Thüringer Gesetz zur Ausführung des Zensusgesetzes 2011

Zum Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 5/626 - Zweite Beratung


Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in der ersten Beratung zum vorliegenden Ausführungsgesetz zur Volkszählung 2011 haben wir unsere Bedenken formuliert. Die Anhörung im Innenausschuss, aber auch die bundesweite Fachdebatte hat uns in unserer Kritik weiter bestärkt. Zur Berichterstattung aus dem Innenausschuss, Herr Hey, eine kurze Anmerkung: Der Thüringer Landesbeauftragte für den Datenschutz hat als Einziger in seiner Stellungnahme sich positiv zu dem Ausführungsgesetz geäußert. Alle anderen Stellungnahmen haben datenschutzrechtliche und verfassungsrechtliche Kritik geäußert. Daher bleiben wir bei unserem Ergebnis: Der Zensus 2011 stellt einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und verletzt den Datenschutz.

Wir begrüßen ausdrücklich den Schritt des Arbeitskreises "Vorratsdatenspeicherung", nun Verfassungsbeschwerde gegen das Zensusgesetz in Karlsruhe einzulegen. Aber auch als Landesgesetzgeber können wir unsere Kritik deutlich machen. Wir fordern mit unserem Änderungsantrag, der Ihnen vorliegt, dazu auf, eine Ausführung des Zensus 2011 in Thüringen heute de facto zu stoppen. Was sind die wesentlichen Kritikpunkte?

1. Es besteht keine echte Anonymisierung der Daten. Durch die Vergabe sogenannter Ordnungsnummern lässt sich zurückverfolgen, wer welche Angaben macht. Das Volkszählungsurteil 1983 hat aber eindeutig klargestellt, dass diese Repersonalisierbarkeit absolut ausgeschlossen sein muss.

2. Weiterhin kann nicht ausgeschlossen werden, dass die erhobenen Daten einer behördlichen Zweit- oder Drittverwertung zugeführt werden. Hierzu führt der Landesbeauftragte für den Datenschutz Mecklenburg-Vorpommern aus - ich zitiere: "Trotz der im Gesetzentwurf vorgeschriebenen räumlichen und organisatorischen Trennung der Erhebungsstellen sehe ich daher erhebliche datenschutzrechtliche Risiken, weil von niemandem ernsthaft geprüft werden wird, ob im konkreten Einzelfall tatsächlich keine personenbezogenen Daten aus dem Bereich der Statistik in andere Verwaltungsstellen zurückfließen. Zudem ist ausdrücklich vorgesehen, dass die Gemeinden auf die erhobenen Daten einschließlich der Hilfsmerkmale Straße und Hausnummer auf Ersuchen zugreifen können."

3. Gerade das im Volkszählungsurteil verankerte Gebot der strikten Trennung von statistischer Erhebung und Verwaltungsvollzug wird verletzt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So werden Meldedaten, darunter - das ist wichtig dann auch im Zusammenhang mit der Verfassungsbeschwerde - auch Religionszugehörigkeit, die zu ganz anderen Zwecken erhoben wurden, nun im Rahmen der Volkszählung weitergeleitet und zentral verarbeitet. Der Chaos Computer Club e.V. weist darauf hin in seiner Stellungnahme, dass zudem auch keine datenschutztechnische Trennung der Statistikdaten von den normalen Verwaltungsdaten vorgeschrieben ist.

4. Es ist für uns auch fraglich, ob die Androhung und Festsetzung von Zwangsgeldern bis 5.000 Euro für nichtauskunftswillige Bürger und die Androhung und Anwendung von Maßnahmen des Verwaltungszwangs zur Herausgabe der personenbezogenen Daten mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht vereinbar ist.


(Beifall DIE LINKE)


Hierzu verweise ich beispielhaft auf die Stellungnahme der Piratenpartei.

Sehr geehrte Damen und Herren in der Regierungskoalition, auch wenn Sie vielleicht sagen "Piratenpartei - Chaoscomputerclub - AK-Vorratsdatenspeicherung und so ein Datenschutzbeauftragter von der Küste, die können mir eigentlich gestohlen bleiben" dann hören Sie vielleicht zu, was die Arbeitsgemeinschaft kommunaler Spitzenverbände formuliert. Ich zitiere aus der Stellungnahme: "Nach einzelnen Beratungen im Thüringer Landesamt für Statistik unter Beteiligung der Vertreter des Thüringer Innenministeriums und der kommunalen Spitzenverbände sowie von Vertretern der Kommunalverwaltung lehnen wir den Verordnungsentwurf ab, da gegen die im Entwurf vorgesehene Kostenerstattung für die Übertragung der Aufgaben im Rahmen des Zensus 2011 nach wie vor erhebliche inhaltliche und auch verfassungsrechtliche Bedenken bestehen."


(Beifall DIE LINKE)


Auch der Thüringer Landkreistag und der Gemeinde- und Städtebund lehnten das Gesetz in ihrer Stellungnahme ab. Sie bemängelten den erheblichen kommunalen Mehraufwand ohne entsprechenden finanziellen Ausgleich. Ich finde, dieses Argument der Kosten muss in den heutigen Zeiten noch zugespitzter formuliert werden. Die Vollerfassung der Bürger will sich der Staat 750 Mio. € kosten lassen und gleichzeitig wird bei Hartz-IV-Empfängern das Elterngeld gestrichen.


(Beifall DIE LINKE)


Ordnungspolitik ist dieser Regierung anscheinend mehr wert als Sozialpolitik für Kinder.


(Beifall DIE LINKE)


Das ist bittere Realität und das muss bei diesem Gesetz auch beachtet werden.

Sehr geehrte Damen und Herren, zuletzt zu einem Gegenargument, das häufig angeführt wurde: Es seien ja kaum Bürger betroffen. Das ist Quatsch. Es werden alle Eigentümer von Wohnungen und Gebäuden erfasst. Das sind vier von zehn Thüringern, die im eigenen Heim wohnen. Zudem sollen Vermieter Angaben zu den Nutzern, also der in den von ihnen vermieteten Wohnungen Lebenden machen. Hinzu kommen 10 Prozent der Einwohner, die per Zufallsgenerator zusätzlich einen persönlichen Fragebogen beantworten müssen. Einwohner in sogenannten Sonderbereichen, das heißt Insassen von Gefängnissen, Bewohner von Altersheimen, aber auch alle Obdachlosen werden generell zur Angabe gezwungen, teilweise werden sogar direkt über die Heimleitung, ohne deren Beteiligung die persönlichen Daten dann herausgegeben. Diese Zwangserfassung dieser Einwohner und Insassen von sogenannten Sondereinrichtungen ist eine sozial stigmatisierende Facette der Volkszählung, die auch an weiteren Punkten deutlich wird. So sollen die Agenturen für Arbeit diejenigen kategorisieren, die sie für nicht - jetzt muss man bitte genau hinhören - aktivierbar für den Arbeitsmarkt halten. Aber auch die Fragen nach Migrationshintergrund und Religionszugehörigkeit sind diskriminierend und werden durch die EG-Richtlinie ebenso wenig verlangt. Warum wird gefragt, welcher Glaubensrichtung ein Bürger im Islam anhängt, wenn nicht gleichzeitig gefragt wird, mit welcher christlichen Kirche man sympathisiert oder welcher man zugehört.


(Beifall DIE LINKE)


Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht wird zu klären haben - und das wird sicherlich im Eilverfahren geschehen -, ob wir auch dann eine EG-Richtlinie umsetzen müssen, wenn dadurch Grundgesetz und Landesverfassung verletzt werden. Ich sage nein. Keine Vertragstreue zur EU oder föderale Bundestreue kann das Grundgesetz außer Kraft Setzen


(Beifall DIE LINKE)


und den Freistaat veranlassen, verfassungswidrige Regelungen umzusetzen. Deshalb kann man sich auch nicht darauf zurückziehen, dass es sich bei dem hier im Landtag vorliegenden Gesetz nur um ein Ausführungsgesetz handelt, und das, was ausgeführt werden soll, völlig aus den Augen verlieren oder gar von vornherein unberücksichtigt lassen. In diesem Sinne heißt es, die Erosion der Grundrechte stoppen, keine Volkszählung auf der Grundlage des Zensus-Gesetzes 2011 in Thüringen.


(Beifall DIE LINKE)

Dateien