Rückschau auf die Proteste der Kali-Bergleute 1990

Rückschau auf die Proteste der Kali-Bergleute 1990

 

In der Erinnerung an die Auseinandersetzungen um die ostdeutsche Kali-Industrie spielt das Jahr 1993 eine besondere Rolle: Damals gingen in Bischofferode im Norden Thüringens die Kumpel in einen Hungerstreik, um für den Erhalt des Kalibergwerks „Thomas Müntzer“ zu kämpfen. 81 Tage dauert die Aktion, die ein Symbol für den Protest gegen die Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt werden soll. Auch international gibt es viel Aufmerksamkeit.

Aufbegehren gegen Grubenstilllegung und Arbeitsplatzabbau hatte es im Kalibergbau aber auch vorher schon gegeben. Noch vor der Wiedervereinigung war Anfang Juni 1990 das KaliKombinat der DDR offiziell aufgelöst worden; es entstanden unter anderem die Kali-Südharz AG und die Kali-Werra AG; als Dach fungierte im Zuge der Umwandelung die Mitteldeutsche Kali AG, alleiniger Eigentümer ist die Treuhandanstalt.

Schon bald wurde damals an mehreren Standorten die Arbeit eingestellt, im Juli im Werk Volkenroda, wo 1.200 Kumpel betroffen sind, im August in Sondershausen, wo die meisten der 2.100 Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit müssen. Im Oktober 1990 folgt das Kaliwerk Bleicherode, hier sollten 1.200 Beschäftigte ihre Arbeitsplätze verlieren. Auch in Sollstedt und in Roßleben sind Hunderte Arbeitsplätze in akuter Gefahr.

Dagegen richtet sich die erste große Protestwelle der Kalikumpel. „Durch den rapide gesunkenen Absatz von Kalidünger in der DDR und vor allem im RGW-Raum bedingt, wurde die Grube Pöthen bereits stillgelegt, arbeitet das Werk Roßleben seit dem 11. Juni nicht mehr. Am 25. Juli fährt in Volkenroda die letzte Förderschicht ein. Ähnliche Probleme gibt es in den Revieren an der Werra und von Zielitz“, heißt es Ende Juli 1990 in Zeitungsberichten. Doch die Beschäftigten und Anwohner*innen gehen auf die Straße. Es werden entschiedenere Maßnahmen gegen Sozialabbau und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze gefordert. Es dürfe nicht zugelassen werden, warnt damals die Thüringer Landesvorsitzende der Industriegewenkschaft Bergbau, Energie, Wasserwirtschaft, Gabriele Glaubrecht, vor tausenden protestierenden Menschen, dass nach der Währungsunion nun die Wirtschaftsunion in Massenarbeitslosigkeit und sozialem Elend ende.

Kalibergleute schreiben Briefe an Ministerpräsidenten, die Treuhandanstalt, die Volkskammer-Fraktionen. Es geht unter anderem um mögliche Fördermittel wie im westdeutschen Ruhrbergbau. Doch die Beschäftigten können „sich des Eindrucks nicht erwehren, man wolle die Südharzwerke in den Abgrund treiben lassen, um sie dann zum Nulltarif vereinnahmen zu können“, wie die Medien damals schreiben.

Anfang August 1990 blockieren Kalibergleute mehrere Straßen im Norden des Bezirkes Erfurt. Auch Bahngleise werden dicht gemacht, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen. In Bleicherode bleiben Kumpel im Schacht, damit die Region nicht zum „Notstandsgebiet“ wird. Es geht um 13.000 Kumpel und ihre Familien. Ende September 1990 gehen in Gruben Straßberg und Rottleberode in Sachsen-Anhalt 460 Bergleute in einen unbefristeten „Arbeits-Hungerstreik“; vor allem, weil die Frage der Abfindungen weiterhin offen ist. Ein Betriebsarzt wird damals in den Medien mit den Worten zitiert: „Das ist eine Verzweiflungstat,

weil auf normalem Weg nichts erreicht wurde.“

Auch die Beschäftigten von Gruben in Schmalkalden und in Gehren halten ihre Betriebe besetzt, heißt es damals. Die Kalikumpel aus Bleicherode haben ihre Beteiligung an der Streikaktion schon angekündigt. Unterstützung erhalten die Beschäftigten unter anderem von der „Linken Liste/PDS“ in Thüringen. Die ist im September 1990 mitten im Landtagswahlkampf – vor Tausenden Erfurter*innen auf dem Anger im Zentrum der Landeshauptstadt geht es um „eine starke Opposition, um für die Lösung der sozialen Probleme der Kalikumpel in Bleicherode oder Merkers“ wirken zu können. Die PDS forderte seinerzeit, „dass das Treuhandvermögen übergeben wird zur Verfügung der neuen Bundesländer“, wie der spätere Landtagsfraktionschef Klaus Höpcke das in einem Interview im Wahlkampf schilderte. Die Erlöse aus Privatisierungen sollten, wenn diese schon stattfinden, für Investitionen in gesellschaftlich sinnvolle Projekte fließen. Dafür stellte man sich ein Landesprogramm vor, das etwa Unterstützung beim industriellen Umbau, bei der Erneuerung der Energieversorgung und bei der Reduzierung der Schadstoffe hätte geben können.

Die Forderungen verhallen ungehört. Aber die Erinnerung an die Proteste der Kalibergleute im Spätsommer 1990 bleibt. PR