Beendigung des Kooperationsverbots im Bildungsbereich 1/2

Zum Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 6/3808


Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Kollege Tischner hat eben zu unserem Antrag gesprochen und nicht allzu viel dazu gesagt, denn unser Antrag beschäftigt sich ausdrücklich eben nicht mit den Abstimmungen, die im föderalen Bildungssystem auch notwendig und sinnvoll sind, sondern mit der Frage der Finanzbeziehung, um eine gesamtstaatlich wahrgenommene Aufgabe auch tatsächlich finanzieren zu können.


Wir haben als Land Thüringen viele wichtige Aufgaben vor uns. Wir haben erst gestern erleben dürfen und erleben müssen, dass ein Bericht einer Kommission vorgestellt worden ist, also ein Bericht zur Zukunft der Schulen in Thüringen vorgestellt worden ist, wo sich die CDU-Landtagsfraktion in ihrer Pressemitteilung zwar in wüsten Beschimpfungen ergangen ist, aber konkret auf die einzelnen Inhalte bis auf Unterstellungen, dass in diesem Bericht irgendwas enthalten wäre, was Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung beinhaltet hätte, überhaupt nichts beigetragen hat.


Wir wissen – und das nicht erst seit heute, sondern schon seit elf Jahren –, dass es nach der Föderalismusreform im Bildungssystem in Deutschland krankt. Die Föderalismusreform, Kollege Tischner hat es hier so als große Errungenschaft dargestellt, ist in dem Bereich Bildung an einem Punkt, und zwar an einem Ministerpräsidenten, damals der hessische Ministerpräsident Koch, in eine andere Richtung gelaufen, als Ministerpräsident Koch gesagt hat, und zwar als finanzstarkes Land: Ich möchte nicht, dass mein Bildungssystem zukünftig noch weiter von Bundesvorgaben, die natürlich in der föderalen Beziehung zwischen Bund und Ländern immer da sind, weiter tangiert wird. Deswegen möchte ich da weitgehende Autonomie. – Das kann sich ein finanzstarkes Bundesland wie Hessen oder Baden-Württemberg oder Bayern sicherlich auch leisten. Die Frage ist aber: Kann sich das ein Land wie Thüringen, wie Sachsen-Anhalt, wie Sachsen, wie Berlin noch leisten?


Es stimmt eben nicht, dass wir mit unserem Antrag einen Schaufensterantrag oder Placeboantrag geschrieben hätten, sondern wir sind da sehr wohl in einer bundesweiten Abstimmung und auch Bewegung, die die letzten Jahre schon forciert worden ist und jetzt mit dem Berliner Antrag auch im Bundesrat, dem wir unseren Antrag beistellen wollen, irgendwann deutlich macht: Es geht eben nicht nur Thüringen allein so, gute Bildung auch auskömmlich und dauerhaft zu finanzieren. Es ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, der wir uns dort stellen und auch gerne stellen. Die CDU ist hier natürlich herzlich eingeladen, sich dem auch mit dranzugeben.


Bereits 2006 in der Diskussion im Bundestag führte ein damaliger Abgeordneter Bodo Ramelow aus – ich zitiere einmal –, zu diesem Vorschlag zur Föderalismusreform: „Wir bekommen keine Bildungsoffensive mehr hin, wir können keine nationale Diskussion über Bildungsstandards führen […]. Statt Möglichkeiten offen zu halten, in die Zukunft unserer Kinder zu investieren, in das einzige Vermögen unserer Gesellschaft, nämlich in die Bildung und damit in die Köpfe unserer Menschen, geben Sie diese Kompetenzen für ein Linsengericht […] ab. Sie werden Ihrer Verantwortung angesichts der historischen Dimension dieser Reform nicht gerecht.“ Bildungspolitik – das sieht man schon an den innerstaatlichen Wanderungsbewegungen – ist eben keine Politik, die sich nicht an den Grenzen einzelner Bundesländer festmacht. Wir wissen, dass wir im Wissensföderalismus, im Bildungsföderalismus natürlich auch immer konkurrieren. Das hat etwas mit der Frage zu tun: Kann eine Familie mit Kindern in der entsprechenden Schulstufe denn überhaupt innerhalb Deutschlands umziehen, wenn die eigene Firma sagt: Du musst heute von Berlin nach Thüringen ziehen. Wie ist das dann mit dem Übergang von der Grundschule ans Gymnasium, wie ist das mit der zweiten Fremdsprache? Da sind noch viele Aufgaben zu lösen.


Aber wir sind hier insbesondere in der Diskussion darüber, was Bildung eben auch mit ausmacht, nämlich die finanziellen Grundlagen. Dass der 2006er-Beschluss zum Kooperationsverbot in der Verfassung, im Grundgesetz wohl offensichtlich nicht besonders weitblickend war, zeigt schon, dass die Bundesregierung schon 2008 auf der Dresdner Konferenz intensiv mit den Bundesländern darüber beraten hat, welche qualitativen Maßnahmen denn nun ergriffen werden müssen, damit das Kooperationsverbot eben nicht zu einer Schieflage kommt, eben nicht dazu führt, dass die Herkunft der Kinder – je nach Bundesland – auch die Zukunft der Kinder bestimmt. 2008 wurde in Dresden festgelegt oder beschlossen, dass bis 2015 der Anteil für Bildung, Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt von 8,9 Prozent im Jahr 2015 auf 10 Prozent aufwachsen soll. Die Einsparungen der sinkenden Schülerzahlen sollten in die sogenannte demografische Reserve fließen, insbesondere zur Verbesserung der Bildung verwandt werden, damit die Länder diese Mittel hier auch für Bildung einsetzen können.


Wo stehen wir heute bzw. wo standen wir im Jahr 2015? Statt 10 Prozent haben wir 9,1 Prozent für Ausgaben für Bildung, Forschung und Entwicklung zu verzeichnen. Wenn man sich das Bild mal ansieht, dann stellt man fest, dass da 28 Milliarden Euro fehlen. 28 Milliarden Euro. Nun haben wir nach der Wahl in Amerika eine andere Diskussion. Wir sprechen hier jetzt mittlerweile darüber, dass in Deutschland in etwa in diesem Umfang Geld in Panzer, in Kampfflieger investiert werden soll, also in Rüstung und nicht in Bildung, Forschung und Entwicklung, also in Zukunftsaufgaben. Nun könnte natürlich die CDU geneigt sein, in den nächsten Wochen auf ihre Wahlplakate zu schreiben – denn das ist ja offensichtlich Politik, das wird ja seitens der Bundesregierung so gewollt: Geld für Kampfflieger, aber nicht für Überflieger. Das wäre doch mal ein Vorschlag. Oder setzen Sie sich, sehr geehrte Frau Tasch, sehr geehrter Kollege Mohring, bei Ihrer Kanzlerin dafür ein, dass das 2008er-Ziel auch tatsächlich jetzt endlich umgesetzt wird, dass die Gelder seitens des Bundes zielgenau auch dahin kommen, wohin sie gehören, nämlich in Bildung, Forschung und Entwicklung.


Wir als Thüringer Landesregierung und als die sie tragende Regierungsfraktionen tragen unseren Anteil. Wir haben – anders als immer wieder behauptet wird – den Personalabbau im Lehrerbereich, im Bereich der Inneren Sicherheit ausgesetzt. Wir haben mehr Lehrerinnen und Lehrer eingestellt, als aus dem Dienst gegangen sind. Das war ein großer Kraftakt. Wir haben 150 DaZ-Lehrerinnen und DaZ-Lehrer eingestellt, die jetzt auch entfristet werden. Das war ein großer Kraftakt. Wir werden jetzt noch mal 250 Erzieherinnen mehr einstellen. Das ist ein großer Kraftakt. Das alles von einem Land, welches eine eigene Steuerbasis von etwa 70 Prozent hat. Ansonsten sind wir auf die Zuweisung angewiesen. Können wir uns – so stellt sich ja die Frage – die hohe Qualität im Thüringer Bildungssystem noch leisten? Können wir uns als finanzschwaches Land zukünftig noch leisten, was sofort von den Eltern, von den Schulen und natürlich auch von uns als Politik mit Ja beantwortet wird, aber können wir es uns noch leisten, über 120 Millionen Euro für Ganztagsschulen auszugeben als einziges Bundesland dort im Landesdienst? Können wir uns das deutschlandweit beste Lehrer-Schüler-Verhältnis zukünftig noch leisten? Können wir es uns leisten, was wir machen müssen? Keine Frage, wo wir auch – Kollege Tischner ist darauf eingegangen – jetzt schon die Unterstützung des Bundes haben, zwar nicht in der Größenordnung, wie er es genannt hat, aber können wir es uns noch leisten?


(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Das sind eure Zahlen!)


Können wir es uns noch leisten, dann in Schulbauinvest und Schulbausanierung zu investieren? Ich sage, das wird immer schwieriger. Die Vorschläge aus der Reformkommission liegen vor. Ich war gestern sehr dankbar zu hören, dass seitens der Verbände deutlich differenzierter und seitens der Gewerkschaften wahrnehmbar gesagt wurde, diese Landesregierung stellt sich engagiert den Problemen, unterbreitet Lösungsvorschläge und will mit uns zusammen diese Lösungsvorschläge jetzt auch in konkrete Politik umsetzen. Wenn man natürlich in der Dagegen-Fraktion stecken bleibt, schon die Einladung zur Kommission nicht annimmt und dann die Ergebnisse negiert und sie auf seinen schmalen Denkkorridor fokussiert, dann kommt man natürlich bei der Lösung der Probleme auch nicht weiter, lieber Kollege Tischner, sehr geehrter Kollege Mohring.


Kollege Mohring hat gestern ausgeführt, wie er die Halbzeitbilanz dieser Landesregierung einschätzt. Das ist sein gutes Recht.


(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Genau! Sehr gut!)


Aber, sehr geehrter Kollege Mohring, wer sich hier hinstellt und kritisiert, dass diese Landesregierung den Personalabbau ausgesetzt hat, und gleichzeitig aber fordert …


(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Die Personalentwicklung hat Ihr ausgesetzt!)


Die Entwicklung betreiben wir weiter fort, Sie sollten vielleicht mal die Konzepte der Landesregierung lesen.


(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das habe ich!)


Das haben Sie offensichtlich nicht. Oder Sie haben es sich falsch vortragen lassen.


(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Sie nicht!)


Sie haben kritisiert, dass diese Landesregierung den Personalabbau erst mal geschoben hat, weil sie die Aufgaben erst mal in den Mittelpunkt stellt und die Personalentwicklung nehmen wir weiter vor.


(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Ganz dünnes Eis!)


Aber gleichzeitig haben Sie in der vorhergehenden Plenarrunde zur Bildungspolitik gefordert, was alles schlecht läuft, wo wir überall nachziehen müssten, was uns alles für Personal fehlt. Sie wollen natürlich


(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Sie wollen Kultusminister von Thüringen werden!)


jede kleinste Schule erhalten, lieber Kollege Mohring. Und da werden Sie wieder dastehen mit Ihren breiten Transparenten – und das ist Ihr gutes Recht, das billigen wir Ihnen auch zu.


(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Oh, Gnade!)


Aber Sie werden nicht einmal – genauso wenig wie zur Gebietsreform –, Sie werden nicht einen Lösungsvorschlag unterbreiten.


(Beifall DIE LINKE)


Sie sind nur noch die Dagegen- und die Meckererpartei und das werden Ihnen die Wählerinnen und Wähler auch nicht durchgehen lassen.


(Zwischenruf Abg. Tasch und Abg. Mohring, CDU: Das werden wir ja sehen!)


Das zeigen auch, ich will da auch mal tagesaktuell werden, Ihre Werte im Vergleich zum Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Sie sind nicht die Alternative für Thüringen


(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Doch!)


und Sie werden es auch nicht mehr werden, Kollege Mohring.


(Beifall DIE LINKE)


(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Sie werden jedenfalls kein Kultusminister in diesem Land!)


Das werden Sie nicht bestimmen. Wer in Thüringen Kultusminister wird, das wird der Ministerpräsident in Abstimmung mit den Koalitionspartnern


(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Sie werden es nicht!)


nach Artikel 70 Abs. 4 Satz 1 der Thüringer Landesverfassung festlegen. Weder Sie noch eine AfD-Fraktion haben dort irgendetwas mitzusprechen. Das ist auch gut so.


(Beifall DIE LINKE)


(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Genießt das noch bis 2019!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, es war die Linke, die bereits 2014, kurz nach Antritt der jetzigen Bundesregierung, mit einem Antrag im Bundestag das Thema „Aufhebung des Kooperationsverbots“ auf die Tagesordnung setzte und damit die Bundesregierung zu einer Debatte zwang. Dabei stellte sich heraus, dass vor allem in der SPD die Zahl der Befürworter einer strikten Trennung von Bund und Ländern in der Bildungsverantwortung überschaubar geworden ist. Die daraufhin ausgehandelte Einigung innerhalb der Koalition führte Anfang 2015 zu einer begrenzten Novellierung und setzte mit Zustimmung der Länder erstmals eine Lockerung des Kooperationsverbots um, wenn auch nur, aber hier eben im Speziellen, für den Hochschulbereich. Diese Entwicklung war auch schon zu begrüßen.


Auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU, haben sich hier – das erkennen wir an – ein Stück bewegt. Aber im Bereich Schule ist es nach wie vor ein unmöglicher Zustand, dass die Länder hier weitgehend alleingelassen werden. Mir war das, als ich in den Landtag gekommen bin – ich sage das hier auch mal so –, so ziemlich unerklärlich, wie die Finanzströme zwischen Bund und Ländern gerade in diesem Bereich so ohne Transparenz und vor allen Dingen ohne Zielorientierung fließen. Da fließen die Finanzen, die dafür bereitgestellt werden, in die Umsatzsteueranteile. Das kann dann für Bildung verwandt werden und wird in Thüringen auch weitgehend, aber es kann auch Straßenbau oder für die Binnenschifffahrt oder was auch immer, zur Schuldentilgung etc. verwandt werden. Das ist gerade die Krux an der Sache, wenn man kein zieladäquates Instrument hat. Wir wissen, dass es auch massive Kritik am Kooperationsverbot seitens der großen Verbände gab und immer noch gibt. Ich will hier mal Udo Beckmann vom Verband Bildung und Erziehung zitieren, 31.08.2016 zum Jahrestag „10 Jahre Föderalismusreform“ – ich nehme an, dass Udo Beckmann Kollege Tischner besonders nahesteht –: „Das ist kein Tag zum Feiern. Es ist ein Tag für das Gedenken an verpasste Chancen. Mit dem Kooperationsverbot wird Bildungsungerechtigkeit zementiert. Dass in einem Land wie Deutschland die Bildungschancen auch stark vom Wohnort abhängig sind, können sich auch die Verantwortlichen für die Föderalismusreform auf die Fahnen schreiben.“ Und weiter: „Ein Wettbewerbsföderalismus, bei dem manche Länder die Möglichkeit zum legalen Doping nutzen und andere nicht einmal die Grundvoraussetzungen schaffen, kann nur in einer Bildungskatastrophe enden“ – so Udo Beckmann. Wenn wir – Kollege Tischner hat das schon deutlich gemacht, wie die Auffassung der CDU-Fraktion ist – darum ringen, bessere Bezahlung bei Lehrkräften im Besoldungsgesetz auch sicherzustellen, wohl wissend, was das für ein Kraftakt ist, und wohl wissend, was uns dort die CDU hinterlassen hat, aber wenn wir trotz alledem wissen, wenn wir da noch so viel reingeben, zum Beispiel jetzt 20 Millionen für die Regelschullehrer, die in der Diskussion sind, kommen wir noch nicht mal ansatzweise an die besten Bundesländer ran, weil die sich – und das ist eben legales Doping – ganz andere Bedingungen leisten können. Wenn es dann darum geht, ob der Physik/Mathe-Lehrer im Sek-I-Bereich in Baden-Württemberg seinen Dienst anfängt, wo er nach drei/vier Jahren schon in der A 14 ist, oder bei uns anfängt, dann können wir als Thüringen mit sehr guten Schulen punkten, mit guten Konzepten, mit einer guten Lehrerausbildung, aber mit Geld können wir es nicht. Um hier einigermaßen Gleichheit herzustellen, lieber Kollege Mohring, ist es notwendig, dass wir als Bundesländer dort auch gemeinsam im Bundesrat die Initiative zur völligen Abschaffung des Kooperationsverbots im Grundgesetz starten. Dafür werben wir, dafür stehen wir alle drei Fraktionen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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