Datensparsamkeit statt Vorratsdatenspeicherung

Zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/1411 -


Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf den Antragsteller eingehen und meinen Dank zum Ausdruck bringen an die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die das Thema „Datensparsamkeit statt Vorratsdatenspeicherung“ auf die Tagesordnung gesetzt haben. Sie können sich mit Sicherheit noch daran erinnern, dass wir vor genau einem Monat unter einer anderen Überschrift, aber zumindest inhaltlich diese Thematik hier im Thüringer Landtag angesprochen haben. Leider hat sich - ich darf das noch einmal in Erinnerung rufen - keine Mehrheit gefunden, sich im Detail im Ausschuss sehr tiefgründig weiter mit dieser Materie zu beschäftigen.

Frau Kollegin Marx, ich kann mich noch daran erinnern, Sie haben damals schon sehr im Detail diese Sachlage geschildert. Insofern kann ich Ihren Vorwurf nicht nachvollziehen, wenn Sie sagen, dieser Antrag sei eine Einfältigkeit,


(Beifall DIE LINKE)


und begründen dann in mehreren Exkursen den Widerspruch zu Ihren Aussagen, es sei dringender Regelungsbedarf. Das kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Sie haben auf der einen Seite gesagt, jawohl, dazu gibt es Handlungsbedarf, und auf der anderen Seite sagen Sie „Einfältigkeit“. Ich sage, dem ist nicht so, sondern hier besteht ganz einfach eine bürgerrechtliche Notwendigkeit, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Vorratsdatenspeicherung ist und bleibt ein aktuell brisantes Thema. Ich denke, bezüglich der politischen Auseinandersetzung ist das auch gut so.

Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom März 2010 ist immer noch nicht umgesetzt, das ist ein Fakt. Die Landesregierung muss sich aus unserer Sicht endlich dazu positionieren - es gibt sehr unterschiedliche Aussagen, Herr Innenminister, Sie sind kurz darauf eingegangen -, wie sie letztlich mit Datenvorratsspeicherungen gerade im Bereich der inneren Sicherheit verfahren will. Sie haben durchaus die Erfolgsbilanz an den Fallbeispielen der Polizei relativiert. Sie haben sich damit - denke ich - noch einmal sehr deutlich als Befürworter - obwohl Sie es so nicht im Detail gesagt haben - an dieser Stelle geoutet. Aber ich gebe zur Kenntnis, dass es durchaus auch Stimmen der Landesregierung gab - die waren öffentlich durch die Presse wahrzunehmen - die zumindest leise - so will ich es mal formulieren - Zweifel angemeldet haben.


(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Wer war das?)


Ich kann Ihnen gern den Zeitungsausschnitt noch einmal zur Verfügung stellen, Herr Kollege Fiedler.


(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Nennen! So viel Zeit muss sein.)


(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Namen, Namen.)


Meine Damen und Herren, es scheint offiziell eine öffentlich-mediale Konfliktlinie - ich will es noch einmal benennen - innerhalb der Thüringer Koalition zu geben. Jetzt darf ich es sagen, sie verläuft aus meiner Sicht offensichtlich zwischen dem Innenministerium und dem Justizministerium. Es scheint - um es genau zu sagen, Herr Kollege, Sie wissen es doch besser als ich -, dass die Befürworter des Sicherheitsstaates beim Innenministerium angesiedelt sind und die Befürworter zur Stärkung von Persönlichkeitsgrundrechten im Justizministerium. Aber das ist meine Wahrnehmung, Sie können das durchaus anders sehen. Ich denke, die Diskussion ist an der Stelle auch noch nicht abgeschlossen. Aber, und da kann ich die SPD auch nicht außen vor lassen, um darauf zurückzukommen, Sie verharren auch in alten Gedankenmustern, denn in der Vergangenheit gab es auch schon prominente Funktionsträger


(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Wir halten es mit Otto Schily, da sind wir uns einig.)


innerhalb der SPD. Sehen Sie, Herr Kollege, darauf wollte ich eingehen, Herr Fiedler. Da gab es auch schon massive rechtliche Äußerungen zur Aufrüstung des Sicherheitsstaates durch die Instrumentalisierung von europäischen Gremien und da gab es den Prominenten Namen, Sie haben ihn vorweggenommen, Herr Otto Schily, das war ein profundes Beispiel dafür. Danke schön, für den Hinweis.


(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Otto und Beckstein waren es.)


Dieser Weg, meine Damen und Herren, über die europäische Hintertür besonders für das Thema Telekommunikationsüberwachung und Vorratsdatenspeicherung, weil die fragliche EU-Richtlinie insbesondere, das sollte man durchaus zur Kenntnis nehmen, auf Betreiben deutscher Regierungs- und Behördenvertreter zustande kam. Das Instrument der Vorratsdatenspeicherung ist - ich darf es mal definieren aus unserer Sicht - ein monströser Datenstaubsauger, auch wenn Sie, Frau Kollegin Marx, das etwas relativiert haben. Ich bleibe letztendlich bei dieser Feststellung, eine monströse Datenkrake,


(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


mit der jeder Nutzer und jede Nutzerin von Telekommunikationsmitteln, und das ist insbesondere gerade eine sensible Baustelle, unter einem absurden Generalverdacht des potenziellen Kriminellen gestellt wird. Denn zumindest vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde Millionen von Verbindungsdaten von praktisch allen Nutzern gespeichert, im Vorgriff auf eine noch völlig abstrakte, zukünftig vielleicht mögliche Gefährdung - also völlig ohne Anlass. Ein solcher Vorgang mit solchen Ausmaßen bzw. Datenmengen trägt schon aus meiner Sicht paranoide Züge.
Hier, denke ich, meine Damen und Herren, unterscheiden wir uns mit Sicherheit, Herr Kollege Fiedler, konservative Kontrollfanatiker bemühen sich, eine immer komplexer werdende Gesellschaft mit allen Instrumenten in den Griff zu bekommen, was einen massiven Eingriff in die Privatsphäre darstellt, gegen Menschen und Bürgerrechte verstößt und in seiner Wirksamkeit - aus unserer Sicht - mehr als zweifelhaft und untauglich ist. Das findet, meine Damen und Herren, die Ablehnung durch meine Fraktion. Kritische Fachleute weisen daher mit Erfahrungen aus der Praxis immer wieder darauf hin, dass nicht die aufgehäufte Datenmenge das entscheidende Kriterium für wirksame Strafverfolgung und Gefahrenabwehr ist, sondern der sinnvolle und qualifizierte Umgang mit Daten und die fachlich fundamentierte Analyse. Wir, die Fraktion DIE LINKE, lehnen daher die Vorratsdatenspeicherung als Instrument ab. Sie verstößt nicht nur gegen den datenschutzrechtlichen Grundsatz der Datensparsamkeit; damit bin ich auch wieder beim Antragstext der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Sie ist auch ein unzulässiger, aus unserer Sicht unnötiger Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und die Grundrechte auf Schutz der Privatsphäre, hier insbesondere dem Schutz der Telekommunikationsgeheimnisse in Artikel 10 Grundgesetz.

Nun werden Befürworter, das ist benannt worden, der Vorratsdatenspeicherung einwenden, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 2. März 2010 nicht die Vorratsdatenspeicherung, Herr Minister, Sie haben es auch gesagt, als solche abgelehnt hat, das ist richtig, aber das Gericht hat für weitere Anwendungen sehr hohe Hürden errichtet.


(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Und die halten wir ein.)


Das sollte man zur Kenntnis nehmen. Denn beim Instrument der Vorratsdatenspeicherung handelt es sich laut Bundesverfassungsgericht um einen besonderen, ich darf das zitieren, Frau Präsidentin, „schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt“. Auch wenn sich die Speicherung nicht auf die Kommunikationsinhalte erstreckt, lassen sich aus den Daten bis in die Intimsphäre hinreichende inhaltliche Rückschlüsse ziehen. Die Datendichte und die zeitliche Dauer erlauben durchaus in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zugehörigkeiten, zu persönlichen Vorlieben und Neigungen. Das Gericht weist auf das Problem der Erstellung von Bewegungs- und Persönlichkeitsprofilen hin. Die anlasslose Speicherung ist nur im Ausnahmefall und nur zum Schutz von hochrangigen Rechtsgütern und bei konkretem Verdacht auf schwerwiegende Straftaten erlaubt. Der Gesetzgeber muss Vorschriften zur Datensicherheit schaffen. Hier sage ich nur das Stichwort Grundrechtschutz durch Verfahren. Der Gesetzgeber wird durch das Urteil verpflichtet, zum Schutz der Bürger Transparenzregelungen, zum Beispiel Auskunftsansprüche, zu schaffen.

Eine heimliche Speicherung der Daten bedarf der richterlichen Anordnung. Der Gesetzgeber muss beim Rechtsschutz nachbessern, auch Verwertungsverbote zur Vermeidung schwerer Verletzungen der Persönlichkeitsrechte, muss er berücksichtigen.


Soweit, meine Damen und Herren, ein kurzer Überblick über die wichtigsten Hürden. Dennoch sagt DIE LINKE Nein zur Vorratsdatenspeicherung. Die Gefahr, dass diese dann auf dem Papier vorhandenen Schutzmechanismen in der Alltagspraxis mehr oder weniger schleichend ausgehöhlt werden, ist aus unserer Sicht viel zu groß. Außerdem ist für uns nicht geklärt, ist das Instrument der Vorratsdatenspeicherung zur Erreichung der angegebenen Ziele überhaupt generell notwendig und tauglich. Hier sei an einen anderen vormodernen Datenstaubsauger erinnert. Um bei der Begrifflichkeit einmal zu bleiben, die Rasterfandung hat sich in der Praxis aus unserer Sicht als untauglich erwiesen und auch für die Vorratsdatenspeicherung gilt, entscheidend ist nicht - ich wiederhole es gern noch einmal - die Datenmenge, sondern der analytisch richtige Umgang mit den Daten. Ein Staat, der in einem solchen Umfang so umfassend wie bei der Vorratsdatenspeicherung die Verfügungsmacht und staatliches Herrschaftswissen über private Informationen der Bürger erlangt, nimmt aus unserer Sicht durchaus schon totalitäre Züge an. Die demokratische Zivilgesellschaft dagegen lebt von der Achtung der Privat- und Intimsphäre der Bürgerinnen und Bürger. Die Vorratsdatenspeicherung stellt hier nach Ansicht meiner Fraktion einen politisch wie rechtlich unzulässigen Tabubruch dar. Das bedeutet für das weitere politische Agieren, auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Anwendung der Vorratsdatenspeicherung unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, sollte der Gesetzgeber mit Blick auf den Schutz und die Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft von diesen Möglichkeiten nicht Gebrauch machen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zwingt den Gesetzgeber nicht, diese anzuwenden. Wir brauchen, meine Damen und Herren, diese untaugliche Vorratsdatenspeicherung nicht.


(Beifall DIE LINKE)


Die Diskussion darüber, den demokratisch nicht unkontrollierbaren Nachrichtendiensten zum Beispiel dieses Instrument der Vorratsdatenspeicherung in die Hand zu geben, verbietet sich aus unserer Sicht sowieso. Nicht zuletzt, weil damit erneut das im Grundgesetz verankerte Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten noch mehr als schon geschehen, beschädigt wird. Mit dieser Entscheidung würde der Gesetzgeber, so nach unserer Ansicht auch die Meinung der Mehrheit der Bürger treffen. Ich darf daran erinnern, dass dem Urteil vom März dieses Jahres Verfassungsbeschwerden von mehreren Tausend Bürgerinnen und Bürgern zugrunde liegen. Damit ist dieses Verfahren das bislang größte Massenverfahren allein in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts. 
Ein weiteres Verfahren zu einer Form der Vorratsdatenspeicherung, wenn diese Form auch formalrechtlich nicht so genannt wird, ist derweil schon in Gange. Auch das wird ein Massenverfahren von mehreren Tausend Bürgerinnen und Bürgern vor dem Bundesverfassungsgericht werden. Es geht um ELENA. Die Monsterdatenspeicherung in Sachen Arbeitnehmerdaten, auch ELENA, ist ein solcher überflüssiger und in Sachen Grund- und Menschenrechte hochaggressiver Datenstaubsauger. Es wird niemanden, meine Damen und Herren, überraschen, dass wir als LINKE ELENA ablehnen.


Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 macht deutlich, dass im Verhältnis von EU-Recht und innerstaatlichem Verfassungsrecht noch zahlreiche Fragen hinsichtlich eines wirksamen und umfassenden Grundrechtsschutzes für Bürgerinnen und Bürger zu klären sind, das Verhältnis von EU-Ebene und nationaler Ebene in Sachen Grund- und Menschenrechtsschutz noch nicht völlig reibungsfrei gestaltet ist. Deutlich wird das letztendlich auch, dass die Demokratisierung der EU dringend weiter vorangetrieben werden muss. Die EU ist immer noch eine Union der Wirtschaft und der Regierungen, aber noch nicht wirklich eine Union der Bürgerinnen und Bürger, der Menschen. Frau Kollegin Marx, Sie haben sich hier durchaus noch einmal auf die Frage der EU-Richtlinie zur Telekommunikation geäußert und dazu Ihren Einwand geltend gemacht. EU-Richtlinie zur Telekommunikation verpflichtet sozusagen Ihre Aussage zur Vorratsdatenspeicherung. Dem muss ich entgegenhalten, dass die EU-Richtlinie nicht dazu führen darf, dass das Schutzniveau für Grund- und Menschenrechte auf nationaler Ebene unterlaufen werden darf, das zeigt auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es enthält in seinen Feststellungen direkt auch die Kritik an den EU-Regelungen. Die zuständige EU-Kommissarin hat übrigens nicht umsonst die Richtlinie nach dem Karlsruher Urteil auf den Prüfstand geschickt. In diesem Zusammenhang sei auch noch mal darauf zu verweisen, hinsichtlich der demokratischen Legitimation von EU-Regelungen bestehen nach Ansicht meiner Fraktion immer noch Mängel. Hier raten wir, auch die strukturellen Demokratiedefizite auf den Rechtsstand zu überprüfen bzw. die Rechtsetzung durchzusetzen. Zwar hat das EU-Parlament im Verfahren der Rechtsetzung schon mehr Mitwirkungsmöglichkeiten bekommen und der EU-Grundrechtekatalog ist verbessert worden, aber es bestehen immer noch massive Unterschiede zur nationalen Ebene.

Meine Damen und Herren, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts löst unseres Erachtens Handlungspflichten aus für die Thüringer Landesregierung. Welche das nach Ansicht meiner Fraktion sind, werden Sie noch im Detail zu den einzelnen Änderungsanträgen erfahren. Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall DIE LINKE)

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