Thüringen hat mehr verdient! Wir müssen den unteren Entgeltbereich überwinden
Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 7/4764
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren am Livestream und hier in der Runde, ich danke der SPD für die Einreichung dieses dauerhaft wichtigen und leider auch dauerhaft aktuellen Themas. Fast jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland fällt in den unteren Entgeltbereich und – ich glaube, das ist aus den bisherigen Redebeiträgen auch deutlich geworden – das Ganze ist eben nicht gleichmäßig verteilt, sondern Frauen sind überdurchschnittlich davon betroffen, im Niedriglohnsektor zu arbeiten, genauso wie Menschen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Hier sind es fast 37 Prozent.
Wenn wir uns die Lage in Thüringen vergegenwärtigen, haben wir knapp ein Drittel der Beschäftigten, das sind fast doppelt so viele wie in Westdeutschland. Das heißt, auch hier wissen wir um die dauerhafte Differenzierung zwischen Osten und Westen, die in den seltensten Fällen angeglichen werden kann und wenn, dann auch nur über eine starke Tarifbindung. Ebenfalls ist das Gefälle zwischen Stadt und Land betont worden. In großen Städten, in Ballungsgebieten und in Städten mit Großbetrieben liegt der Anteil der Beschäftigten im unteren Entgeltbereich deutlich niedriger. Während in Jena beispielsweise genau der Bundesdurchschnitt herrscht, gehören mit dem Saale-Orla-Kreis, dem Altenburger Land, dem Unstrut-Hainich-Kreis und dem Landkreis Greiz gleich vier Thüringer Landkreise zu den zehn Schlusslichtern der Bundesrepublik.
Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, mir ist total bewusst, dass wir in dieser Debatte alle mit prozentualen Zahlen um uns geworfen haben, aber ich glaube, viele vergegenwärtigen sich nicht so richtig, was das bedeutet. Wir sprechen hier nicht über trockene Statistiken, sondern wir sprechen hier sehr konkret über Lebensrealitäten. Wir sprechen hier darüber, ob jemand am soziokulturellen Leben teilhaben kann. Wir sprechen darüber, ob jemand Angst vor Erwerbsarmut und vor Altersarmut haben muss.
Die Studie des WSI formuliert eine klare Handlungsempfehlung. Das ist, glaube ich, eine Handlungsempfehlung, die zumindest Rot-Rot-Grün sehr bekannt ist: die Ausweitung der Tarifbindung. Wir müssen das Tarifvertragssystem in Thüringen weiter stützen. Wir müssen uns für die Allgemeinverbindlichkeit und die Hürden von Tarifverträgen, die da immer noch bestehen, einsetzen und wir müssen vor allem auch das Vergabegesetz auch auf kommunaler Ebene ausweiten. Ich glaube, die Schritte bis dahin sind uns klar.
Ich möchte bei allem Respekt, den ich für die Einreichung dieser Aktuellen Stunde habe – ich habe mich eingangs bedankt, das meine ich auch sehr ernst –, aber ebenso klar formulieren, dass der Einsatz auch auf dem Weg und in den richtigen Gremien in der Bundesregierung und dem Bundestag stattfinden muss. Immerhin führt die SPD eben auch seit 2013 das Arbeits- und Sozialministerium.
(Beifall DIE LINKE)
Ich glaube, es reicht nicht, hier nur abzufeiern, dass eine Mindestlohnerhöhung kommt. Das ist eine langjährige Forderung der Linksfraktion gewesen. Es ist auch lange überfällig, dass die kommt. Ich glaube, uns ist auch allen klar, dass es eigentlich noch gar nicht reicht, wenn wir uns angucken, wie die Lebenshaltungskosten sich in der Zeit entwickelt haben. Bei dem Abfeiern und auch dem berechtigten Abfeiern einer Mindestlohnerhöhung bleibt eben, dass wir uns dann die Folgeprobleme anschauen müssen. Wenn die Ampel gleichzeitig die Minijobgrenze von 450 Euro auf 520 Euro erhöht, muss man sich doch fragen, wie wir in diesem Zusammenhang überhaupt dazu kommen. Denn die Anpassung dieser Minijobgrenze an den neuen Mindestlohn führt dann eben dazu, dass die Minijobberinnen und Minijobber eben nicht in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverträge kommen. Minijobs sind kein Sprungbrett in reguläre Beschäftigungsverhältnisse. Im Gegenteil, wir sehen, sie verdrängen reguläre Beschäftigungen sogar. Die Attraktivität von Minijobs zu fördern – und nichts anderes wird mit dieser Anhebung der Grenze getan – fördert entsprechend auch die Erwerbs- und die Altersarmut. Minijobber/-innen erwerben keine Rentenansprüche und sie haben auch keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld.
(Beifall DIE LINKE)
Und – das ist ganz interessant – sie gehören ja noch nicht mal zum sogenannten unteren Entgeltbereich. Das heißt, selbst wenn man hier nicht in die Kategorie fällt, wird man nicht in die Berechnung mit aufgenommen. Wenn wir dann immer noch sagen, ja, aber die Minijobs, die führen dazu, mit denen hat man dann die Chance auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, muss man sich auch da nur die Daten angucken und die geben das sehr deutlich nicht her. Deswegen hoffe ich, dass die Anstrengungen, die genannt worden sind, für eine angemessene Entlohnung, vor allem für eine Erhöhung der Tarifbindung endlich auch auf allen politischen Ebenen genutzt und eingesetzt werden und wir nicht dafür sorgen, dass die Fortschritte, die im einen Bereich der Regelung gemacht werden, über eine Veränderung im anderen Regelungsbereich sich direkt wieder auswirken können. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
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