Von der Kunst des Nicht-Regierens

Christian Schaft & Katinka Mitteldorf

Gedanken zur Rolle in der Opposition und zur Arbeit mit den regierungstragenden Fraktionen
 

Eine Chronologie

Die Landtagswahl hat tiefe Spuren in der politischen Landschaft Thüringens hinterlassen. Für uns als Linke war es eine Zäsur nach 10 Jahren als stärkste Kraft in einer rot-rot-grünen Regierung. Wir traten den Gang in die Opposition an. Aber auch die CDU hatte am Ende nicht genügend Stimmen, um eine Mehrheitsregierung ohne uns oder die AfD zu bilden. Nach einigen Wochen stand fest, die Union wird zusammen mit dem BSW und der SPD eine Koalition formen, die über 44 der 88 Sitze im Parlament verfügt und somit keine eigene Mehrheit hat.


Von Anfang an schürte diese Koalition die Erwartung, dass Die Linke ihr zu einer Mehrheit, zur Not nur mit einer Stimme, verhelfen könnte.[1] Übermütig wurde insbesondere von Seiten der CDU von einer „De-Facto-Mehrheit“ oder „Gestaltungsmehrheit“ gesprochen. Diese Überheblichkeit gründet aber in der Annahme, wir als Linke würden als verlängerter Arm der Regierungskoalition agieren oder einzelne Abgeordnete würden zur Not mit den regierungstragenden Fraktionen stimmen. Doch dem ist nicht so. Für uns war von Anfang an klar, dass wir nur als Gesamtpaket, also als gesamte Fraktion, ergo zwölf Abgeordnete, agieren.


In ihrem Koalitionsvertrag haben CDU, BSW und SPD formuliert, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben wird.[2] Von daher ist die Koalition zur Bildung von Mehrheiten auf uns als Linke in der Opposition angewiesen. Die Zustimmung zu Vorhaben der Regierung fällt allerdings nicht vom Himmel. Deshalb haben wir erstens auf eine – wie auch immer geartete – Vereinbarung bestanden, die festlegen soll, wie die parlamentarische Arbeit organisiert werden kann und wie am Ende sichergestellt werden kann, dass Mehrheiten ohne die AfD organisiert werden. Zweitens haben wir immer klar und deutlich gemacht: wir sind nicht einfacher Mehrheitsbeschaffer und werden jedes Vorhaben der Regierung und der drei Fraktionen nach unseren politischen Maßstäben für ein soziales und gerechtes Thüringen bewerten. Wir haben dabei immer die inhaltlichen Schwerpunkte aus dem Wahlkampf in den Mittelpunkt gerückt und streiten für beitragsfreie Bildung, bezahlbare Wohnungen und Energie sowie Gesundheit und für alle erreichbare Mobilität.  Zudem geht es darum, der AfD als destruktive Kraft, die einzig und allein die Demokratie mit ihren eigenen Instrumenten von innen aushöhlen will, die Stirn zu bieten. Daher ist es auch zu kurz gesprungen, wenn die Fragen nach „Zusammenarbeit“ oder „Kooperation“ ausschließlich an Einzelfragen oder Personalfragen festgemacht werden. Kurz gesagt, bedeutet das für unsere Rolle:


Wir wollen konstruktive Opposition für eine gesamte Legislatur sein und nicht nur den Weg einzelner Personen oder Parteien zur Macht sichern.


Die Koalitionsparteien konnten sich jedoch nicht dazu durchringen, eine Vereinbarung mit uns zu treffen. Die Gründe wurden explizit und öffentlich nicht genannt. Jedoch war unterschwellig offensichtlich, dass die handelnden Akteur:innen auf Seiten der CDU kein Interesse hatten, etwas zu unterschreiben, auf dem Die Linke mit drauf steht und weshalb sie Probleme mit dem Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundes-CDU von 2018 hätten bekommen können.[3] Für uns ist das insofern eine Farce, weil der Beschluss für die CDU nur noch eine formelle Makulatur, ein Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten, darstellt und praktisch längst seine Bedeutung verloren hat.


Übrigens – und das ist wichtig zu betonen – egal in alle Richtungen. Weder war es in der letzten Legislatur ein Problem, gemeinsam mit der AfD, im Schlepptau mit der FDP, Mehrheiten zu suchen, denkt man an die Beschlüsse zur Windkraft und Grunderwerbsteuer zurück.[4] Noch war es im Rahmen der Koalitionsverhandlung ein Problem, mit einer Partei zu koalieren, deren Bundesvorsitzende eine prominente Vertreterin der kommunistischen Plattform innerhalb der Linken war.


Doch nicht allein die CDU zierte sich, offiziell formell unser konstruktives Angebot anzuerkennen. Auch aus den Reihen des BSW wurde und wird immer noch sehr viel Wert daraufgelegt, mit der Fraktion Die Linke nichts zu tun haben zu wollen. Endlich habe man sich losgesagt, endlich könne man alles richtigmachen, was jahrelang von der Linken falsch gemacht wurde. Auch klassisch antikommunistische Äußerungen sind hörbar zu vernehmen. Bei einigen innerhalb des BSW scheint der Wille zur Zusammenarbeit mit der AfD sogar ausgeprägter zu sein. Das legen die aktuellen Äußerungen der Bundesvorsitzenden genauso nahe wie Abstimmungen zu Anträgen der AfD im Plenum bei denen einzelne BSW-Abgeordnete mit der extremen Rechten stimmten oder sogar Mehrheiten durch AfD und BSW zur Änderung der Tagesordnung herbeiführten.


Lediglich die SPD hat zunächst versucht, eine klare Haltung zu formulieren, schloss Mehrheiten mit der AfD kategorisch aus und sah logischerweise nur Die Linke als potenzielle Partnerin für Mehrheiten im Landtag.[5] Am Ende war sie es, die darauf pochte, dass es zumindest eine Selbstverpflichtung der Koalition geben soll. Doch auch hier sei erwähnt: Im Verlaufe der Monate, in der Banalität des Alltäglichen und der zunehmenden Normalisierung der extremen Rechten verschwimmt diese klare Haltung. Ob dies aufgrund des Drucks anderer Koalitionspartner:innen oder aufgrund von Gleichgültigkeit so geschieht, können am Ende nur die Fraktion und Partei selbst beantworten. Zumindest bleiben die Lockerungsübungen der Koalitionspartner:innen nach rechts überraschend unkommentiert.


Im Ergebnis dieser unterschiedlichen Perspektiven und Gemengelagen steht ein Koalitionswirrwar, das politische Abläufe und Arbeitsprozesse lähmt.


In Summe dieser verschiedenen Ausgangslagen konnte sich die Koalition zumindest darauf – auch auf unseren Druck hin – einigen, sich selbst zu verpflichten, wechselnde Mehrheiten zunächst auszuschließen und verfasste ein sogenanntes parlamentarisches Pflichtenheft.[6] In diesem Pflichtenheft vereinbarten die Koalitionsfraktionen untereinander, wie sie beabsichtigen, zu Mehrheiten im Landtag zu kommen. Es stellt in Form und Inhalt lediglich eine Selbstverpflichtung von CDU, BSW und SPD dar und formuliert in Bezug auf einen sicheren und geordneten Regierungswechsel Erwartungen, ist aber explizit keine mit uns als Fraktion getroffene Vereinbarung. In diesem Pflichtenheft werden vier Punkte genannt, zu denen sich die Brombeerfraktionen selbst verpflichtet haben. Zu lesen ist dort folgendes:
 

  • Etablierung eines 3plus1-Formats
    Neben dem im Regierungsvertrag geregelten Prälegislativen Konsultationsverfahren wird ein „3plus1-Format“ mit der Linken etabliert. Bei diesem Format handelt es sich um ein monatliches Treffen auf Ebene der Parlamentarischen Geschäftsführer und wenn notwendig der Fraktionsvorsitzenden. Das Format dient der frühzeitigen und regelmäßigen Einbindung in Vorhaben, um Mehrheiten und Kompromisse zu erwirken und diese gegebenenfalls unter Beteiligung von Fachpolitikern zu vertiefen. Das „3plus1-Format“ ist ein offizielles Format. Ergebnisse können nach gemeinsamer Absprache und Festlegung öffentlich gemacht werden.
     
  • Einbindung und zügiger Beschluss des Landeshaushaltes 2025
    Kommunen, freie Träger, Unternehmen, Vereine und Verbände brauchen gerade auch angesichts einer unklaren Situation auf Bundesebene Planungssicherheit mit einem zügigen Beschluss zum Landeshaushalt. Die Regierungspartner verpflichten sich, in diesem Rahmen die Verabschiedung eines zukunftsfähigen Haushaltsplans für das Jahr 2025 zu ermöglichen und laden die Linke als bisher regierungstragende Fraktion ein, ihre Vorschläge einzubringen. Im Rahmen des 3plus1-Formats werden, gegebenenfalls unter Einbeziehung der Fraktionsvorsitzenden, etwaige neue Schwerpunktsetzungen und Änderungsanträge miteinander abgestimmt.
     
  • Politische Schwerpunkt-Vorhaben
    Bei zentralen Reformvorhaben der Regierungspartner, wie die Reform des kommunalen Finanzausgleichs, Entlastung von Familien und die Stärkung des ländlichen Raums, die Sicherung einer flächendeckenden medizinischen Versorgung, die Bekämpfung des Unterrichtsausfalls, Verwaltungsmodernisierung und der Bürokratieabbau wird die Fraktion der Linken eingeladen, ihre Vorstellungen und Ideen aktiv einzubringen. Der Industrie-, Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Thüringen braucht eine Investitionsoffensive, um die Zukunftsherausforderungen bewältigen zu können und Arbeitsplätze zu sichern. Ein etwaiger Transformationsfonds sollte auch im 3plus1- Format besprochen werden.
     
  • Sicherer und geordneter Regierungswechsel
    Diese Vereinbarung steht unter der Bedingung eines geordneten Regierungswechsels mit einer sicheren Wahl eines neuen Ministerpräsidenten. Damit verbunden ist die Erwartung, dass alle am 3plus1-Format Beteiligten hierzu ihren Beitrag leisten, um so eine sichere Wahl des Ministerpräsidenten zu ermöglichen.“

 

Aus jedem dieser Punkte ergeben sich vier konkrete Aspekte. Bei allen ist Die Linke mitgedacht respektive explizit erwähnt. Zwei dieser vier Punkte haben sich Stand Juli 2025 bereits erledigt, insbesondere, weil wir als Linke und konstruktive Opposition im Thüringer Landtag unserer Verantwortung gerecht geworden sind. Wir haben das von uns eigeninitiativ formulierte Angebot, für einen sicheren und geordneten Regierungswechsel zu sorgen, eingehalten und haben auch – wie von uns vor Entstehung des Pflichtenheftes zugesagt – an der Aufstellung des Landeshaushaltes 2025 entscheidend mitgewirkt und am Ende die Mehrheit im Landtag zusammen mit den Brombeerfraktionen sichergestellt. Wir haben inhaltlich und politisch gesehen, dass die Koalition in uns wichtigen Bereichen kompromissbereit war – u.a. bei weiteren Fortschritten in Sachen beitragsfreier Bildung, bezahlbarem Wohnen und bei der Sicherung der Gesundheitsversorgung. Dass Politik in Thüringen auch unter schwierigen Mehrheitsverhältnissen dann, wenn es darauf ankommt funktionieren kann, lag damit auch an uns als Die Linke. Eine Tatsache die Mario Voigt und andere gerne verschweigen.


Die beiden anderen Punkte, wie die Verständigung zu politischen Schwerpunkt-Vorhaben oder das 3plus1-Format, verstehen wir als Prozesse, deren Einhaltung und Erfüllung sich nicht allein aus formalen Akten ergibt. Die Einhaltung und Erfüllung dieser beiden prozessualen Aspekte ergibt sich für uns aus einer in alltägliche Routinen übergehende Arbeitsweise, die die inhaltliche sowie fachliche und sachliche Auseinandersetzung für die politische Debatte, also parlamentarische Vorgänge und die damit verbundene Entscheidungsfindung gewährleisten und möglich machen.

Wie steht es aber nun um 3+1?

Zur Erinnerung: Das 3plus1-Format ist eine Erfindung der Brombeere, mit der sie sich selbst zu einem entsprechenden Handeln verpflichtet. Die Linke wirkte bisher anlassbezogen daran mit, um Abstimmungen vorzubereiten und die parlamentarischen Abläufe zu sichern. Wir waren von Anfang an offen gegenüber diesem Format und haben ihm zunächst eine Chance gegeben, um zu schauen, ob die Koalitionsfraktionen ihrem Anspruch gerecht werden können. Zunehmend wurde diese Erwartung aber enttäuscht.


Nach stattgefundenen Runden zur Vorbereitung von Plenarsitzungen oder Abstimmungen zu grundsätzlichen Fragen der parlamentarischen Arbeit entschied gefühlt der Zufall, was aus den Ergebnissen der Einbeziehung der Linken wurde. Unterstützung wurde von CDU, BSW und SPD eingefordert, ohne in gleichem Maßen auf Vorschläge unsererseits zuzugehen. Wichtige Entscheidungen wurden immer öfter in letzter Minute getroffen, da auch die Entscheidungsprozesse innerhalb der Koalition kompliziert scheinen und das Prinzip „Friss oder stirb“ Einzug erhalten zu haben schien. Die Ursache dafür liegt scheinbar in der inneren Verfasstheit der Koalition, die sich zunehmend als Zweckbündnis zu erkennen gibt. Mit einer CDU, die den Ton vorgeben will, einer BSW-Fraktion, die bis heute parlamentarische Abläufe noch nicht durchdrungen hat und einer SPD, die dazwischen nach ihrer Rolle sucht. Von einer „frühzeitigen“ Einbindung, um Kompromisse und Mehrheiten zu erreichen, war immer häufiger nur noch wenig zu spüren.


Die Umsetzung beschlossener Maßnahmen wie der Einrichtung einer Kommission zur Kindergartenfinanzierung oder der Umsetzung von uns wichtigen Haushaltseinigungen, wie zur Pflegekostensenkung oder Altschuldenhilfe für Wohnungsunternehmen, werden verzögert oder verhindert. Gleichwohl bleibt abzuwarten, ob das dritte beitragsfreie Kindergartenjahr, dass einen zentralen Verhandlungserfolg für uns darstellt, im Haushaltsentwurf 2026/2027 abgebildet sein wird. Dass auch das prälegislative Konsultationsverfahren bis heute noch immer nach Gutdünken und nicht auf der Grundlage einer konkreten Vereinbarung zwischen Landtag und Landesregierung stattfindet, obwohl in der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags festgeschrieben, kommt noch hinzu. Wir als Linke sahen uns zunehmend mit kommunikativen Herausforderungen konfrontiert und mussten noch einmal klar und deutlich machen:

Wir sind keine Problemlöser für die Konflikte der Koalitionsfraktionen. Ebenso sind wir keine reinen Mehrheitsbeschaffer für die regierungstragenden Fraktionen, wenngleich sich der Eindruck aufdrängt, als solche betrachtet zu werden.


Den Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen fand dieses Kommunikationswirrwar der Koalition, als Die Linke in etlichen Runden unter Rücksprache mit allen drei Brombeerteilen und im 3plus1-Format eine scheinbar unkomplizierte Thematik einbrachte: die Förderung des Kindermedienfestivals „Goldener Spatz“. So gab es zunächst, mit langem Vorlauf, eine Verständigung darüber, dass allen dieses Thema nicht nur sehr am Herzen läge, sondern dem Antrag der Linken auch fachlich zugestimmt werden könne, es also im klassischen Sinne eine Verständigung über den parlamentarischen Umgang in der Sache gab. Doch dann überraschten die Brombeerfraktionen mal wieder, kurz bevor es zur Beschlussfassung im Landtag kommen sollte, mit einer nicht abgesprochenen Initiative und konterkarierten damit den Prozess im Vorfeld – mal wieder. Stunden der Vorbereitung und Kommunikation waren passé und in kürzester Zeit null und nichtig – mal wieder.[7]


Getoppt wurde dies in der Plenarsitzung noch davon, dass die BSW-Fraktion mit ihrer Zustimmung zur Änderung der Tagesordnung der AfD zur Mehrheit verhalf und damit die eigenen Koalitionspartner düpierte.[8] Das ist für uns ein erneutes Indiz dafür, dass weder die „frühzeitige“ Einbindung in Prozesse noch die Absage an die Zusammenarbeit mit der AfD der Koalitionsfraktionen das Papier wert sind, auf dem sie stehen. Aus diesem Grund machte unsere parlamentarische Geschäftsführerin für die Fraktion auf Nachfrage klar, dass es so für uns nicht weitergehen kann. Nicht, weil es an einem Interesse mangele, konstruktive Opposition zu sein, sondern weil es mit Blick auf die zu lösenden Herausforderungen und die Mehrheitsverhältnisse im Landtag in besonderem Maße auf Verbindlichkeit und Mindestmaß an Vertrauen ankommt.

Eine Bewertung.

Die letzten Monate haben gezeigt: Die Brombeere hat noch lange nicht in eine verlässliche Arbeitsweise gefunden. Weder ist klar, wie das prälegislative Konsultationsverfahren oder, wie oben ausführlich beschrieben, das sogenannte 3plus1-Format respektive die parlamentarische Arbeit verbindlicher werden können. Genauso wenig wirkt die Koalition einig und die Beharrungstendenzen auf parteipolitische Befindlichkeiten wirken stärker als der Wille nach konstruktiver fachlicher und sachlicher und vor allem politischer Arbeit im Parlament.


Die Regierung aus CDU, BSW und SPD hat bisher viel angekündigt und versprochen, aber wenig davon eingehalten, schon gar nicht mit Blick auf Veränderungen, die die Lebenswirklichkeit der Menschen betreffen. Stattdessen gab es bisher eine Menge Symbolpolitik (Abschiebehaftplätze, Flaggen), Ausflügen (Grüne Woche) und sexistische Werbe-Kampagnen (B***-Job gesucht?). Auch angekündigte „Gipfeltreffen“ blieben bisher ohne konkrete Folgen. An greifbaren Reformideen oder realpolitischen Konzepten liegt ziemlich wenig auf dem Tisch, dafür jedoch eine eklatant falsche Prioritätensetzung. So scheint sich beispielsweise die Justizministerin lieber als Abschiebeministerin zu inszenieren und setzt sich sogar über Haushaltseinigungen im Parlament hinweg, nur um ein paar Abschiebeplätze für teuer Geld einzurichten, das dann am Ende zur Entlastung der Beschäftigten in der Justiz fehlen wird.[9]


Wie sich die Brombeere vorstellt, die zentralen Herausforderungen des Freistaates zu bewältigen, bleibt auch unklar. Weder liegt ein Konzept für eine zukunftsfeste, bedarfsorientierte und vor allem flächendeckende Gesundheitsversorgung vor, noch gibt es einen Plan, wie mit den Auswirkungen und Herausforderungen des Klimawandels umgegangen werden soll. Ebenso werden die Kommunen mit der demografischen Entwicklung in Kindergärten und Schulen allein gelassen. Wir können auch nicht erkennen, wie sich die Landesregierung vorstellt, den Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft zu gestalten. Beschäftigten zu erzählen, dass der Markt das schon regelt, wir alle der Technologieoffenheit vertrauen müssen und es ja auch woanders gute Arbeitsplätze gibt, reicht nicht. Auch im Bereich der Kosten des alltäglichen Lebens, seien es die Mieten oder die Energiekosten, gibt es keine Konzepte oder Ideen zur Absenkung. Derweil werden stattdessen viele Akteur:innen im Regen stehen gelassen, wenn es um die Finanzierung von Kultur, Bildung, Demokratiearbeit oder Integration, insbesondere auch im ländlichen Raum, geht.

Klar ist nur: mit einem grünen Herzen lässt sich keine Rechnung bezahlen. Mit Flaggen vor öffentlichen Gebäuden wird kein Kindergarten oder Schulgebäude saniert. Mit PR-Kampagnen für mehr Respekt wird die Ausstattung von Rettungskräften nicht besser. Durch überteuerte und menschenrechtlich fragwürdige Abschiebehaftplätze werden keine Hürden für eine gelingende Integration abgebaut in einem Land, das dringend auf Migration angewiesen ist. Mehr Heimatgefühl hilft nicht im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung.

Die Regierungsarbeit wirkt nach einem halben Jahr wie eine große PR-Show ohne nennenswerten Effekt für die Menschen in Thüringen.


Statt Debatten über Flaggen, das Abfeiern von teils rechtswidrigen Abschiebungen, Social-Media-Verboten für Kinder und Jugendliche oder Diskussionen über die Abschaffung von Feiertagen oder Weiterbildungsmöglichkeiten für Beschäftigte braucht es Lösungen für die drängenden Probleme im Land.


Es ist überfällig, dass die von uns initiierte Kommission zur Finanzierung der Kindergärten endlich ins Arbeiten kommt, um den Druck von den Einrichtungen, Erzieher:innen, Eltern, Kindern und Trägern zu nehmen. Es ist überfällig eine Strategie gemeinsam mit Beschäftigten und Betrieben zu entwickeln, wie eine nachhaltige Veränderung der industriellen Produktion in Thüringen gestaltet werden kann, jenseits der Suche des Ausweges in der Rüstungsindustrie.


Es ist an der Zeit gemeinsam die Maßnahmen zu ergreifen, die es braucht um Gesundheitsstandorte in öffentlicher Hand aufzubauen, damit jeder und jede die beste Versorgung in Thüringen erhalten kann. Dies wären Maßnahmen zur Entlastung für viele Menschen in Thüringen, anstatt immer weiter Druck zu machen. Das ist es, was wir wollen und wofür wir als konstruktive Opposition bereit sind nach Mehrheiten zu suchen:

Eine Politik der Entlastung und sozialen Gerechtigkeit.

Und wie geht es weiter?

Das müssen zunächst CDU, BSW und SPD klären. Die Lockerungsübungen des BSW in Richtung AfD, die letztendlich zur weiteren Normalisierung einer extrem rechten Partei beitragen, beobachten wir mit großer Sorge. Dass der BSW-Fraktionsvorsitzende sich sogar mit Höcke trifft, um nach Lösungen zu suchen, obwohl klar ist, dass von dort keine Lösungen zu erwarten sind,[10] ist fatal. Es adelt den Fraktionsführer der extrem rechten AfD und spielt dem Opfermythos in die Hände. Das zunächst dröhnende Schweigen der CDU dazu oder die wenig aussagekräftigen Dementi der SPD geben bisher keinen Hinweis darauf, dass die Gefahr, die darin liegt, auch nur ansatzweise ernst genommen wird. Im Gegenteil wird es sogar verharmlost, wenn Ministerpräsident Mario Voigt „gelassen bleibt“[11] während sein Koalitionspartner das BSW in Persona der Bundesvorsitzenden Wagenknecht versucht die Tür zur AfD noch weiter zu öffnen oder die Union im Bundestag ein Debakel veranstaltet, weil sie einer rechten Hetzkampagne hinterher rennt, wenn es um die Wahl einer fachlich versierten Rechtswissenschaftlerin mit Frau Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin geht.


Das sind keine Unfälle oder Bagatellen. All das ist Teil einer gefährlichen Normalisierung der extremen Rechten aus den Reihen des BSW und auch Teilen der Union. Wie man da „gelassen bleiben“ kann, ist ein Rätsel, rüttelt es doch an den Grundfesten der Demokratie. Dass der Fraktionsvorsitzende der Thüringer CDU meint „er hätte das Gespräch nicht geführt“[12], bleibt ebenso ein schwaches Signal in die eigene Koalition, wenn es darum geht den Alleingang des BSW in der Bedeutung zu bewerten. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich einige in der Koalition darauf besinnen, was sie einmal mit Inbrunst vor sich hergetragen haben: „Mit uns wird es keine wechselnden Mehrheiten mit der AfD geben.“[13]


Trotz oder gerade wegen dieser Situation sehen wir uns weiter als konstruktive Opposition.

Wir sind das demokratische Zünglein an der Waage der Mehrheitsverhältnisse im Thüringer Landtag.

Wir haben weiter den Anspruch, unseren Teil dazu beizutragen, die Erwartungen der Vielen in Thüringen und die gesellschaftlichen Herausforderungen und Probleme zu lösen. Wir sind weiter offen und gesprächsbereit, konkrete Politik zu machen und nach Mehrheiten zu suchen. Wir werden das aber nicht um jeden Preis tun und nicht nur einfaches Stimmvieh sein. Wir wurden auch für unser inhaltliches Angebot gewählt und für dieses stehen wir ein. Wir werden weiter dafür streiten, die Probleme anzugehen, die vor der Tür liegen, die die Gesellschaft bewegen und wir werden uns dafür stark machen, dass soziale Aspekte bei den Lösungen eine Rolle spielen.


Ganz konkret wird das bereits im Herbst. Die Landesregierung hat sich auf den Weg gemacht, einen Doppelhaushalt für die Jahre 2026-2027 aufzustellen. Rückmeldungen von Trägern aus den Bereichen der Wohlfahrtspflege, Kultur oder Demokratie- und Integrationsförderung lassen uns aber bereits aufhorchen. Dass teilweise Mittel im laufenden Haushalt für Projekte gekürzt wurden oder Projektträger noch immer auf ihre Bescheide warten, lässt nichts Gutes vermuten.

Es scheint als bereite die Finanzministerin eine kalte Bereinigung vor, um den sozialen Kürzungshammer schwingen zu können.

Auch das nun am laufenden Band Haushaltseinigungen wie zum dritten beitragsfreien Kindergartenjahr zwischen den regierungstragenden Fraktionen und uns als Die Linke in Frage gestellt werden durch Minister*innen der Landesregierung trägt nicht zur Schaffung einer vertrauensvollen Basis für notwendige Verhandlungen zum Landeshaushalt bei.


Wie unter solchen Bedingungen die Brombeerkoalition eine Mehrheit für ihren Haushalt finden will, muss sie sich selbst beantworten. Wir werden den Haushaltsentwurf genauestens prüfen und mit unseren Ideen für ein soziales, starkes Thüringen für alle in die Debatte gehen. „Thüringen sozial, stark, für alle“ bedeutet für uns weiter dran zu bleiben für eine überall gleich gute und vor allem beitragsfreie Bildung. Wir bleiben dran Wohnen und Energie bezahlbar zu machen und für eine gute Gesundheitsversorgung und für alle erreichbare Mobilitätsangebote und um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen.

 

 

 


[1]https://www.antennethueringen.de/p/SPD-Abgeordnete-Urban-wirbt-fur-MP-Wahl-im-ersten-Durchgang-2oaNNTrkLakgLXUrE3FBWv; https://www.cdu-landtag.de/aktuelles/pressemitteilungen/2024/buehl-die-linke-muss-sich-jetzt-bekennen; Für mehr Hintergrund zu den Mehrheitsverhältnissen siehe hier: https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/landtagswahl/koalition-regierung-mehrheit-afd-bsw-linke-cdu-100.html.

[2]https://www.cdu-thueringen.de/Dateien/regierungsvertrag-2024-2029-mut-zur-verantwortung-thueringen-nach-vorne-bringen/17789655 (S. 126).

[3]https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/cdu-linke-mehrheit-gespraech-stabilitaetspakt-102.html#sprung0.

[4]https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/grunderwerbsteuer-landtag-cdu-afd-fdp-102.html & https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/windraeder-wald-gesetz-fdp-strom-100.html.

[5]https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/sued-thueringen/schmalkalden-meiningen/spd-parteitag-maier-100.html.

[6]https://www.spiegel.de/politik/deutschland/thueringen-brombeer-parteien-machen-linken-neues-angebot-zu-ministerpraesidentenwahl-a-56363ec4-5080-4fde-baa7-586aee0e38f9.

[7]https://www.die-linke-thl.de/aktuelles/termine/detail/cdu-macht-diskussion-zum-kindermedienland-thueringen-zur-politischen-farce/

[8]https://parldok.thueringer-landtag.de/ParlDok/dokument/102342/19_plenarsitzung_arbeitsfassung.pdf (S. 8).

[9]https://www.die-linke-thl.de/aktuelles/termine/detail/linke-abschiebehaft-durch-die-hintertuer-1/

[10]https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/gespraech-hoecke-augsten-afd-bsw-100.html

[11]https://www.sueddeutsche.de/politik/interview-voigt-gelassen-nach-gescheiterter-verfassungsrichterwahl-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-250713-930-792114

[12]https://www.zeit.de/news/2025-07/17/mit-hoecke-reden-ich-haette-das-gespraech-nicht-gefuehrt

[13]https://www.zeit.de/news/2024-11/15/maier-keine-wechselnden-mehrheiten-mit-der-spd