Zweites Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes – Videoüberwachung an gefährlichen Orten

Sascha Bilay

Zum Gesetzentwurf der Fraktion der CDU - Drucksache 7/9653

 

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Urbach, ich will nahtlos an das anknüpfen, was Sie zum Schluss gesagt haben, nämlich das Gesamtpaket, städtebauliche Maßnahmen, präventive Arbeit, Einsatz von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern beispielsweise auf dem Erfurter Anger, mehr Polizei – da haben wir ja Ihre Fehlentwicklung der letzten Jahre korrigiert, indem wir tatsächlich mehr Polizistinnen und Polizisten nicht nur ausbilden, sondern auch einstellen. Wir haben Ihren Personalabbaupfad abgestoppt. Hätten wir als Rot-Rot-Grün in den letzten Jahren nicht in Größenordnungen Polizistinnen und Polizisten ausgebildet, hätten wir heute 800 Polizistinnen und Polizisten weniger auf den Straßen, das ist die Realität.

 

(Unruhe CDU)

 

(Beifall DIE LINKE)

 

800 Polizistinnen und Polizisten weniger auf der Straße. Herr Urbach, dieses Gesamtpaket haben wir im Innenausschuss deutlich und lange diskutiert, denn die Vorgeschichte zu diesem Gesetzentwurf ist ja ein Antrag, der inzwischen vier Jahre alt ist und im Innenausschuss beraten wurde, aber dann am Ende auch hier im Plenum abgelehnt wurde. Der hat keine Mehrheit gefunden, weil nämlich die übergroße Mehrheit der Sachverständigen, die wir im Ausschuss angehört haben, uns deutlich gesagt hat, dass das, was Sie als CDU wollen, nämlich mehr Videoüberwachung, einfach der falsche Weg ist.

 

Ich will noch mal kurz sagen, was uns im Innenausschuss auch in der Frage begegnet ist, was die Argumente gewesen sind für eine Ausweitung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Erstens: Mehr Videoüberwachung schützt nicht wirksam vor Straftaten, es gibt keine Studie, die das belegt. Zweitens: Es gibt einen Verdrängungseffekt, weil potenzielle Straftäter in andere Bereiche, die nicht im Sichtbereich sind, in andere Straßenzüge ausweichen. Andererseits fühlen sich unschuldige Passanten, die in den Sichtbereich einer Kamera treten, potenziell als Straftäter deklariert, Leute fühlen sich stigmatisiert, wenn sie in einem Wohngebiet wohnen, das in dem Ruf steht, besonders kriminell zu sein. Die Sicherheitslage wird dadurch nicht tatsächlich gefördert.

Ich will es auch noch mal an dieser Stelle sagen, weil das ja vorhin schon mal eine Rolle gespielt hat. Sie spielen hier mit den Gefühlen der Menschen. Sie reden immer von einem Sicherheitsgefühl, sie reden den Menschen bewusst ein, sie würden in Thüringen nicht sicher sein. Die Realität sieht anders aus.

 

(Zwischenruf Abg. Urbach, CDU: …das Gefühl der Menschen!)

 

Wir haben am Mittwoch über die polizeiliche Kriminalstatistik geredet. Thüringen gehört zu den sichersten Bundesländern in dieser Republik.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Aber dann erzählen Sie doch nicht ständig, wie schlimm das hier ist, in diesem Land zu leben und dass ich Angst haben muss, irgendwo ein Fuß auf die Straße zu setzen, weswegen wir mehr Videoüberwachung brauchen. Das ist also der falsche Ansatz.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Ich will Ihnen auch noch mal sagen, was uns die Sachverständigen gesagt haben. Es wird eine falsche Sicherheit in den Köpfen der Menschen simuliert, weil Sie den Leuten glaubhaft machen, wenn irgendwo was passiert und eine Kamera bekommt das mit, sitzt hinter jedem Bildschirm oder vor jedem Bildschirm ein Polizist und rückt sofort aus und schnappt den Täter. Das ist nicht der Fall. Die Realität sieht so aus, dass, wenn überhaupt Aufzeichnungen angefertigt werden, im Falle des Falles einer Straftat irgendwann später mit einem erheblichen zeitlichen Versatz die Daten dann ausgewertet, gesichert werden, analysiert werden. Aber zu dem Zeitpunkt der Straftat kann man nicht erwarten, dass tatsächlich jemand kommt. Die Fachleute insbesondere aus dem Bereich der Polizei und deswegen ärgert mich das, wenn Sie immer über das Polizeiaufgabengesetz reden und gerade die eigenen Leute in der Polizei davor warnen, das umzusetzen, was Sie wollen.

Die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Polizei in Nordrhein-Westfalen, die hat uns damals aufgeschrieben, dass die Videoüberwachung im öffentlichen Raum regelmäßig keinen wesentlichen Beitrag zu einer dauerhaften Steigerung des subjektiven Sicherheitsempfindens leistet. Außerdem ist das subjektive Sicherheitsempfinden – hören Sie zu! – kein geeigneter Indikator für die tatsächliche Kriminalitätslage, da die Kriminalitätsfurcht nicht mit der Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, korreliert. Genau das, was ich Ihnen eben gesagt habe.

 

Und der Thüringer Landesbeauftragte für Datenschutz, also der Vorgänger, der hat uns in der Anhörung darauf hingewiesen, dass bereits jetzt eine Vielzahl der Straftaten, im Übrigen im Zusammenhang mit dem Erfurter Anger, im bereits videoüberwachten Raum stattfinden. Die größte Straftat, die auf dem Erfurter Anger erfasst werden, ist das Fahren ohne Fahrschein in der Straßenbahn. Wenn kontrolliert wird, dann ist eben das Aussteigen auf dem Erfurter Anger der Tatort, hat aber überhaupt nichts mit dem zu tun, was Sie uns immer vorhalten. Und die Hochschule der Polizei in NRW hat uns noch mal mitgegeben, das insbesondere bei den schweren Straftaten, die Sie immer erzählen, als wäre da ständig Gefahr, Opfer von solchen Delikten zu werden, dass das überhaupt nicht im Zusammenhang steht – oder dem Schutz davor –, im Zusammenhang steht mit möglichen Videoüberwachungen.

 

Es gab in der Anhörung auch Hinweise, dass so eine Videoüberwachung kontraproduktiv sein kann. Es gibt wissenschaftliche Studien, die aufzeigen, dass Menschen, die eine Straftat sehen, Schlägerei, Körperverletzung beispielsweise mit erheblichen Schädigungen für Leib und Leben, davon absehen, einzuschreiten, weder die Polizei verständigen noch Notarzt verständigen oder sonst wie um Hilfe rufen, weil sie sagen, da guckt ja einer mit. Gleich kommt der berühmte Polizist, der vor dem Monitor sitzt, um die Ecke und klärt die Situation. Im Zweifelsfall führt diese unterlassene Tat, um Hilfe zu suchen, dazu, dass sie selbst eine Straftat begehen, weil sie eben nicht einschreiten. Das ist eine Form von unterlassener Hilfeleistung und kann am Ende auch Leben kosten. Das kann am Ende auch Leben kosten.

 

(Zwischenruf Abg. Czuppon, AfD: Blödsinn!)

 

Das ist kein Blödsinn. Ja, wenn das ein Polizist ruft. Bei Ihnen habe ich manchmal das Gefühl, Sie sind zu oft vom Wasserwerfer runtergefallen, Herr Czuppon.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

(Zwischenruf Abg. Walk, CDU: Frau Präsidentin, das geht nicht!)

 

Ich will noch auf einen Punkt hinweisen. Sie knüpfen ja bei Ihrem Vorschlag der Videoüberwachung an die gefährlichen Orte an. Und das hat Herr Urbach auch eben noch mal deutlich gemacht. Da sagen wir als Linke deutlich, da haben wir eine Schwäche im bestehenden Gesetz, tatsächlich, weil das Problem der gefährlichen Orte so schwammig definiert ist, dass im Grunde genommen jeder Streifenbeamte jederzeit jeden Teil des öffentlichen Verkehrsraums auch temporär spontan zu einem gefährlichen Ort erklären kann. Da befinden Sie sich als Passant, der einfach nur spazieren geht oder auf dem Weg zu seinem Auto ist, um irgendwo hinzufahren, an einem gefährlichen Ort und setzen sich potenziell dem Verdacht aus, eine Straftat verüben zu wollen. Diese Fälle werden auch gar nicht dokumentiert. Da gibt es ganz wenig statistische Erfassung dazu. Das ist nur öffentlich geworden, weil sich Betroffene bei uns melden, wir dann Anfragen stellen und das dann über Kleine Anfragen und Antworten der Landesregierung öffentlich wird. Dann daran anzuknüpfen, dass dann plötzlich ein Polizist meint, hier ist ein gefährlicher Ort, hier machen wir mal eine Kamera auf, das ist tatsächlich ein Problem, auf das wir noch mal an anderer Stelle eingehen sollten. Also wir haben erhebliche Bedenken und aus unserer Sicht ist diese Vorlage überhaupt nicht geeignet, das wirklich auch im Innenausschuss zu diskutieren.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Präsidentin Pommer:

 

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Frage von Herrn Abgeordneten Walk?

 

Abgeordneter Bilay, DIE LINKE:

 

Das ist dann aber eine Nachfrage und keine Zwischenfrage, oder?

 

Abgeordneter Walk, CDU:

 

Sie waren zu schnell, Herr Kollege.

 

Präsidentin Pommer:

 

Genau, er war angekündigt. Also, alles gut.

 

Abgeordneter Walk, CDU:

 

Um nicht zu sagen, die Präsidentin war etwas nicht zu schnell.

Sie hatten eben ausgeführt, Herr Kollege, das brauchen wir alles nicht, wir haben eine Expertenanhörung durchgeführt, es gibt einen Verdrängungseffekt, das hilft nichts. Wie bewerten Sie denn die bereits eingerichteten bzw. beabsichtigten Einrichtungen von Videoüberwachung in den Städten Erfurt, Sonneberg, Altenburg, Suhl, Gotha, Gera oder auch Mühlhausen?

 

Abgeordneter Bilay, DIE LINKE:

 

Das sind alles Bereiche, die zielen auf das kommunale Agieren als kommunale untere staatliche Behörden im Bereich des Ordnungsrechts ab. Das hat mit dem Polizeiaufgabengesetz in dieser Hinsicht überhaupt nichts zu tun. Das ist ein ganz anderer Sachverhalt. Das wissen Sie auch!

 

(Beifall DIE LINKE)

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