„Fahrscheinfrei durch Erfurt – Utopie oder Vision?“ - Großes Interesse am Fahrscheinfreien Nahverkehr in Erfurt

„Der Auftakt zur Diskussionsreihe „Fahrscheinfrei durch Erfurt – Utopie oder Vision?“ im Erfurter Haus Dacheröden war ein voller Erfolg. Mit dem Thema Mobilität hat DIE LINKE in Erfurt für viele Diskussionen gesorgt und deutlich machen können, dass wir uns auch in Erfurt auf eine Verkehrswende einstellen müssen.“ so Matthias Plhak, Stadtrat der Erfurter Linksfraktion.

Der Auftakt mit dem Titel „Auf dem Weg zu einer Verkehrswende?“ wurde von Frau Prof. Christine Große von der FH Erfurt mit einem Überblick über die Verkehrsentwicklung in Deutschland gemacht. Sie hatte die allgemeinen Entwicklungen im Bereich Mobilität und Verkehr erörtert, auf Probleme der bisherigen Verkehrsentwicklung und die Spannungsfelder zwischen der Mobilität des  Einzelnen, insbesondere mit dem Auto aber auch den Anstrengungen um Klimawandel und Energieeinsparung deutlich gemacht.

Anschließend konnte die AG ÖPNV der LINKEN im Erfurter Stadtrat ihr Konzept kurz durch Anne Timpel vorstellen, bevor eine Gruppe von Studierenden um Maximilian Huth ihre Umfrage zur Akzeptanz des fahrscheinfreien Nahverkehrs ausgewertet hat. Anne ist Stipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung, studiert Stadt- und Raumplanung an der FH Erfurt und engagiert sich in der AG ÖPNV. Zur Zeit absolviert sie ein Praktikum bei Matthias Bärwolff im Landtag, auch, um das Konzept Fahrscheinfrei durch Erfurt inhaltlich zu qualifizieren.

„Es hat sich gezeigt, dass „fahrscheinfrei durch Erfurt“ eine Reihe von Aspekten beinhaltet, die zu Diskussionen anregen, deshalb werden wir unser Konzept auch in weiteren Veranstaltungen zu einzelnen Themengebieten weiterführen und hoffen auf Ideen und Anregungen aus der Öffentlichkeit“ so Matthias Plhak weiter. Das Haus Dacheröden war an diesem Abend bis auf den letzten Platz besetzt, so groß war das Interesse an dem Thema.

Die nächste Veranstaltung steht schon fest. „Am 3.Mai soll die soziale Dimension des fahrscheinfreien Nahverkehrs besprochen werden. Dann begrüßen wir den Bürgermeister von Templin, Detlef Tabbert (DIE LINKE) in Erfurt, sowie Stephan Daubitz, einen Armuts- und Mobilitätsforscher von der TU-Berlin“ sagt Matthias Bärwolff, der die AG ÖPNV leitet und für DIE LINKE im Landtag sitzt.

Im Brandenburgischen Templin gibt es seit 1996 ein alternatives ÖPNV-Modell, welches zwar aktuellen Rahmenbedingungen und Entwicklungen angepasst wurde, aber dennoch gute und diskussionswürdige Ansätze liefert.

Konzeptionell stehen bei der AG ÖPNV zunächst Fragen zum Verbundtarif Mittelthüringen und zur Finanzierung auf der Tagesordnung. Dazu hat trifft sich die AG zum Beispiel am 16.4. mit dem Geschäftsführer des VMT. „Dabei steht vor allem im Vordergrund, welche Auswirkungen ein fahrscheinfreier Nahverkehr in Erfurt für den VMT hätte und welche Begleitmaßnahmen oder Vertragsänderungen notwendig wären, um den VMT und dessen Idee eines übergreifenden Verkehrsverbunds zu erhalten“ so Bärwolff, der sich eigentlich mehr mit Sozialpolitik befasst, weiter. Auch die estländische Hauptstadt Tallinn, seit 1.Januar 2013 Modellstadt des fahrscheinfreien Nahverkehrs, hat die Neugier der AG geweckt. Sie wird eine Informationsreise dorthin unternehmen. Ein Erfahrungsaustausch, der sicherlich viele Erkenntnisse und Hinweise für das Konzept der Erfurter LINKEN zu Tage fördern wird.
Es gibt also auch weiterhin viel Gesprächsstoff und noch mehr offene Fragen müssen für ein stimmiges Gesamtkonzept beantwortet werden. Die Diskussionsreihe „Fahrscheinfrei durch Erfurt – Utopie oder Vision?“ ist dabei ein hoffnungsvoller Ausgangspunkt.

Veranstaltungsunterlagen als PDF
Interview mit Anne Timpel und Matthias Bärwolff bei Radio F.R.E.I.

Konzept „Fahrscheinfreier ÖPNV"

Die Idee eines „kostenlosen ÖPNV“ ist bereits sehr alt und geht bis in die 70er Jahre zurück. Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre beginnt ein Umdenken. Dieser Prozess fällt nicht zufällig mit dem Aufkommen der Ökologiebewegung zusammen. Der fast ungehemmt wachsende Autoverkehr wird zunehmend als Umweltbelastung wahrgenommen: die Hauptprobleme sind der Flächen- und Ressourcenverbrauch, der Lärm und die Abgase. Bereits 1973, während der ersten Ölkrise sind die Sonntagsfahrverbote  für viele Menschen ein Aha-Erlebnis – es geht auch ohne die ständige Autonutzung, verloren gegangene Lebensräume und eine wohltuende Ruhe werden wieder entdeckt. Anfang der 80er Jahre entwickeln sich an vielen Orten im Westen Deutschlands Initiativen, die auf eine Verbesserung des Nahverkehrs drängen. In diesem Kontext entsteht auch die Forderung, den Nahverkehr für alle kostenlos zu machen. Durch den daraus entstehenden Anreiz, den Nahverkehr zu bevorzugen, sollte der motorisierte Individualverkehr (MIV) drastisch zurück- gedrängt werden.

Aus dieser Entwicklung heraus entstanden auch die sog. „Sozialticket-Initiativen“, die sich eher auf die soziale Komponente von Mobilität bezog. Im Zentrum standen hier finanzielle Vergünstigungen für sozial benachteiligte Menschen, um ihnen eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben der Stadt zu ermöglichen. Mit Hilfe der damaligen PDS und auch der jetzigen LINKEN ist es bereits in vielen Städten, so auch in Erfurt, gelungen, Sozialtickets einzuführen. Sie sind ein wichtiger Kern linker Stadtpolitik.

Schließlich sind noch die zahlreichen, zum Teil internationalen, Schwarzfahrer- Bewegungen zu nennen, die sich mit radikalen Aktionsformen gegen die sich rasant entwickelnde Preisspirale im Nahverkehr zur Wehr setzen. Privatisierungen, Energiekostensteigerungen sowie Sozialabbau haben in einigen Städten Europas zu unverschämten Fahrpreisen geführt, die große Teile der Bevölkerung vom Nahverkehr abschneidet und diese durch ein repressives Kontroll- und Strafsystem kriminalisiert. Beispielhaft möchten wir hier die anarcho-syndikalistische Schwarzfahrerbewegung planka.nu aus Stockholm nennen.

Das politische Feld um die Weiterentwicklung des Nahverkehrs ist bunt und eine Spielwiese für Viele: Stadt- und Verkehrsplaner, Kommunalpolitiker, Ökosozialisten, Gewerkschafter, Umweltaktivisten und Antikapitalisten. Die Orientierung auf kurzfristige Verbesserungen des bestehenden Systems oder längerfristige Transformation desselben wird oft als Gegensatz behandelt und ist Gegenstand von Konflikten und gegenseitiger Isolierung. Welche Strategien können dagegen gefunden werden? Rosa Luxemburg schrieb vor rund 100 Jahren den Sozialisten ins Stammbuch, dass sozialistische Politik sich den existierenden Widersprüchen stellen muss. Konkret bedeutet das: „sowohl vom Standpunkt der bestehenden Gesellschaft selbst zu kritisieren, als auch ihr auf Schritt und Tritt das sozialistische Gesellschaftsideal entgegenzuhalten.“ Rosa Luxemburg nennt diesen Politikansatz revolutionäre Realpolitik.

Auch DIE LINKE Erfurt hat sich auf den Weg gemacht, über den Nahverkehr von morgen nachzudenken, um gangbare Alternativen aufzuzeigen. Seit 2009 arbeitet eine Arbeitsgruppe mit Stadträten, Fachleuten, Studenten und Aktivisten an einem Konzept zum fahrscheinfreien ÖPNV in Erfurt. DIE LINKE will mit diesem Konzeptentwurf zur Debatte einladen. Anregungen, Ergänzungen und Kritik sind stets willkommen. Wir wollen die Einwohner der Stadt Erfurt einladen, mit uns über den öffentlichen Nahverkehr von morgen zu diskutieren.

Weiterführende Dokumente
  • Konzept „Fahrscheinfreier ÖPNV“ für Erfurt - Ein Diskussionsangebot (Koordination: Matthias Bärwolff, MdL) LINK