Thüringen muss ein klares Zeichen für Selbstbestimmung setzen: Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren
Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 7/9863
Herr Präsident, sehr geehrte Damen, es geht um uns – es geht um uns, wenn wir über den § 218 reden oder es geht um Ihre Töchter, Enkeltöchter oder Ihre Urenkelinnen. Weil – es geht um Ihre Selbstbestimmung.
Seit 1871 und ich sage seit 1871 – diese Jahreszahl sollte man sich schon mal auf der Zunge zergehen lassen – steht im Strafgesetzbuch, dass ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich ein Straftatbestand ist. Ich sage, es ist ein Skandal!
(Beifall DIE LINKE)
Seit mehr als 150 Jahren schränkt damit ein – und ich denke, ich kann es so sagen – von Männern gemachter Paragraf die Selbstbestimmung von Frauen ein. Seit Jahrzehnten wird dieser Paragraf heftigst kritisiert, und wir als Linke sagen: zu Recht! Meine Fraktion und ich haben deshalb diesen Antrag heute hier in das Plenum als Aktuelle Stunde eingebracht, um noch mal klare Position zu beziehen.
Es wird und ist endlich an der Zeit, diesen diskriminierenden Paragrafen zu streichen.
(Beifall DIE LINKE)
Gerade vor dem Hintergrund der ostdeutschen Frauen, die nach der Wende eine böse Überraschung erlebt haben, ist es noch einmal ein wichtiges Thema. Wir in der ehemaligen DDR konnten bis zur zwölften Woche allein entscheiden, ob wir die Schwangerschaft abbrechen wollen oder nicht. Das wurde nach den Wendejahren geändert. Ich lasse Sie auch nicht raus, wenn ich noch mal ein paar Auswirkungen zu diesem Paragrafen deutlich machen werde. Es geht also nicht nur darum, dass den Frauen ihr Grundrecht auf Selbstbestimmung über den Körper einfach beschränkt worden ist, sondern es geht auch um eine absolute Rechtsunsicherheit. Es ist diskriminierend.
Die Folgen sind Angst, ja Angst – nicht nur bei den Schwangeren, sondern auch bei den Ärztinnen und Ärzten und bei den Beraterinnen und Beratern. Ja – und ich sage auch, wer sich für ein Kind entscheidet, weiß, dass er damit ausdrücklich auch ein Armutsrisiko hat, und ich will auch noch einmal sagen,
(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Unglaublich!)
wer sich für einen Abbruch entscheidet – das macht keine Frau mal aus einer Laune heraus, sondern es sind meistens ganz massive Ängste, es sind Zukunftsängste, es sind Geldängste, es sind Ausbildungsschwierigkeiten, es ist vielleicht die Wohnung, die nicht vorhanden ist oder zu klein ist. Es sind unterschiedliche Faktoren, und keine Frau, die diesen Schritt geht, darf dafür je unter Verdacht oder unter Strafe gestellt werden.
(Beifall DIE LINKE)
Ich sage auch eindeutig: Solange es die sogenannten Lebensschützerinnen gibt, die vor den Praxen der Ärztinnen und Ärzte oder den Beratungen, Beratungsangeboten stehen und den Frauen und den Mitarbeitenden Ängste und ein schlechtes Gewissen einflößen wollen – solange darf es nicht stillstehen, unsere Forderung nach Abschaffung des § 218. Hier sage ich immer wieder, es geht um uns, werte Frauen, die hier im Raum sitzen oder gerade am Livestream zuhören, es geht um unsere Grundrechte. Darum ist es gut, dass die Expertinnenkommission eingesetzt worden ist von der Ampel, und ich sage extra Expertinnenkommission, die aus einem Bereich des Rechtes, der Soziologie und der Psychologie kommen und uns ein einstimmiges Ergebnis vorgelegt haben, ins Stammbuch geschrieben haben, dass die Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche endlich entkriminalisiert werden müssen.
Und ja – in dem jetzigen Gutachten steht auch, dass die jetzige Regelung verfassungsrechtlich, völkerrechtlich und europarechtlich einer Prüfung nicht standhält. Also was wollen wir denn noch mehr? Also sollten wir die Ampel sofort auffordern: „Geht und macht, bringt neue Gesetze auf den Weg, die genau dieses regulieren, weg mit dem Paragraphen 218!“.
Andere Länder haben es uns vorgemacht, Frankreich hat mittlerweile die Legalisierung und das Recht in die Verfassung geschrieben, also in die Verfassung – wie weit oder wie lange wollen wir noch warten? Selbst Polen ist nach dem Wechsel der Regierung auf einem besseren, auf einem neueren Weg, um das Selbstbestimmungsrecht für Frauen als Grundrecht zu verwirklichen.
(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Aha!)
Ja – und da können Sie rufen, wie Sie wollen. Ich akzeptiere auch Ihre Meinung, wenn Sie eine andere haben, aber eine große Anzahl von den Frauen, nicht nur hier in den neuen Bundesländern, sondern auch insgesamt in Deutschland sagt, der § 218 muss weg. Dafür werden wir stehen als Linke-Fraktion, nicht nur heute und hier, sondern auch in Perspektive. Und eines will ich noch mal ausdrücklich formulieren: Alle, die in der politischen Verantwortung des Bundes sind, lassen Sie sich keine Angst machen vor eventuellen Verfassungsklagen, wenn die CDU/CSU dies schon wieder ruft, sondern haben Sie endlich
Vizepräsident Worm:
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist jetzt zu Ende.
Abgeordnete Stange, DIE LINKE:
den Mut, für ein Selbstbestimmungsrecht der Frauen einzutreten. Dafür sollten wir kämpfen. Danke.
(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
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