Bericht der Landesregierung zu ihren Aktivitäten auf dem Gebiet der Aufarbeitung der SED-Diktatur in Thüringen für den Zeitraum März 2017 bis Februar 2018

Katja Mitteldorf

Zum Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 6/5416

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, liebe Zuhörerinnen am Livestream – auf der Besuchertribüne ist leider niemand mehr da –, wir befassen uns heute erstmalig – und darauf ist ja schon eingegangen worden – mit einem Bericht der Landesregierung zu ihren Aktivitäten auf dem Gebiet der SED-Aufarbeitung. Uns war es als Koalitionsfraktion ein Anliegen, nachdem wir – und auch das haben wir bereits festgestellt – den nunmehr dritten Bericht vorliegen haben, dass wir diesen auch nutzen, um im Plenum darüber zu diskutieren. Allerdings – und das muss ich auch sagen – vermisse ich bis jetzt die Debatte darüber. Das finde ich sehr schade.

 

Ich nehme wirklich positiv zur Kenntnis und kann das auch wirklich für mich positiv einordnen, dass der Kollege Wirkner offensichtlich wirklich schwer beeindruckt vom Bericht der Landesregierung ist, da er ihn ja fast komplett vorgelesen hat und ich leider ein bisschen vermisst habe, seine Stellungnahme oder Auffassung dazu zu hören. Das finde ich sehr schade, zumal es mich wirklich interessiert hätte, zu diesen Sachverhalten in den Austausch zu kommen. Es ist aus verschiedenen Richtungen beschrieben worden, was im Bericht steht. Ich begrüße übrigens an dieser Stelle auch den Landesbeauftragten Herrn Dietrich, der ja der Debatte hier auch im Raum folgt. Nach Lesen des Berichts gibt es drei Punkte, die sich daraus für mich ableiten. Das eine ist, dass ich wirklich sagen muss, dass die Arbeit der IMAG ganz offensichtlich in den letzten drei Jahren, aber ganz besonders im letzten Jahr einiges erreicht hat. Und das auch im Zusammenhang mit Parlamentsbeschlüssen, die wir hier zum Teil als Koalitionsfraktionen aber auch – und das ist mir oftmals gerade bei diesem Thema sogar noch viel wichtiger – mit der CDU zusammen gefasst haben, die die Landesregierung beauftragt oder sie unterstützt haben bei Vorhaben auf Bundesebene und Bundesratsinitiativen. Der Bericht zeigt also, dass es möglich ist, Dinge zu bewegen, dass es möglich ist, Mehrheiten zu finden.

 

Liebe Frau Herold, wenn Sie von juristischen Spitzfindigkeiten und Mehrheitsfindungen reden, die aus Ihrer Sicht nicht nötig sind, dann frage ich mich, gerade wenn durch bestehende Gesetze Ungerechtigkeiten nach wie vor oder erneute Ungerechtigkeiten gerade für Menschen, die Opfer geworden sind, bestehen, wie sollen die denn geändert werden, wenn nicht durch Mehrheiten. Das ist das Teil dieser Demokratie, dass es natürlich im parlamentarischen Ablauf Mehrheiten braucht, um Veränderungen zu erzeugen. Deswegen kann ich nur ganz besonders dem Ministerpräsidenten und auch der Staatssekretärin Frau Dr. Winter meinen Dank dafür aussprechen, dass sie unermüdlich sind gerade in der Frage der Zwangsausgesiedelten zum Finden von Mehrheiten durch die MPK-Ost und dann eben auch für den Bundesrat. Man sieht eben auch, das ist die Grenze dessen, was man als einzelnes Bundesland erreichen kann. Das sieht man am Beispiel der Zwangsausgesiedelten, denn genau da sind wir an dem Punkt, dass das Problem erkannt ist, wir kennen die Folgen davon. Ich selbst treffe mich alle drei Monate mit Marie-Luise Tröbs, der Präsidentin des Bundes der Zwangsausgesiedelten, zu sehr regem Austausch. Wir reden zwei bis drei Stunden miteinander bei jedem Treffen und das ist natürlich nicht nur für sie sondern auch für mich jedes Mal eine sehr emotionale Begegnung.

 

Wir kennen im Endeffekt die Stellschrauben, wo wir einhaken müssen, aber uns fehlen die Mehrheiten dafür. Das ist eine Frustration, die sich auch bei mir in gewisser Weise breitmacht, wo es nicht nur darum geht, dass man auf Landesebene Dinge tun kann, denn auch da muss man sagen, dass natürlich Thüringen in den Jahren 1997 bis 2000 schon im Bereich der Zwangsausgesiedelten eine Sonderregelung getroffen hatte und durch die Stiftung Zwangsausgesiedeltenhilfe pauschale Beträge damals von 4.000 D-Mark an Zwangsausgesiedelte ausgezahlt hat. Das ist ein Novum, das ist in Deutschland bzw. in den ehemaligen ostdeutschen Bundesländern sonst nicht passiert. Das ist sozusagen nur in Thüringen passiert. Aber es gibt eine Problematik, die auf Bundesebene geklärt werden muss. Das hat auch etwas damit zu tun, dass nach wie vor nicht geklärt ist, was denn eigentlich mit dem Entschädigungsfonds auf Bundesebene ist, in den auch die Zwangsausgesiedelten im Zuge ihrer Rehabilitierung, also nach ihrem Rehabilitierungsprozess, nach der Wende, einzahlen mussten. Wir haben nach wie vor das Problem, dass aufgrund von steuerrechtlichen, finanzrechtlichen Dingen, die auf Bundesebene liegen, viele Zwangsausgesiedelte, wenn es darum geht, für ihre enteigneten Besitztümer entschädigt zu werden, keine Bescheide bekommen. Diese Rechtsproblematik ist keine Problematik, die das Bundesland Thüringen allein lösen kann, so gern es das wollen würde. Genau dafür braucht es die Zusammenarbeit mit den anderen ostdeutschen Bundesländern. Ich bin sehr froh, dass es zumindest in Sachsen-Anhalt Hoffnung gibt, insofern, dass die dortige Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur ein Forschungsprojekt an der Uni Halle/Wittenberg angeregt hat, um genau diese juristische Frage zu klären. Ich hoffe, dass wir das auch weiter verfolgen können.

 

Ich kann Bodo Ramelow und Babette Winter und natürlich die restliche Landesregierung nur bitten – und weiß auch, dass sie das tun werden –, an diesen Sachverhalten weiter dran zu bleiben, weil ich glaube, wir können – das ist auch mehrfach gesagt worden – nicht länger warten. Denn das, was ganz ernsthaft passiert, ist, dass die Menschen immer älter werden. Irgendwann sterben sie, ohne dass sie jemals wirklich ernsthaft entschädigt wurden. Sie sind zwar quasi per Blatt rehabilitiert, aber sie sind nie entschädigt worden für die Immobilien, für die Grundstücke und natürlich auch nicht für die seelischen Schmerzen und für das Trauma und die Traumata, die sie erlitten haben. Ich finde, da noch mal wirklich eindringlich weiter zu diskutieren ist auch eine Aufgabe von uns Parlamentariern, weil wir alle Verbindungen haben in die anderen Bundesländer, in die anderen Länderparlamente, da einfach noch mal weiter versuchen, zu sensibilisieren.

Ich kann das auch von mir sagen. Ich habe mittlerweile die dritte Ansprechperson in meiner eigenen Bundestagsfraktion; also auch da. Es liegt auch in den einzelnen Fraktionen daran, dass es in dem Fall ein sehr krasses, kompliziertes Rechtskonstrukt ist, wo wir, glaube ich, nur gemeinsam weiter daran arbeiten können. Da würde ich gerne – also demzufolge noch mal beispielhaft –, an die Kolleginnen und Kollegen appellieren, auch in den anderen Bundesländern dafür weiter zu sensibilisieren, weil ich glaube, die Chancen stehen auch mit der Entfristung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze ganz gut, um da auch die Voraussetzungen geschaffen zu haben, um daraus abzuleiten, eine Lösung für die Zwangsausgesiedelten zu finden.

 

Aber wie ich bereits eingangs gesagt habe: Ich finde es wirklich bemerkenswert, was wir innerhalb des letzten Jahres, besonders auch mit Unterstützung des Parlaments, gerade auf Bundesebene in diesem Bereich geschafft haben.

 

Ich will aber einen Punkt noch mal sagen, der mich wirklich nach wie vor auch ein bisschen ärgert. Das ist die Frage der BStU-Außenstellen. Wir haben – und auch das wird in dem Bericht natürlich erwähnt – hier eine Debatte gehabt. Es kam zu einer Situation – die für mich nach wie vor unergründlich ist –, in der die gemeinsamen Aktivitäten zwischen Koalitionsfraktionen und der CDU nach einem Gespräch mit Roland Jahn irgendwie auseinandergetriftet sind. So richtig habe ich nach wie vor nicht verstanden, warum das eigentlich damals passiert ist, weil ich trotz alledem glaube, dass wir im Kern die Intensionen teilen. Das hat Herr Wirkner ja heute auch noch mal vorgegeben. Aber ich muss eben feststellen, dass es damals in der Debatte dazu eine Aussage gab, die hieß, wir müssen das jetzt alles sofort entscheiden und machen und tun, weil der Bundestag wird noch vor der nächsten Bundestagswahl über ein Konzept entscheiden – das hat auch Roland Jahn uns so gesagt –, woraufhin ich zumindest immer wieder darauf verwiesen habe, dass der Beschluss im Bundestag eine völlig andere Formulierung hatte, nämlich dass genau das nicht passiert, und dass der Bundestag beschlossen hat, eine Entscheidung über die Ergebnisse der Expertenkommission zur Zukunft der Stasiunterlagenbehörde eben nicht mehr in der jetzt nunmehr letzten Wahlperiode beschließen wird, sondern darüber nachdenkt, das in dieser zu beschließen. Ich kann nur hoffen – und auch das hatte Herr Wirkner ausgedrückt -, dass dies auch wirklich passiert und dass man nicht sagt, jetzt lassen wir das alles der Diskontinuität unterfallen und jetzt ist uns das alles nicht mehr wichtig.

 

Ich glaube, da haben wir ja unsere Landesregierung – Gott sei Dank – auch im Rücken, zu wissen, dass es weiterhin wichtig sein wird, sich genau auf diesem Gebiet zu engagieren. Im Übrigen liegt ja das Konzept, was Roland Jahn vorlegen soll – dazu ist er ja beauftragt worden –, was auch die Frage der Überführung des Archivmaterials in das Bundesarchiv – was ja nicht bedeutet, dass die Akten quasi nach Berlin wandern, sondern dass einfach die Überführung in das Bundesarchiv passiert –, auch noch nicht vor. Ich würde mich freuen, wenn wir vielleicht wieder gemeinsam mit der CDU in einem Gespräch mit Roland Jahn, wenn es denn vorliegt, auch darüber reden können.

 

Es ist schon gesagt worden, dass die IMAG wirklich viel, auch interdisziplinär, erreicht hat. Ich war auch an einigen Veranstaltungen der Veranstaltungsreihe „Was auf der Seele brennt“ und auch da war zu merken, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierung alle anwesend sind, dass quasi mit den Opfern, mit Interessierten, mit Historikern darüber debattiert wird, was möglich ist und was nicht und das in einer sehr ruhigen Umgebung auf Augenhöhe. Auch das hat mich sehr berührt, denn es beweist für mich einmal mehr das, was ich auch immer wieder sage, Aufarbeitung ist kein abhakendes Element. Das heißt, Aufarbeitung funktioniert nicht, indem man sagt „So, wir machen jetzt das, haken das ab und jetzt haben wir das irgendwie erreicht“, sondern Aufarbeitung ist ein Prozess. Meine Erfahrung ist, wenn ich mit Opferverbänden spreche, und das mache ich auch sehr regelmäßig, dass Aufarbeitung vor allem langfristige Prozesse sind, die Vertrauen brauchen und die einen geschützten Raum brauchen. Deswegen kann ich vielleicht sogar ein bisschen nachvollziehen, wenn – wie hier in dem Bericht beschrieben – unter dem Punkt der AG Christen, die ins Leben gerufen wurde, hier im Bericht noch mal erwähnt wurde, dass sozusagen von der Partei Die Linke mehr Öffentlichkeit erwartet wird zu der Frage Christen in der DDR. Aber da kann ich auch nur darauf verweisen, ja, man kann darüber nachdenken, man kann aber auch zur Kenntnis nehmen, dass wir bereits neunzehnhundert – und jetzt muss ich lügen –, also vor den 2000ern in der Reihe „Kultur neu denken“, die meine sozusagen Vorgängerin Birgit Klaubert damals noch mit der Bundestagsfraktion zusammen gemacht hat, eine Veranstaltung hatten mit dem Titel „Über Gott reden“. Dabei ging es nicht nur um das Verhältnis von der Partei – damals noch, glaube ich sogar PDS oder Die Linkspartei.PDS – zu Religion und Christentum, sondern es ging sozusagen auch um die Frage Rückblick auf die DDR und um die Frage der SED Aufarbeitung.

 

Also es sind Dinge, die man einfach auch mal zur Kenntnis nehmen muss, und das sehe ich auch als meine Aufgabe an, da den Kontakt noch mal zu intensivieren, also mit Christhard Wagner treffe ich mich natürlich regelmäßig und der weiß das auch, und er weiß auch um die Bemühungen auf diesem Gebiet. Aber das sind Dinge, die ich völlig gerechtfertigt finde, sie in einem solchen Bericht zu lesen, man muss sie dann aber, glaube ich, auch ein bisschen in Relation stellen, so viel vielleicht.

 

Dann ist mir ein Anliegen noch ganz wichtig zu sagen. Da geht es mir wieder um die IMAG, weil ich hoffe, dass es im Zweifelsfalle auch nach dieser Legislatur eine Fortführung dessen gibt, egal wer da Regierungsverantwortung trägt. Aber ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass es in der IMAG „Aufarbeitung“, auch wenn es eben eine interministerielle Arbeitsgruppe ist, eine Möglichkeit und einen Raum gibt, dass parlamentarische Vertreterinnen und Vertreter mitwirken. Denn es ist natürlich so: Wir lesen alle den Bericht und es gibt im Zweifel Dinge, wo wir im Entstehungsprozess vielleicht auch noch einen Impuls hätten reingeben können oder einfach auch die Frage noch mal hätten anders betrachten können oder einfach als Verbindung und als Brücke auch zu den Menschen noch verstärkter hätten agieren können. Das würde ich mir einfach wünschen, dass wir oder die Landesregierung auch mal bitten, darüber nachzudenken, ob man dieses Format, also die IMAG sozusagen mit einem weiteren Format andockt, um auch noch ein bisschen mehr den Bezug zum Parlament herzustellen. Denn – und das ist völlig klar – Aufarbeitung und auch ein Stück weit Versöhnung, das ist eine Gemeinschaftsaufgabe von logischerweise nicht nur Zivilgesellschaft, sondern von Landesregierung und Parlament, und zwar egal, welcher Couleur. Herzlichen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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