gehört!)

 

auch für die Wahlhelferinnen und Wahlhelfer. Ich danke Ihnen.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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