Fünftes Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaats Thüringen – Weiterer Ausbau der direkten Demokratie auf Landesebene 1/2
Zum Gesetzentwurf der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 7/158
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es war ein langes und phasenweise auch hartes Stück Arbeit bis in diese zweite Lesung. Die Arbeit – das sagen wir aus vollstem Herzen – hat sich für die Menschen in Thüringen und für die Demokratie in Thüringen gelohnt, wie diese Beratung und die hoffentlich positive Beschlussfassung an ihrem Ende jetzt auch belegen. Auch nach langwierigen und schwierigen Beratungen, kann es, wie sich gezeigt hat, gute inhaltliche Ergebnisse geben, wenn die beteiligten demokratischen Akteurinnen und Akteure sach-, lösungsorientiert und verantwortungsvoll handeln.
Die Entstehungsgeschichte der vorliegenden Verfassungsänderung beweist, dass es, wenn außerparlamentarische Menschen als sachkundige Anzuhörende im Gesetzgebungsverfahren mitwirken und die Arbeit des Landtags an den Gesetzentwürfen engagiert begleiten, die Inhalte besser macht und dabei hilft, zu handfesten Ergebnissen zu kommen. Deshalb an dieser Stelle ein ganz großes, dickes, fettes Dankeschön an die Anzuhörenden im Verfassungsausschuss und vor allem an die 21 Verbände und Organisationen in Thüringen, die jetzt das Bündnis Verfassungsreform bilden. Sie haben einen großen Anteil daran, dass heute hier konkrete Änderungen in der Thüringer Verfassung zur Debatte und zur Abstimmung stehen.
(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte – eigentlich wollte ich es nicht – das Plakat hochhalten, weil die immer so bescheiden gewesen sind. Darauf sind der Feuerwehrverband, ganz viele Verbände, Sozialverbände, Kinderschutzbund; alle haben mitgewirkt, damit das heute hier zur Abstimmung steht. Deswegen wirklich aus tiefstem Herzen ein dickes, fettes Dankeschön.
(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das ist Zusammenarbeit und das ist auch ein Zeichen von gelebter Demokratie vom Landtag. Wenn der Landtag, sprich die Abgeordneten, und die Thüringer Zivilgesellschaft in bestem Sinne aller eng zusammenarbeiten, dann ist das Demokratie wirklich im besten Sinne.
Sieben der ursprünglich neun im Verfassungsausschuss liegenden Gesetzentwürfe kommen jetzt in die zweite Lesung zurück. Die Arbeitsergebnisse des Verfassungsausschusses zu all diesen Gesetzentwürfen sind nun in einer Beschlussempfehlung gebündelt. So ist das für das Plenum alles übersichtlich und gut handhabbar auch aufgearbeitet.
Dass es mit dem Schutz und der Förderung des Ehrenamts und der Nachhaltigkeit und mit der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse drei neue Staatsziele gibt, ist nach Ansicht meiner Fraktion ein großer Erfolg. All diese drei Staatsziele sind wichtige verfassungsrechtliche Gestaltungsinstrumente, um der unsozialen Spaltung der Gesellschaft in allen Gesellschaftsbereichen und flächendeckend in Thüringen entgegenzuwirken. Dass die Förderung des ehrenamtlichen Engagements und das Prinzip der gleichwertigen Lebensverhältnisse der sozialen Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken, ist auf den ersten Blick zu sehen. Die Aufwertung des ehrenamtlichen Engagements Hunderttausender Menschen in Thüringen ist eine handfeste Verbesserung, denn Staatsziele in der Verfassung sind rechtlich verbindliche Handlungspflichten. Für alle Bereiche, von der Feuerwehr, der Wasserwacht, dem Sport bis hin zu sozialen, zu Umweltprojekten oder auch Kulturinitiativen, um nur wenige Beispiele zu nennen.
Wichtig ist dabei, dass die praktische Umsetzung von Staatszielen in den Lebensalltag der Menschen auch einklagbar ist. Das beweist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimagesetz des Bundes. Deswegen sind Staatsziele ein ganz wichtiges Instrument. Mit der Verankerung der Förderung des Ehrenamts in der Verfassung haben alle ehrenamtlichen Aktivitäten eine sehr fundierte und langfristige Absicherung. Das geht bis zur Pflicht längerfristiger finanzieller Unterstützung von ehrenamtlichen Projekten.
Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, gibt sinnvollen Gesellschaften, Projekten Planungssicherheit und Entwicklungsperspektiven. Das Staatsziel der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse wird wegen seiner Verankerung in der Verfassung nun zukünftig die Landesplanung und Landesentwicklung deutlich prägen. Das gilt bezogen auf die verschiedenen Gesellschaftsbereiche, da nehmen wir mal das Stichwort sozialer Wohnungsbau über die Bildung und Gesundheit bis hin zur Mobilität. Die Verpflichtung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse gilt aber auch bezogen auf Thüringen als geografische Einheit. Ausgeprägte Leuchtturmprojekte zugunsten größerer Städte, da nenne ich immer das Stichwort unsere sogenannte Städtekette, und zulasten und zum Nachteil der ländlicher geprägten Regionen drum herum sind dann tabu. Auch sogenannte abgehängte Regionen darf es dann nicht mehr geben.
Beim Nachhaltigkeitsprinzip als Staatsziel werden manche schon skeptisch, reagieren mit Blick auf die Aussage: Hilft das dabei, der sozialen Spaltung entgegenzuwirken? Nachhaltigkeit ist doch nur Umwelt, ist Ökologie. Ja, ist es auch, aber eben nicht nur. Vor allem dann nicht, wenn man das Nachhaltigkeitsprinzip in so umfassender Weise versteht, wie die UNO die Nachhaltigkeit inhaltlich bestimmt und ausfüllt mit den 17 Nachhaltigkeitszielen. Ökologische Nachhaltigkeit, also der Schutz von Umwelt und Klima, braucht gleichzeitig auch sozialen Nachhaltigkeit, also die Beseitigung von Armut und sozialer Benachteiligung zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens für alle. Sie werden sich als Zuhörerinnen und Zuhörer sicher nicht wundern, wenn wir als Linke-Fraktion unser Augenmerk besonders auf die soziale Nachhaltigkeit richten. Das alles sollte, so die UN-Definition von Nachhaltigkeit, auch gepaart sein mit ökonomischer Nachhaltigkeit, ökonomische Nachhaltigkeit verstanden als wirtschaftlich vernünftiges Handeln, das allen Menschen jetzt und in Zukunft ein menschenwürdiges Leben ermöglicht und die natürlichen Lebensgrundlagen schützt. Zu diesem breit angelegten Nachhaltigkeitsbegriff gehört laut UNO auch die gesellschaftliche Nachhaltigkeit, gesellschaftliche Nachhaltigkeit verstanden als Stärkung des demokratischen und bürgerschaftlichen Engagements der Menschen, als Stärkung ihrer Mitgestaltungsmöglichkeiten. Deshalb hat die UNO ganz konsequent ihre Nachhaltigkeitsstrategie mit den 17 Zielen unter Einbeziehung von vielen Organisationen und von über einer Million Menschen in einem weltweiten Prozess erarbeitet.
Wenn gleich dann die Verfassungsänderungen beschlossen sein werden, geht es darum, diese neuen Handlungspflichten der Staatsziele weiter in konkrete Maßnahmen für den Alltag der Menschen vor Ort umzusetzen.
Wie die zahlreichen Anhörungen im Rahmen der Verfassungsdebatte gezeigt haben, gibt es in der Bevölkerung in Thüringen so viele engagierte Menschen mit unglaublich viel Sach- und Fachverstand und mit sehr vielen guten Lösungsvorschlägen.
(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb wird sich unsere Fraktion dafür einsetzen, dass auch bei der weiteren praktischen Umsetzung der neuen Verfassungsregelung der Sach- und Fachverstand – ich gucke wirklich oben auf die Tribüne, ich begrüße auch vom Bündnis Verfassungsreform Herrn Ahlke und weitere Gäste, ich freue, dass Sie heute da sind und auch der Debatte folgen und zum Abschluss dann vielleicht mit uns gemeinsam bringen. Vielen herzlichen Dank für Ihre Arbeit!
(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es geht ja letztlich um die wirklich praktische Gestaltung des Alltagslebens der Menschen vor Ort. Dabei sollen die Menschen mitreden und mitgestalten können, das ist unser Anspruch als Linke. Auch der Schutz vor Diskriminierung wegen des Alters und die Aufnahme des zeitgemäßen Begriffs „Menschen mit Behinderungen“ in Artikel 20 dienen dazu, der Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken.
Leben im Alltag vor Ort ist das passende Stichwort für eine weitere Verfassungsregelung, die heute zur Abstimmung steht. Die Kommunen brauchen eine sichere Finanzausstattung, um ihre Aufgaben wirksam zu erfüllen. Unsere Fraktion tritt schon seit Langem für die Stärkung der Kommunen ein, finanziell, aber auch strukturell und organisatorisch. Mit der Neufassung von Artikel 93 wird den Kommunen und dem Land mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gegeben hinsichtlich der kontinuierlichen Finanzausstattung der Städte und Gemeinden. Die gewählte Formulierung beachtet auch weiterhin die Vorgaben der geltenden Rechtsprechung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs. Die finanzielle Absicherung der Kommunen ist wichtig, um deren Handlungsfähigkeit zu erhalten. Wie das leider in unserer gelddominierten Gesellschaft so ist, gilt auch für Städte, Gemeinden und Landkreise: „Ohne Moos, nix los.“ Die Schaffung und Erhaltung handlungsfähiger Kommunen in Thüringen ist auch ein Baustein, um der Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Bei der Stärkung des Europabezugs in der Verfassung, die auch die Stärkung der Handlungsmöglichkeiten des Europaausschusses des Landtags einschließt, geht es um die gute Zusammenarbeit im internationalen Maßstab. Die Stärkung des Europabezugs ist eine Absage an die gesellschaftliche Spaltung der Menschen in Europa und genau genommen auch eine Absage an Nationalismus, der die Menschen spaltet, leider bis hin zur furchtbaren Gewalt des Krieges.
(Beifall DIE LINKE)
Deshalb bejaht die Linke-Fraktion diese Stärkung des Europabezugs. Nach unserer Auffassung ist in diesem Zusammenhang auch wichtig: In der vorliegenden Neuregelung umfasst der Begriff „Europa“ nicht nur die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern den Kontinent.
(Beifall DIE LINKE)
Das war eine Herzensangelegenheit.
Die Linke-Fraktion kann auch die Aufnahme des Subsidiaritätsprinzips mittragen, denn dieses kann auch dazu beitragen, ein gemeinsames Europa von unten, von den Menschen her zu entwickeln. Dieser Entwicklung eines demokratischen, vielfältigen Europas der Menschen dient auch die ausdrückliche Festschreibung der Förderung der Bürgerbeteiligung und der Beteiligung der Regionen, auch grenzüberschreitender europäischer Regionen, wie zum Beispiel Euregio Egrensis, zu der auch Teile Ostthüringens gehören. Die Verfassungsänderung, die die zukünftige digitale Verkündung von Gesetzen und Rechtsverordnungen betrifft, liegt etwas außerhalb des roten Fadens „Verhinderung der gesellschaftlichen Spaltung“. Sie ist eine praktische Konsequenz aus den arbeitstechnischen Erfahrungen von Landtag und Landesregierung während der Coronapandemie.
Aber mit Blick auf den roten Faden „Verhinderung der gesellschaftlichen Spaltung“ oder mit der Überschrift des neuen 7. Abschnitts in der Verfassung „Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ möchte ich noch Folgendes ansprechen:
Unter den komplizierten parlamentarischen Bedingungen der 7. Wahlperiode und mit Blick auf die komplexen Beratungsverläufe im Verfassungsausschuss kann sich das vorliegende Arbeitsergebnis durchaus sehen lassen. Es ist ein Ergebnis eines spannenden demokratischen Diskussionsprozesses. Und wie das in solchen Prozessen des Zusammenfindens von unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Positionen meist der Fall ist, nicht alle Beteiligten konnten all ihre Vorschläge durchsetzen. Im Sinne des Grundanliegens der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist ein Beschluss über die vorliegenden Inhalte ein wichtiger Baustein zur Weiterentwicklung der Thüringer Verfassung. Sollte die anstehende Abstimmung positiv ausgehen – und das hoffe ich wirklich sehr inständig –, freuen wir uns als Linke-Fraktion darüber, zumal angesichts der komplexen Rahmenbedingungen eine Zweidrittelmehrheit ein Erfolg für alle daran beteiligten Demokratinnen und Demokraten ist. Ein solches Ergebnis liefert den Beweis, der Landtag ist auch unter schwierigen Bedingungen handlungsfähig.
(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Demokratische Aufgabe des Landtags der kommenden 8. Wahlperiode ist nach Auffassung unserer Fraktion wieder, dass auf Grundlage des heutigen Arbeits- und Beschlussergebnisses der neue Landtag dann die neuen Errungenschaften in der Verfassung für die weitere gesellschaftliche Arbeit in Form konkreter Vorhaben nutzt und – zweitens – mit Blick auf die inhaltlichen Arbeitsergebnisse klärt, welche der Themen, die in der Beschlussempfehlung praktisch keine Rolle spielen, in einer Fortsetzung der Debatte noch einmal aufgegriffen werden. Nennen möchte ich in diesem Zusammenhang die „inhaltliche Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen und von Menschen mit Behinderungen“, die „Frage der UN-Menschenrechtspakte“ und den „unbedingten Ausbau der direkten Demokratie“. Aber heute sollten wir uns, wenn die Abstimmung dann gut ausgeht, trotz allem erst einmal freuen, dass durch vier Fraktionen und eine Parlamentarische Gruppe im Verfassungsausschuss und im Landtag dieses für die Weiterentwicklung der Verfassung sehr sinnvolle Arbeitsergebnis gelungen ist, denn es ist vor allem sinnvoll für die Verbesserung des Alltagslebens der Menschen in Thüringen und vor allem stärkt es die Demokratie in Thüringen. Vielen herzlichen Dank.
(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dateien
- re713501.pdf
PDF-Datei (81 KB)