Eine Reise ins Mutterland der Demokratie / Kolumne von Philipp Gliesing

Als Vertreter einer Thüringer Initiative gegen Rechtsextremismus und als Vorsitzender eines Jugendvereins reise ich, gemeinsam mit Bianca Klose, von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin, zurzeit quer durch die USA.

Im Mittelpunkt unserer Reise steht ein intensiver fachlicher Austausch mit Initiativen, Regierungsbehörden, Juristen und anderen Akteuren im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus, für Bürgerrechte, Vielfalt und Demokratie. Unsere Gastgeber vom US Departement of State bieten uns mit diesem International Visitor Leadership Program [Link] einen einmaligen Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse der USA.
Nach einer Woche Aufenthalt in Washington, DC, dem Zentrum der Macht, ist klar geworden, wie weit die Auseinandersetzung um Bürger- und Menschenrechte in diesem Land zurück reicht.

Der 1. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten (englisch First Amendment) ist Bestandteil des als Bill of Rights bezeichneten Grundrechtekatalogs. Der 1791 verabschiedete Artikel verbietet dem Kongress, Gesetze zu verabschieden, die die Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit oder das Petitionsrecht einschränken. Die Redefreiheit ist in den USA umfassender als in fast jeder anderen Nation.
Doch schon in der Gründerzeit der Vereinigten Staaten entstanden auch Widersprüche, die bis heute offene Wunden in der Gesellschaft sind. Die Kolonisierung des amerikanischen Kontinents ging mit der Vertreibung und später der Assimilation der amerikanischen Ureinwohner einher. Die Native Americans, also „Indianer“, kämpfen bis heute um unabhängige Strukturen und eine Anerkennung ihrer community. Das machte ein Besuch in der Botschaft der Native Americans deutlich.

Und natürlich ist auch der Kampf der Afroamerikaner zu nennen, der gerade einmal vor etwa 50 Jahren seinen Anfang nahm und vielleicht erst mit der Ernennung eines 'schwarzen' Präsidenten seinen Abschluss fand. Für die heranwachsenden Generationen mag die Hautfarbe kaum noch eine Rolle spielen, jedoch ist die Ghettoisierung und soziale Herkunft damit immer noch eng verknüpft. Aus diesem Strudel herauszukommen, ist für viele Menschen unmöglich, weil unter anderem das Bildungssystem lokal verankert ist.
Durch die föderale Struktur der USA soll die Gefahr einer zentralistischen „Tyrannei der Mehrheit“ verhindert werden. Jedoch ist damit auch die Möglichkeit gegeben, dass insbesondere ehemalige Südstaaten ganz unterschiedliche Auslegungen der Gesetzeslagen vollziehen. So versuchen beispielsweise einzelne Bundesstaaten die Wahlrechtsgesetze dahingehend zu verändern, dass die Hürden bei der Registrierung der Bürger erhöht sind und es bestimmte Bevölkerungsgruppen somit schwerer haben.
Die verschiedenen Einwanderungswellen haben dieses Land geprägt – die Vielfalt ist Teil des nationalen Pathos. Die leidigen Debatten in Deutschland, um „Menschen mit Migrationshintergrund“ und „Ausländer“ sind hier undenkbar: Amerikaner ist, wer hier geboren wird.  

Extremismus – Gewalt – Hassverbrechen


Es hat ein  Stück gedauert bis klar wurde, wann und wie in den USA die Grenze zwischen Redefreiheit und Strafbarkeit von rassistischen und diskriminierenden Taten gezogen wird. Auf einen Punkt gebracht: Du kannst denken und sagen was du willst, so lange du nicht zur Gewalt anstiftest oder gewalttätige Handlungen begehst.
Die gesetzliche Grundlage bietet der Hate Crime Prevention Act von 2009, der nach dem Mord an dem homosexuellen Studenten Matthew Shepard sowie dem Lynchmord an James Byrd ins Leben gerufen worden war. 'Hate crimes' sind demzufolge Straftaten, bei denen das Opfer des Delikts vom Täter vorsätzlich nach dem Kriterium der wirklichen oder vermuteten Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe gewählt wird und sich das Verbrechen dadurch gegen die gewählte Gruppe als Ganze richtet. So können beispielsweise antisemitisch oder ausländerfeindlich motivierte Straftaten unter den Begriff fallen, ebenso Straftaten gegen Mitglieder anderer gesellschaftlicher Gruppen wie Obdachlose, Behinderte, Schwule, Lesben und Transgender.

Mit diesem Gesetz kann das Justizministerium in Washington, DC die Verfolgung und Verurteilung von Hassverbrechen flankieren und bundesstaatliche, lokale sowie Stammesgerichtsbarkeit unterstützen oder gar ersetzen falls diese die vorurteilsgesteuerte Handlungen als Strafverschärfungsgrund nicht berücksichtigt worden ist.
Nach 9/11, der großen Katastrophe, die hier allgegenwärtig ist, kam es auch zu Veränderungen in der Sicherheitsarchitektur des Landes. Mit dem Departement of Homeland Security (DHS) wurde eine Institution geschaffen, die alle relevanten Behörden zusammen an einen Tisch bringt und insbesondere den Kontakt zu den NGO's und Initiativen vor Ort sucht, um nachhaltige Partnerschaften aufzubauen. Diese Fusionszentren arbeiten eng mit der Abteilung für Bürgerrechte im Justizministerium zusammen und versuchen auch präventiv „gewalttätige Extremisten“ jeder Art zu entlarven und zu sanktionieren.

Rechtsterrorismus wird auch hier als neuartige Entwicklung wahrgenommen. Insbesondere antisemitisch motivierte Gewaltakte sind ein großes Problem, wie uns Vertreter der größten jüdischen NGO, die ADL – Anti-Defamation Leaugue, berichteten. Die ADL versteht sich als politisch neutrale Organisation, die mit einem umfassenden Bildungsprogramm dem Rechtsextremismus entgegenwirken und eng vernetzt sind mit staatlichen Einrichtungen.

„Wir haben ein gemeinsames Problem: Rassismus“


Was den Kampf gegen Rassismus angeht hat das Land sehr viel mehr institutionelle Reife als in Europa. Neben der schon erwähnten Abteilung für Bürgerrechte im Justizministerium, die in Zusammenarbeit mit dem FBI hate crime im ganzen Land recherchiert und anklagt, existiert ein Community Relations Service (CRS). Der Beamten des CRS werden als staatliche Mediatoren in Gemeinden aktiv, wo Bürgerrechte nicht ausreichend gewährleistet sind oder zunächst unversöhnliche Konflikte zwischen Interessengruppen bestehen.

Die Polarisierung auf den islamischen Terrorismus nach dem 9. September 2001 hat offenbar zur Stigmatisierung der vielfältigen arabischen Bevölkerungsgruppen geführt. So beklagen sich deren Interessenvertreter über rassistisch motivierte Polizeikontrollen und wollen als ethnische Minderheit durch den Hate Crimes Act geschützt sein. Warren David, Präsident des American-Arab Anti-Discrimination Commitee (ADC) beklagte sich vor allem über die mediale Inszenierung des Arabers als Millionär, Bomber oder Bauchtänzerin. Vorurteile werden vor allem auch durch Lobbygruppen, wie AIPAC, geschürt. „Wir haben ein gemeinsames Problem: Rassismus“ sagte er mit Blick auf die Tatsache, dass Menschen aus aller Welt von ähnlichen Problemlagen betroffen sind und ihm davon berichten.

In der Diskussion beim ADC zeigten sich parallelen zur Islamfeindlichkeit in Europa – christliche Werte werden genutzt, um die Muslime abzuwerten und zu diskriminieren. Dieser kulturell verankerte Rassismus stellt ein zunehmendes Problem dar, welches vor allem durch den interreligiösen Dialog beantwortet werden kann. Die Zusammenarbeit von Stiftungen und NGO's zur Abwehr von Rassismus und Rechtsextremismus ist in den USA bewundernswerter Weise stark ausgeprägt. Es kommt darauf an den Hardlinern, die es auf allen Seiten gibt, etwas entgegenzusetzen, um die gemeinsamen demokratischen Werte zu verteidigen.

Link: http://eca.state.gov/ivlp/about-ivlp