Demografische Entwicklung ernst nehmen. Zukunftsfähige Strukturen für Thüringen schaffen.

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 6/3626


Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, zunächst erst mal mein Dank an die SPD-Fraktion, die mit dieser Aktuellen Stunde einmal mehr die Notwendigkeit einer Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform hervorhebt.


(Beifall SPD)


Mein Dank gilt natürlich auch der Ministerin und ihrem Haus mit der Vorlage des Demografieberichts 2016, der vor Augen führt, dass der demografische Wandel eben tatsächlich eine ressortübergreifende Aufgabe ist und auch so verstanden werden muss. Lebten im Jahr 1990, das klang schon durch, noch 2,61 Millionen Menschen in Thüringen, so werden es 2035 nur noch knapp 1,9 Millionen Menschen sein.


(Heiterkeit CDU)



Vizepräsidentin Jung:


Meine Damen und Herren, ich bitte Sie wirklich, dem Redner die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.



Abgeordneter Hande, DIE LINKE:


Dabei ist eines klar ersichtlich: Der demografische Wandel ist zwar unterschiedlich ausgeprägt, aber er trifft jede Region. Denn demografischer Wandel bedeutet tatsächlich mehr als sinkende Geburtenzahlen und eine älter werdende Gesellschaft. Wir müssen darüber hinaus beobachten, dass Thüringen einen dauerhaft negativen Binnenwanderungssaldo aufweist. Es kehren noch immer mehr Menschen unserem Freistaat den Rücken zu als neu hinzukommen. Das gilt insbesondere auf Bewegungen mit unseren Nachbarländern Sachsen, Bayern und Hessen. Aber auch innerhalb unserer Landesgrenzen spielt die räumliche Bevölkerungsbewegung eine Rolle, zum Beispiel im Zuge der immer fortschreitenderen sogenannten Landflucht aufgrund infrastrukturell benachteiligter Regionen. Nicht zuletzt vollzieht sich auch unabhängig von der natürlichen und räumlichen Bevölkerungsbewegung ein Wandel aufgrund von vielfältigen Lebensentwürfen, was tendenziell zu mehr Singlehaushalten und weniger Mehrgenerationenhaushalten führt. Das bringt auch für die Kommunen entsprechende Anforderungen mit sich. Die Entwicklung ist nun mal nicht aufzuhalten, aber sie ist aktiv zu begleiten.


Wie im Demografiebericht dargelegt, muss eine solche Reaktion ressortübergreifend sein und darf auch vor Verwaltungs- und Gebietsstrukturen nicht haltmachen. Mit dem Leitbild „Zukunftsfähiges Thüringen“ wurde 2015 nicht nur ein erstrebenswertes Ziel, sondern eine dringende Notwendigkeit formuliert und letztes Jahr im Vorschaltgesetz verankert. Rot-Rot-Grün vollzieht damit den logischen Schritt, diese Entwicklung nicht nur wie in der Vergangenheit zu beobachten und zu kommentieren, sondern durch Anpassung der Verwaltungs- und Gebietsstrukturen auch aktiv zu begleiten, das heißt, auch die genannten Strukturen den Lebenswirklichkeiten der Menschen anzupassen. Und im Kern bedeutet das für die kommunalen Strukturen, dass, wie es im Landesentwicklungsprogramm 2025 definiert ist, die Zentralen Orte gestärkt werden müssen. Stärkung in diesem Zusammenhang heißt aber nicht nur einfache Eingemeindung, nein, die zentralen Orte müssen als Impulsgeber und als Zugpferd ihrer Region verstanden und entwickelt werden. Denn es ist keine Neuigkeit, meine Damen und Herren, wir befinden uns im Wettstreit der Regionen und einzelne Städte spielen da nicht mehr die alleinige Rolle. Dessen sollten sich natürlich auch die Akteure in den Zentralen Orten und den Gemeinden gleichermaßen bewusst sein. Denn statt Kirchturmdenken ist ein Denken in zukunftsfähigen Funktionsräumen wesentlich zielführender. Ein Wettbewerb der Regionen stellt alle Beteiligten vor große Aufgaben. Um die zu stemmen, ist ein größerer Gestaltungsspielraum notwendig, was wiederum auch größere Kommunen voraussetzt. Wenn also von Gestaltungsspielraum die Rede ist, meint das nicht nur die Stärkung der Finanzkraft, sondern es geht deutlich darüber hinaus. Zur Finanzkraft des Landes Thüringen, es wurde auch schon angesprochen, ist zu sagen: immer weniger Mittel für immer weniger Menschen, aber in gleicher Fläche. Gleichwertige Lebensbedingungen vorzuhalten, heißt eben auch, gleichwertige Verwaltungsstrukturen vorzuhalten. Die Menschen in ganz Thüringen haben einen Anspruch und ein Recht auf funktionsfähige und vor allem rechtssichere Verwaltung. Das zu bewerkstelligen, bedeutet für die Verwaltung ein erhebliches Risiko, vor allem auf personeller Ebene, und das nicht erst im Jahr 2035, sondern heute schon. Aber bis zum Jahr 2035 wird es in Thüringen 25 Prozent weniger Personen im erwerbsfähigen Alter geben. 34 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer werden über 65 Jahre sein. Unter diesen Bedingungen werden die kommunalen Verwaltungen auf dem Arbeitsmarkt mit allen anderen Arbeitgebern um Mitbewerber, Mitarbeiter konkurrieren müssen. Derzeit gibt es in Thüringen bei den kommunalen Verwaltungen etwa 15,5 Beschäftigte pro 1.000 Einwohner. Sie können sich selbst ausrechnen, wie groß der Bedarf an künftigem Personal auf lange Frist sein wird. Diese Konkurrenz entscheidet sich jedoch nicht alleine in der Höhe des Gehalts, sondern auch in der Attraktivität als Arbeitgeber auf kommunaler Ebene, aber eben auch der Attraktivität einer ganzen Region als Lebens- und als Arbeitsort, womit sich der Kreis an dieser Stelle wieder schließt.


Ich bin der Landesregierung abschließend sehr dankbar für die Begleitung dieses vielschichtigen Prozesses in Form des Demografieberichts und auch dankbar darüber, dass vor den kommunalen Strukturen und einer kommunalen Überarbeitung zurückgeschreckt wird.



Vizepräsidentin Jung:


Herr Abgeordneter Hande, Ihre Redezeit ist um.



Abgeordneter Hande, DIE LINKE:


Einen letzten Satz: Auch wenn von einigen Menschen das Ende des ländlichen Raums hier gesehen wird, ist es doch vielmehr dessen zukunftsfähige Entwicklung. Vielen Dank.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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