Datensparsamkeit statt Vorratsdatenspeicherung

Zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/1411 -


Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Herr Mohring, er ist jetzt leider nicht da, hat ja heute sein Holzspielzeug zu Hause gelassen. Einige werden es gestern gesehen haben. Das war eine Figurengruppe, eine rote und eine schwarze Ameise und die knickten dann so wechselweise ein. Mal sehen, wer sich bei diesem Thema Vorratsdatenspeicherung durchsetzen wird, mal sehen, wer hier am Ende einknickt. Es gibt und es gab in Thüringen ja durchaus gegenläufige Auffassungen über Notwendigkeit und Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung. Vorhin wurde gefragt, ob wir die einmal zitieren könnten, ich würde mir gerne an dieser Stelle die Mühe machen. Die SPD im Bund hatte ja nach ihrer Zustimmung zu dieser Regelung in 2006 doch noch die bürgerrechtliche Kurve genommen und gehörte zu den Kritikern der Vorratsdatenspeicherung und das war auch in Thüringen so. Der Landesverband der SPD hier hat in 2007 einen entsprechenden Beschluss gefasst und Herr Dr. Poppenhäger hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im März dieses Jahres sehr euphorisch begrüßt. Ich darf zitieren: „Heute ist nicht nur für die 35.000 Klägerinnen und Kläger“, ich war übrigens auch eine dieser Klägerinnen, „ein guter Tag. Die Entscheidung ist ein weiterer Meilenstein beim Datenschutz und für Bürger- und Freiheitsrechte.“, so der Justizminister.


(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Es ist schon Sache des Gesetzgebers, die Erwartung zu formulieren, dass wir jetzt erfahren, wie die Haltung der Landesregierung zu diesem Thema ist. Wir als Gesetzgeber erwarten vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts auch nicht nur eine Positionierung, sondern eine eingehende Analyse der landesrechtlichen Regelung in Bezug auf dieses Urteil.


(Beifall DIE LINKE)


Da war mir die Äußerung heute Morgen von Ihnen, Herr Prof. Huber, ein bisschen zu dürftig, vielleicht können wir das im Ausschuss noch einmal ausführlich erörtern. Aber Sie waren gerade im Gespräch vertieft, Sie haben jetzt gar nicht mitbekommen, was ich gesagt habe. Deswegen auch von mir der Wunsch, dass wir die beiden Anträge im Ausschuss, also den Bericht des Innenministers und dann unseren Änderungsantrag im Ausschuss weiterberaten können. 
Die Bürger interessiert übrigens diese Debatte. Die Demonstrationen diesen Samstag in Berlin unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ ist Ausdruck dieser breiten gesellschaftlichen Debatte und auch diese Debatte im außerparlamentarischen Raum müssen wir hier reflektieren. Unsere Ablehnung des Instruments Vorratsdatenspeicherung ist Ihnen bekannt. Mein Kollege hat es ausführlich dargelegt und wir haben es ja auch in vielen Debatten hier zur Sicherheitsgesetzgebung in Thüringen formuliert. Vor diesem Hintergrund ist es natürlich folgerichtig, dass wir von der Landesregierung nicht nur eine rechtliche Analyse fordern, sondern einen umfassenden Verzicht auf das Instrument der Vorratsdatenspeicherung und ähnlich zu bewertender Befugnisse zur präventiven Sammlung und Zusammenführung personenbezogener und personifizierbarer Daten.


Deshalb unser Änderungsantrag oder ich will es verstanden wissen als Ergänzungsantrag zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Aber unsere Forderungen beziehen sich ausdrücklich nicht nur auf die Regelung der Vorratsdatenspeicherung im engeren Sinne. Eine vergleichbare Bewertung in Anwendung der rechtspolitischen Folgen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts trifft unseres Erachtens auch auf andere neue Verfahren zu, die wie das ELENA-Verfahren in Bereiche der Arbeitnehmerdaten dazu geeignet sind, personenbezogene und personifizierbare Daten in bislang unbekanntem Ausmaß zusammenzufassen und zu speichern. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass nach dem Urteil aus dem März dieses Jahres der Arbeitskreis „Vorratsdatenspeicherung“ sofort die Folgekampagne für die Massenverfassungsbeschwerde gegen ELENA auf den Weg gebracht hat.

Es geht also nicht nur um die Umsetzung des Urteils im streng juristischen Sinne. Es ist auch notwendig, dieses Grundsatzurteil, so wollen wir es verstanden wissen, weitergehend rechtspolitisch anzuwenden. Außerdem zeigt sich hinter dem Urteil auch eine Grundsatzfrage. Welche Gesellschaft wollen wir in Zukunft? Soll der Sicherheitsstaat dominieren, der seine Bürgerinnen und Bürger als potenzielle Gefahrenquellen unter Generalverdacht und permanentes Rundumdatenscreening stellt oder wollen wir die selbstbestimmte demokratische und auch soziale Zivilgesellschaft. Verteidiger der Vorratsdatenspeicherung sagen, wie auch zu allen anderen grundrechtseinschränkenden Befugnissen der Sicherheitsbehörden, dass diese gebraucht würden. Das Übermaßverbot zwingt eigentlich den Staat, alle seine Maßnahmen zu hinterfragen nach deren Erforderlichkeit, Geeignetheit und Zweckmäßigkeit. Die Frage ist immer zu stellen, ob nicht andere, weniger grundrechtseinschränkende Maßnahmen nicht denselben Zweck erreichen würden. Wir sind der Auffassung, dass bei allen Kriterien die Vorratsdatenspeicherung dieser Prüfung nicht standhalten wird. Wir sollten daher, und das würde ich dann gerne auch im Ausschuss tun, diese von Ihnen genannten Einzelfälle danach befragen, ob andere, niedrigschwelligere Ermittlungsmethoden auch zum Erfolg geführt hätten. Denn der polizeiliche Mehraufwand, den diese niedrigschwelligeren Ermittlungsmethoden mit sich gebracht hätten, darf eigentlich nicht rechtfertigen, dass wir eine massiv grundrechtseinschränkende Methode anwenden.


(Beifall DIE LINKE)


Wir möchten, so ist unser Änderungsantrag formuliert, bewusst aber nicht nur über die Erfassung von Kommunikationsdaten sprechen. Am Beispiel der Datenzusammenfassung ELENA wird noch ein anderer Aspekt unserer Kritik deutlich. Dieser Datenpool birgt nämlich die Gefahr, zur sozialen Disziplinierung einer Gesellschaft beizutragen, die gekennzeichnet ist von Verwerfungen und Ungleichverteilung bei Arbeit, Einkommen und Ressourcen. Das ist auch eine gesellschaftspolitische Dimension, die wir bei dieser Frage mit beachten müssen. Also kurz gesagt, keine Vorratsdatenspeicherung, keine präventiven Sammlungen von personenbezogenen personifizierbaren Daten, nicht auf Bundesebene und das muss nach unserer Meinung auch für die Ebene der Bundesländer gelten. Einerseits hoffen wir natürlich auf die zukünftigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, andererseits ist es auch eine bedenkliche Entwicklung, wenn Politik ungeachtet der Grenzen der Schutz- und Abwehrrechte Befugnisse zum Grundrechtseingriff beschließt und es auf klagende Bürger und Bürgerinnen letztendlich ankommt, nicht auf gesetzgebende Parlamente, über ein Gericht einen verfassungskonformen Rechtszustand herzustellen.


Vor diesem Hintergrund fordern wir die Landesregierung auf, in diesem Sinne aktiv zu werden und Anknüpfungspunkte für die grundrechtswidrige Speicherung von Daten zu Bevorratungszwecken auch im Landesrecht - soweit vorhanden - zu beseitigen. Die Landesregierung soll auch alle ihre Möglichkeiten nutzen, um die Löschung etwaiger Daten durchzusetzen, soweit dies nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht schon geschehen ist. Die Landesregierung soll im Bundestag aktiv werden, um gegen alle Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung auf Bundesebene aktiv zu werden, und natürlich auch auf europäischer Ebene ihre Möglichkeiten nutzen, um auf eine Novellierung der TKÜ-Richtlinie hinzuwirken. Es ist nun eine Sache der Landesregierung, sich in der Sache zu positionieren. Eine Äußerung des stellvertretenden Ministerpräsidenten lässt mich hoffen. Christoph Matschie, im März dieses Jahres, Zitat: „Die Freiheit des Einzelnen, informationelle Selbstbestimmung und der Datenschutz sind hohe Güter, welche wir nicht leichtfertig auf dem Altar der Täterbekämpfung opfern dürfen.“


(Zwischenruf Abg. Dr. Pidde, SPD: Stimmt.)


Stimmt. Dann weiter so! „Die Grund- und Bürgerrechte, die demokratische Zivilgesellschaft und die Menschen, die vom Generalverdacht und ständigen Zugriff des Staates auch privat und in der Intimsphäre betroffen oder bedroht sind, werden zufrieden zur Kenntnis nehmen, wenn sich das auch in Praxis in Landesrecht umsetzen wird.“


(Beifall DIE LINKE)


Bei dieser Äußerung will ich dem etwas entgegenstellen, was der Kollege Gumprecht eben gerade gesagt hat. Er hat formuliert: Ein unwissender Staat ist ein unnützer Staat. Ich will ihm entgegnen: Ein allwissender Staat ist ein gefährlicher Staat.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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