Bericht der Parlamentarischen Kontrollkommission gemäß § 33 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes

Meine Damen und Herren, im Koalitionsvertrag haben sich die Parteien Die Linke, SPD und Grüne dazu verständigt, das an die Öffentlichkeit gerichtete Berichtswesen des Verfassungsschutzes einer Revision zu unterziehen. Meine Damen und Herren, ich habe erheblich Mühe, in dem gehaltenen Bericht der Parlamentarischen Kontrollkommission auch nur Nuancen von Ergebnissen einer solchen Revision zu erkennen. Das liegt nicht in erster Linie daran, dass ich um 10.30 Uhr nicht viel schlauer gewesen bin als um 9.00 Uhr, als der Bericht begonnen hat, sondern es liegt vor allem daran, dass das Parlament und damit auch die Öffentlichkeit nicht tatsächlich über die Arbeit der Parlamentarischen Kontrollkommission informiert worden sind, sondern wir vielmehr im Bericht der Parlamentarischen Kontrollkommission eine fortsetzende Darstellung der Arbeitsweise des Amts für Verfassungsschutz hören durften.


Ich will gern auch auf den im Bericht zitierten Passus im Thüringer Verfassungsschutzgesetz hinweisen. Dort heißt nämlich als Aufgabe dieses Amts in § 4 Abs. 1: Das Amt habe die Aufgabe, die zuständigen Stellen insoweit in Fähigkeit zu versetzen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die demokratische Grundordnung einzuleiten. Ich frage Sie: Welche sind denn in einer Demokratie die in erster Linie zuständigen Stellen? In erster Linie ist die demokratische Öffentlichkeit zuständig und in zweiter Richtung ist das Parlament zuständig. Wir haben weder in diesem Bericht noch in den Berichten der vergangenen Jahre auch nur einen Ansatz gehabt, wo dieses Amt in der Lage gewesen ist und einen Beitrag dazu geleistet hat, dass diese beiden zuvorderst zuständigen Stellen für den Schutz der Demokratie tatsächlich auch vom Amt heraus eine Möglichkeit erhalten haben zu agieren, sondern im Gegenteil hat es das Amt diesem Parlament und der Öffentlichkeit schwer oder sogar unmöglich gemacht, hier aktiv zu werden, und sie mussten sich selbst in vielfachen politischen Diskussionen, aber auch stützend auf die Recherchearbeit vieler politischer Gruppen und Medien selbst eine Grundlage beschaffen. Ich glaube, wir waren in Thüringern auch in diesem Bereich sehr erfolgreich und werden unter anderem im NSU-Untersuchungsausschuss diese Arbeit auch weiter fortsetzen.


Weil dieses Urteil so grundsätzlich ist, auch vor dem Hintergrund des eigenen Aufgabenanspruchs dieses Amts, sage ich, dass wir in dem heutigen Bericht eine erneute Bestätigung erfahren haben, dass unsere Forderung nach Auflösung dieses Amts die richtige Forderung ist und nicht die Forderung nach mehr Personal und mehr Mitteln.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen ist es auch umso wichtiger, dass wir das ernst nehmen, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wir haben uns in Kenntnis unterschiedlicher Positionen das Amt betreffend zu wesentlichen Reformschritten verständigt. Das war ein sehr schmerzhafter Prozess auch für die Linke, weil es eine deutliche Abkehr früherer Positionen beinhaltete.


Aber wir haben darüber hinaus auch vereinbart, eine Expertenkommission einzusetzen, die genau dieser Frage auf den Grund geht, welche Notwendigkeit und welche Berechtigung ein nach innen gerichteter Geheimdienst eigentlich in der Auseinandersetzung mit Gefahren für die Demokratie hat. Wir fordern hier nachdrücklich, diesen Teil des Koalitionsvertrags umzusetzen, die Expertenkommission einzuberufen und die tatsächliche Diskussion darüber auch zu führen und weniger politisch hier von dieser Stelle aus, sondern mit wirklich Sachverständigen und Experten in dieser Frage.

Ich will aber zurückkommen zum Bericht der Parlamentarischen Kontrollkommission. Was beinhaltet der Bericht, der uns hier heute vorgetragen worden ist? Die ParlKK erfüllt ihren gesetzlichen Auftrag. Davon, meine Damen und Herren, sind auch wir ausgegangen, und darüber hinaus haben wir eine Aufzählung von Veranstaltungen, Organisationen und Straftaten gehört, die im Wesentlichen bereits seit Jahren der öffentlichen Medienberichterstattung unterlagen und deshalb auch bekannt waren. Nichts haben wir darüber erfahren, ob es möglicherweise auch nach dem NSU einen Ansatzpunkt gegeben hätte – aus unserer Sicht war dafür die dringende Notwendigkeit gegeben, dass man sich im Amt, aber auch im Rahmen der Parlamentarischen Kontrolle neu darüber verständigt –, ob die Einordnungskriterien, die seit vielen Jahrzehnten in der alten Bundesrepublik, aber seit 25 Jahren auch in den neuen Bundesländern gelten, für das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes überhaupt noch tatsächlich belastbar sind und nicht auch einer dringenden Revision bedürfen hinsichtlich ihrer zugrunde liegenden Beurteilung.


Da komme ich auch auf den Wesenskern unserer Kritik zurück, denn was diesen Bericht trägt und eben auch dann in Fortsetzung die Arbeit des Verfassungsschutzes ausmacht, ist das nach wie vor vorhandene Stützen auf die Extremismustheorie, die permanente Gleichsetzung von Rechtsextremismus, Linksextremismus und Ausländerextremismus – als Extremismus zusammengefasst, als Gefahr für die Demokratie. Nun werden ja sicherlich viele, was die extreme Rechte anbetrifft, auch der Aussage zustimmen, dass es sich hier um höchstgefährliche Entwicklungen handelt, um antidemokratische rassistische Politikinhalte, die mit einer offenen und demokratischen Gesellschaft nicht in Vereinbarung zu bringen sind. Aber, meine Damen und Herren, der Extremismusbegriff ist genau untauglich in dieser Frage, eine inhaltliche Bewertung vorzunehmen und tatsächlich die Gefahren angemessen zu beschreiben.


(Zwischenruf Abg. Dr. Voigt, CDU: Nur weil es euch nicht passt, kommt …!)


Denn – und das ist eben der zentrale Kritikpunkt – der Extremismusbegriff ist ohne jeden Inhalt und hat nur eine Funktion: den demokratischen Verfassungsstaat jeder Kritik zu entheben.


(Zwischenruf Abg. Dr. Voigt, CDU: Unglaublich!)


Der Abgeordnete Fiedler hat in seiner Rede auch sehr deutlich gemacht, was eine Folge dieses Extremismusbegriffs und der Verwendung in der politischen Auseinandersetzung ist, er forderte nämlich im Zusammenhang mit neonazistischen Konzertveranstaltungen, diese einfach aus dem Land zu treiben. Das zeigt eben, das hinter diesem Extremismusbegriff keine Auseinandersetzung mit Politikinhalten, mit Einstellungen, die in dieser Gesellschaft weit verbreitet sind, tatsächlich stattfinden kann, sondern diese verhindert wird. Denn wenn man das ernst nimmt, was Herr Fiedler sagt, und fortsetzt und sich die in der letzten Woche veröffentlichte Mitte-Studie noch mal zur Hand nimmt, dann müsste Herr Fiedler sich hier vorn hinstellen und sagen, die komplette enthemmte Mitte müsste aus dem Land gejagt werden und dann hätten wir ein sehr viel größeres demografisches Problem als das, was wir gestern hier diskutiert haben.


Es kommt dann eine zweite Folge hinzu, die ich Ihnen sehr deutlich benennen will. Sie brauchen, um den Extremismusbegriff in der politischen Auseinandersetzung fortleben zu lassen, natürlich die drei Bereiche von Rechtsextremismus, Linksextremismus und Ausländerextremismus oder Islamismus, wie es jetzt sehr konzentriert heißt. Hinter dieser praktisch zusammenfassenden Vereinheitlichung von völlig inhaltlich unterschiedlichen politischen Konzepten droht nämlich tatsächlich die Verharmlosung von gefährlichen Entwicklungen in sehr unterschiedlichen Bereichen und es droht auf der anderen Seite auch, dass Sie einen Popanz aufbauen, der überhaupt keine Grundlage hat, wenn es um demokratiegefährdende Einstellungen geht. Dann will ich Ihnen auch nachdrücklich mal ans Herz legen, was selbst vom Bund, von Ihrer Bundesregierung geförderte Programme zutage gebracht haben, die sich über mehrere Jahre mit dem Phänomenbereich des Linksextremismus auseinandergesetzt haben und dann im Ergebnis zusammenfassend feststellen, dass „sich nach drei Jahren Projektdauer, intensiven Auseinandersetzungen mit externen Partnerinnen und über 400 Teilnehmenden sagen lässt, dass sich ein Vorhandensein linksextremer Einstellungen und Haltungen im Sinne eines Rückgriffs auf geschlossene linksextreme Welt- und Menschenbilder nicht konstatieren lässt“ –, so das Ergebnis der Projekttätigkeit der EJBW in Weimar, gefördert im Rahmen des Bundesprogramms.


Ich meine, das Amt für Verfassungsschutz und auch die Parlamentarische Kontrollkommission wären gut beraten, sich mit derartigen Befunden einmal auseinanderzusetzen und diese zum Anlass zu nehmen, ob man die Arbeit des Amts für Verfassungsschutz und damit in der Folge auch der Parlamentarischen Kontrollkommission einer Revision tatsächlich auch grundlegend unterzieht. Ich will Ihnen auch mal ein konkretes Beispiel aus der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der AfD benennen, wo deutlich wird, welchen praktischen Ausfluss das wirklich hat und was damit in der Konsequenz verbunden ist. Wenn Sie die Anlage linksextremistischer Aktivitäten in dieser Drucksache zur Hand nehmen, dann werden Sie unter „Linksextremistische Aktivitäten“ einen Eintrag vom 4. November 2015 finden. An diesem Tag haben 1.700 Menschen gegen einen rassistischen Aufmarsch der AfD demonstriert.


(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Frau Präsidentin, also ich bitte Sie, das ist doch ...!)


Das ist eine linksextremistische Aktivität, weil – und das können Sie nachlesen – die MLPD zu dieser Demonstration mit mobilisiert hat.


(Unruhe AfD)


Was Sie allerdings nicht in dieser Antwort auf die Große Anfrage der AfD finden, ist bei den „Rechtsextremistischen Aktivitäten“ am 4. November 2015 ein entsprechender Eintrag,


(Beifall DIE LINKE)


dass Organisationen wie die NPD, die Identitäre Bewegung und die Partei DIE RECHTE erkennbar als Gruppierung, als Organisation an dem rassistischen Aufmarsch der AfD teilgenommen haben. Das …


(Beifall DIE LINKE)


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