Atomausstieg beibehalten, keine Laufzeitverlängerung zulassen und Wende in der Energiepolitik einleiten

Zum Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/1464 -


Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ein kluger Mensch hat einmal gesagt: Die eigentliche Gefahr liegt darin, die Gefahr nicht zu erkennen. Die Atomenergie, meine Damen und Herren, ist eine Gefahr, die offensichtlich verkannt wird aus Trägheit, aus Bequemlichkeit oder noch schlimmer,


(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Aus Profitgier.)


man will sie verkennen seitens bestimmter Interessenvertreter. Die Atomenergie ist eine veraltete, extrem gefährliche und teure Energiegewinnung.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Seit die Atomenergie hoffähig gemacht wurde, etwa seit 1957 mit der Gründung von Euratom, hat es Hunderte von Störfällen gegeben in Osteuropa, in Westeuropa, in den USA, in Japan und überall auf der Welt, wo Atomenergie produziert wird. Herr Weber, Sie waren gestern sehr aktuell, Sie haben gestern hier eine interessante Information gegeben; heute ist es noch so, dass alle drei Tage ein Störfall im Prinzip registriert werden muss. Das muss man sich vorstellen. Die Vielzahl dieser Störfälle zeigt, dass diese Technik nicht sicher ist und auch nicht sein kann. Allein die Problematik der Materialermüdung, die Problematik der Materialalterung lässt keine Unfehlbarkeit der Technik zu. Aus diesen Gründen ist unter anderem die Laufzeit der Atomkraftwerke begrenzt worden. Dazu kommt, dass menschliches Versagen nie auszuschließen ist, wie wir im Falle von Tschernobyl erleben mussten. Deshalb wäre es auch völlig unzulässig, einen Supergau wie in Tschernobyl für Westeuropa und Deutschland auszuschließen. Was das bedeuten würde, das soll eine Aussage des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Kleine Anfrage der LINKEN im Bundestag belegen. Ich zitiere, wie gesagt, Ausführungen des Bundeswirtschaftsministeriums: „Der volkswirtschaftliche Gesamtschaden eines Supergaus in Deutschland beliefe sich auf rund 5.000 Mrd. €. Bei Einem Unfall im AKW Krümmel/Elbe müssten je nach Windverhältnissen ca. 1,2 Mio. Menschen evakuiert werden. Hamburg wäre auf Jahrzehnte unbewohnbar, etwa 100.000 Menschen würden an Krebs erkranken.“ Ich halte diese Darstellung, abgesehen von dem materiellen Schaden, insbesondere was den Personenschaden anbelangt, für noch reichlich untertrieben angesichts dessen, dass im Falle von Tschernobyl selbst in Bayern noch stark erhöhte Radioaktivität gemessen wurde.


Meine Damen und Herren, einen Supergau darf es einfach nicht geben, ein Supergau darf einfach nicht passieren, selbst wenn die Chancen der Sicherheit 1:1 Mio. stehen. Diese eine Chance für diese Katastrophe ist eine Chance zu viel. Dazu kommt, dass man kein Katastrophenszenario hat, wenn wirklich so etwas eintreten sollte. Die Bundeswehr darf jedenfalls nicht eingesetzt werden, so das Ergebnis einer Fernsehdiskussion vor Kurzem. Wie soll eine Katastrophe in Mitteleuropa eingedämmt werden? Das ist das große Fragezeichen, das nicht beantwortet werden kann. Der Bundesumweltminister hatte noch vor den Verhandlungen mit den Energiekonzernen verkündet, dass die alten Meiler gegen Flugzeugabstürze auch des Typs A 380 zu sichern sind. Diese Forderung haben die Energiekonzerne offensichtlich erfolgreich abgebogen; 50 Mrd. € sind den Energiekonzernen für das gesamte Sicherheitspaket - also das ist mehr als nur Sicherung gegen Flugzeugabsturz - ganz offensichtlich zu viel. Selbst wenn diese Nachrüstung erfolgen würde, hilft es uns wenig. Was machen wir, nur einmal rein hypothetisch angenommen oder hypothetisch betrachtet, wenn Terroristen drei Großraumflugzeuge auf ein und dasselbe Atomkraftwerk lenken? Auch das ist eine Frage, die nicht positiv beantwortet werden kann, wie ich meine.

Schließlich und letztlich gibt es kein sicheres Atomendlager trotz mancher Beteuerungen. Am Montagabend im Fernsehinterview musste der Bundesumweltminister diese Tatsache eingestehen. Aber nicht nur, dass es für die bereits vorhandenen Tausende Tonnen von Atommüll keine Lösung gibt; mit der Laufzeitverlängerung wird es so sein, dass jährlich 2.000 Tonnen dazu kommen. Dazu kommen Tausende von Tonnen Atommüll durch die kontaminierten Atommeiler, die abgebaut werden müssen. Auch diese kontaminierten Teile müssen Platz finden in einem Endlager. Alles ungeklärt!


Meine Damen und Herren, von den von mir soeben erläuterten fünf Sicherheitsrisiken würde jedes für sich ausreichen, um die sofortige Abschaltung der Atomkraftwerke zu rechtfertigen, so wie das meine Partei schon seit Jahren fordert. Die Bundesregierung knickt ein vor den Forderungen der Atomlobby, vor den Forderungen der vier großen Energiekonzerne und beschließt eine durchschnittliche Laufzeit von 12 Jahren. Das ist unter den genannten Gesichtspunkten eine absolut verantwortungslose Politik.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist ein Spiel mit der Gesundheit und dem Leben der heutigen und der künftigen Generationen. Es ist zu hinterfragen, was die Motivation für solches Tun ist. In der „Wirtschaftswoche“ Nummer 34 konnte man ab Seite 34 ff vor einigen Tagen sehr aufschlussreiche Informationen erhalten. Nebenbei bemerkt ist diese „Wirtschaftswoche“ ganz sicher frei von dem Makel, ein rotes oder ein grünes Blättchen zu sein.


(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mal sehen.)


Ich zitiere aus der „Wirtschaftswoche“ Nummer 34, Seite 34: „Die Chefs der vier großen deutschen Energiekonzerne zeigten sich in den vergangenen Wochen wütend, aufgebracht und unversöhnlich, ganz entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheit, sich in Hinterzimmern irgendwie noch mit der Regierung diskret zu einigen. Die Wut gipfelte in der Drohung, alle deutschen Atomkraftwerke auf einmal abzuschalten.“

Meine Damen und Herren, wo leben wir eigentlich? So verfährt man in einer Bananenrepublik.


(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Zum Glück gibt es jetzt Bananen.)


Sind wir schon so weit?


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist eine rhetorische Frage, meine lieben Kollegen von der CDU. Die Landesregierung muss mir diese Frage nicht beantworten.


(Unruhe CDU)


Liebe Kollegen von der CDU, das Thema ist leider so ernst, dass ich die Späße mit den Bananen wirklich unterlassen würde.


(Zwischenruf Abg. Dr. Zeh, CDU: Dann sollten Sie solche Späße nicht einbringen.)


„45 Mrd. € könnten die Atombetreiber zusätzlich einstreichen“ war eine der Zwischenüberschriften. Gedacht war an die zusätzlichen Einnahmen bei einer Laufzeitverlängerung von 8 Jahren. Inzwischen wurden 12 Jahre beschlossen. Circa 1 Mio. € zusätzlich pro Tag und Atomkraftwerk bedeuten nun ca. 67 Mrd. € zusätzliche Einnahmen. Das alles ohne Beachtung von Preissteigerungen, die mit Sicherheit über die Laufzeit gerechnet erheblich sein werden. Das Öko-Institut Freiburg geht davon aus, dass etwas 120 Mrd. € zusätzliche Einnahmen entstehen unter Beachtung dieser Preissteigerung. Diese Zahlen muss man nicht unbedingt ins Feld führen, wie ich meine. Es reicht, wenn wir bei der „Wirtschaftswoche“ bleiben, um das Wesen des Vorgangs sichtbar zu machen. Denn selbst wenn man nur von 67 Mrd. € ausgeht und die ausgehandelte Brennelementesteuer von ca. 14 Mrd. € und die Förderung erneuerbarer Energien von 15 Mrd. € abzieht, bleibt eine riesige zusätzliche Einnahme von 38 Mrd. €. Wie gesagt, das ist die untere Grenze, wenn man die Dinge ganz wohlwollend betrachtet.

Wie sagte doch Karl Marx so schön zum Thema Kapital? 300 Prozent Gewinn und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens.


(Beifall DIE LINKE)


Dabei muss man die Brennelementesteuer noch einmal gesondert betrachten. Wie es aussieht, sollen diese 14 Mrd. € offensichtlich steuerlich geltend gemacht werden können, wie es so schön heißt. Das ist nun wirklich ein Geniestreich der Regierung. Erst tut man, als ob man die Konzerne belasten will und dann gibt man durch die Hintertür gleich wieder milde Gaben zulasten der Kommunen und der Staatskasse. Da kann ich nur sagen: Welch eine Farce, das Ganze grenzt an Täuschung der Öffentlichkeit.

Meine Damen und Herren, besonders bedauerlich ist, dass sich diese Laufzeitverlängerungen gegen den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energie richtet und damit gegen den Klimaschutz, gegen den Schutz der Natur und gegen den Schutz unserer Lebensgrundlage. Die Energiekonzerne behaupten, die Atomenergie sei eine Brückentechnologie - Herr Worm behauptet das übrigens auch - bis die regenerativen Energien in ausreichendem Maße zur Verfügung stehe. In Wirklichkeit verhindert Atomkraft mit ihrem unflexiblen Grundlastverhalten den zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Angeblich können die erneuerbaren Energien die Versorgungssicherheit noch nicht gewährleisten, wie Herr Worm ebenfalls ausführte, aber schon vor mehr als zehn Jahren hat der Träger des Alternativen Nobelpreises, Dr. Hermann Scheer, nachgewiesen, dass über regenerative Energien eine vollständige Absicherung unserer Energieversorgung gewährleistet werden kann. In seinem Buch „Die solare Weltwirtschaft“ hat er dies überzeugend nachgewiesen. Gleichzeitig ist die Laufzeitverlängerung auch dahin gehend zu kritisieren, dass die kommunalen Energieversorger in übelste Verlegenheit kommen, was die Refinanzierung ihrer Investitionen anbelangt. Man hat sich auf den Atomkompromiss von Rot-Grün verlassen und muss heute feststellen, dass man langfristig mit einem verfälschten, den tatsächlichen Aufwendungen hohnsprechenden Atomenergiepreis konkurrieren muss. In die Atomindustrie sind ca. 165 Mrd. € Fördermittel geflossen: 45 Mrd. € durch die Bundesregierung direkt und der größere Rest über EURATOM - die europäische Förderung. Viele Atomkraftwerke sind als Bundesforschungszentren gebaut. Unter all diesen Bedingungen kann man natürlich vermeintlich und scheinbar sehr billig Strom produzieren. Die Benachteiligung von Stadtwerken und ähnlichen Institutionen durch falsche Niedrigpreise und eine Nichtauslastung ihrer Anlagen ist so nicht hinnehmbar.


Meine Damen und Herren, wenn ich an die jüngste Regierungsvereinbarung denke, schwindet bei mir die Hoffnung, dass rechtzeitig eine zukunftsfähige Energiewirtschaft in Deutschland installiert wird. Wie soll unter der Regie der vier großen Energiekonzerne von einem zentralen Energiesystem in ein dezentrales System umgesteuert werden, wenn man gerade erst jetzt das veraltete zentrale System zementiert hat. Wie sollen unter diesen Bedingungen der Umbau und Ausbau der Energienetze erfolgen - angepasst an die Erfordernisse der erneuerbaren Energien. Im Grunde genommen erwarten wir von den Energiekonzernen, dass sie sich selbst abschaffen. Ich denke, das ist und bleibt eine große Illusion. Deshalb fordern wir als LINKE, im Gegensatz zu anderen in diesem Hause, dass im Rahmen der Energiewende die Rückführung der Energienetze an öffentliche, demokratisch kontrollierte Körperschaften erfolgt.


(Beifall DIE LINKE)


Wir fordern gleichzeitig, einen Planungsprozess einzuleiten, wie man 700 bis 800 Mrd. Kilowattstunden Strom - das ist der in naher Zukunft zu erwartende Stromverbrauch - unter welchen Bedingungen, mit welchem Energiemix regenerativ erzeugen kann. Gestatten Sie mir zum Schluss noch ein kleines Gedankenexperiment, meine Damen und Herren, um zu zeigen, was es bedeutet, wenn die regenerative Energie ausgebremst wird. Im Durchschnitt verbraucht ein Bundesbürger für etwa 2.500 € Energie im Jahr. Da wir ja nun - und da besteht ja fast Konsens im Hause - dafür sind, dass diese Energie perspektivisch dezentral erzeugt werden soll, nehmen wir mal an, eine Gemeinde von 2.000 Einwohnern würde all ihre Energie dezentral vor Ort bei sich erzeugen. Das würde bedeuten, in dieser Kommune würde jährlich eine Wertschöpfung von sage und schreibe 5 Mio. € entstehen.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das heißt nicht, dass ich mit diesen 5 Mio. € die Probleme in diesen Kommunen wie auch immer und überall lösen kann. Aber das ist eine beachtliche Summe und sie wäre im Grunde genommen der Kristallisationspunkt für weitere regionale Wirtschaftskreisläufe, die wir bei uns in Thüringen so dringend brauchten. Das Faszinierende an all dem ist, dass sich jeder einbringen kann, Wertschöpfung zu generieren. Mit der aufkommenden Elektromobilität wäre die Faszination noch größer, wenn man vor Ort sein Fahrzeug mit selbst erzeugtem billigen Strom betanken, sprich laden kann.

Meine Damen und Herren, ich bitte im Namen meiner Fraktion um Zustimmung zu unserem Antrag und zu unserem Änderungsantrag. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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