Fällt Thüringen zurück? – Bestandsaufnahme und Perspektiven für die Thüringer Wirtschaft
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU und der Antwort der Landesregierung – Drucksachen 7/8829/9541
Vielen Dank, Herr Präsident. Werte Kolleginnen, liebe verbliebene Zuschauerinnen hier und am Livestream, letzte Woche durfte mich der Kollege Schubert zu einem hochschulpolitischen Thema vertreten, heute haben wir den Spieß mal umgedreht. Ich will gleich damit starten, dass mich an dieser Debatte wie erwartet insbesondere stört, was der gesamten Diskussion über die Frage der Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Thüringen nicht gerecht wird, man macht es sich immer wieder sehr einfach, wenn man sich nur die Zahlen rauspickt, die dann irgendwie in das Weltbild passen, in die Erzählung von – wir haben es heute nicht gehört, aber beispielsweise bei der Debatte zum Thüringen-Monitor – der immer roten Laterne in Thüringen. Das wird aber der ganzen Komplexität der Entwicklung, der Ursachen und der notwendigen Handlungen, die es daraus abzuleiten gilt, noch nicht mal im Ansatz gerecht.
Übrigens ist es, wenn wir hier die ganze Zeit so tun, als sei Thüringen nur auf dem absteigenden Ast, wenn man sich die entsprechenden Zahlen herauspickt, ehrlich gesagt auch ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die als Beschäftigte oder Unternehmerinnen hier im Land dafür sorgen, dass sich der Wirtschaftsstandort Thüringen gut entwickelt. Deswegen gilt es mit Blick auf die Große Anfrage Bilanz zu ziehen, indem man die Zahlen ein Stück weit differenzierter betrachtet, statt nur Alarmismus zu verbreiten. Die Entwicklungen des Wirtschaftsstandorts Thüringen in den letzten fünf Jahren sind auch nicht isoliert zu betrachten. Wir haben gestern erst im Plenum den Abschlussbericht zum Untersuchungsausschuss „Treuhand“ diskutiert. Da blicken wir auf die ersten zehn Jahre der Entwicklung des Freistaats nach der Wende und die entsprechenden Auswirkungen auf die Industriestandorte in Thüringen. Danach schauen wir beispielsweise auf 10, 14 Jahre Thüringen, wo es insbesondere der CDU damals in Regierungsverantwortung gefallen hat, das Land als Niedriglohnstandort zu vermarkten. Diese Jahre können nicht losgelöst von dem betrachtet werden, was an Entwicklungen in den letzten zehn Jahren gemacht wurde, als sich Rot-Rot-Grün daran gemacht hat, zu sagen, wir gehen einen anderen Weg, weil uns daran liegt, Thüringen als Arbeits- und Wirtschaftsstandort attraktiv zu entwickeln.
Ich will die Zahlen, die jetzt immer genannt wurden, mal ein Stück weit einordnen. Da kann man durchaus sagen, Thüringen hat erstens als Arbeitsort an Attraktivität gewonnen. Da ist beispielsweise auch die niedrige Arbeitslosenquote heranzuziehen. Da zeigen sich auch die Auswirkungen der Programme, beispielsweise die konkreten Auswirkungen des Arbeitsmarktprogramms: Innerhalb von zehn Jahren ist die Zahl der Langzeiterwerbslosen von 32.178 auf 21.525 gesunken. Wir sehen Thüringen als ein ostdeutsches Bundesland mit der geringsten Arbeitslosenquote. Nur wenige westdeutsche Bundesländer haben eine niedrigere Quote als Thüringen. Das zeigt, dass es hier durchaus eine positive Entwicklung gegeben hat. Aber auf der anderen Seite müssen wir dann auch wirklich schauen – und da reicht es eben nicht, nur zu sagen, man müsste oder man hätte, wie das der Kollege Henkel gemacht hat –, wo liegen die Herausforderungen und wie packen wir die an, wenn wir beispielsweise auf den Arbeits- und Fachkräftebedarf bis zum Jahr 2035 gucken. Da geht es ganz konkret um die Frage: Wie gewinnen wir mehr Menschen, die nach Thüringen kommen, sei es aus der Bundesrepublik oder sei es aus dem Ausland? Da stellt sich ganz grundsätzlich eine Frage der Willkommenskultur. Da hilft es auch nicht, sich jetzt nur die Zahlen rauszupicken und zu sagen, was schlecht ist, weil die Sorgen der Thüringer Wirtschaft vielfältiger sind. Da gibt es beispielsweise mit Blick auf den 1. September die Fragen, wie die politischen Verhältnisse im Land sein werden, wie sich Thüringen entwickelt, womit Thüringen in der Welt wahrgenommen wird, neben den anderen Problemen, die natürlich auch eine Rolle spielen, wenn wir auf die Entwicklung der Energie und der Preise gucken oder auch auf den gerade genannten Aspekt der Fachkräfteentwicklung. Da gibt es auch Initiativen, beispielsweise in der Zusammenarbeit des Landes mit den Industrie- und Handelskammern. Wir denken hier an die auch im Wirtschaftsausschuss mehrfach diskutierte Initiative zur GPS oder auch andere Bemühungen des Landes zur Verbesserung im Bereich der MINT-Fächer oder beispielsweise auch die Zusammenarbeit mit dem Handwerk, wenn es um die Frage der Meistergründungsprämie oder auch die Praktikumsprämie für Schülerinnen und Schüler, die es seit diesem Jahr gibt, geht.
Zum Zweiten will ich noch mal ganz klar sagen: Wir müssen uns nicht verstecken, Thüringen ist ein starkes Industrieland mit einer überdurchschnittlichen Dynamik, beispielsweise in der Bruttowertschöpfung pro Arbeitnehmerinnenstunde. Die hat sich gegenüber 2018 um 24,6 Prozent gesteigert. Damit lag Thüringen übrigens weit über dem Bundesdurchschnitt von 16,6 Prozent.
Weil hier jetzt immer auch über das BIP gesprochen wird, will ich noch mal sagen, man kann sich nur einfach das BIP rausziehen, man kann aber auch auf das BIP-Wachstums je Einwohnerinnen und Einwohner gucken. Da ist es nämlich ein Zuwachs von 16,1 Prozent innerhalb des Zeitraums 2018 bis 2022. Da liegen wir dann beispielsweise über dem Bundesdurchschnitt und nur knapp unter dem ostdeutschen Durchschnitt. Dann werden die Zahlen wieder ein bisschen eingeordnet und die Schwarzmalerei, die hier betrieben wird, wird ein bisschen zurechtgerückt. Das braucht es, um wirklich in der Differenziertheit zu gucken, wie sich der Standort in Thüringen wirklich entwickelt hat.
Sicherlich müssen wir auch darauf gucken, wo es noch Handlungsbedarf gibt. Ein großes Problem ist und bleibt die Armutsgefährdungsquote, ein Indikator, der herangezogen werden muss. Deswegen ist es wichtig, was Rot-Rot-Grün in den letzten zehn Jahren auch immer wieder gemacht hat, die Wirtschaftspolitik mit einer konkreten Arbeitsmarktpolitik zu verbinden, beispielsweise bei der Frage der Stärkung der Tarifbindung oder auch der Frage, welche sozialen und ökologischen Standards setzen wir, wenn wir als Land bei öffentlichen Aufträgen als Vorbild vorangehen, bei der Verbesserung des Vergabegesetzes, wo es dann eben einen Unterschied macht, wenn der Vergabemindestlohn jetzt gerade bei knapp unter 14 Euro und dann im nächsten Jahr bei über 14 Euro liegt. Das ist tatsächlich eine Verbesserung im Alltag für die Menschen in Thüringen.
(Beifall DIE LINKE)
– Ich sehe schon, es ist ein bisschen die Luft raus, aber wir haben es ja auch bald geschafft. –
Dann will ich noch auf einen anderen Punkt eingehen, weil die Frage von Gründungen und Unternehmen genannt wird. Es ist ja erstmal nicht verwunderlich, Herr Montag: Ein Unternehmen, das nicht gegründet wird, kann auch keinen Erfolg haben. Das ist eine Binse. Wenn es ein Unternehmen nicht gibt, dann kann das natürlich auch am Markt keinen Erfolg haben. Aber wir müssen doch durchaus auch mal gucken, was die letzten Jahre im Bereich der Gründung gemacht wurde. Da ist beispielsweise mit dem Thüringer Startup-Fonds durchaus auch einiges investiert worden. 28,75 Millionen Euro standen beispielsweise zur Verfügung.
Auch beim Thema „Gründungen“ – weil da immer nur auf absolute Zahlen geguckt wird – muss man sich die Rahmenbedingungen doch mal angucken. Wir können doch nicht so tun, als sei Thüringen vergleichbar mit einem Standort wie Berlin, Hamburg oder Bremen. Es gibt bestimmte Indikatoren. Das ist einerseits die Frage: Ist das Bundesland eher städtisch geprägt oder eben eher ländlich? Es gibt Indikatoren wie den Bevölkerungsdurchschnitt im Alter und damit auch eine Affinität zur Digitalität. Das sind Rahmenbedingungen, die betrachtet werden müssen, wenn wir über die Frage von Gründung sprechen.
Vizepräsident Bergner:
Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Abgeordneter Schaft, DIE LINKE:
Ja.
Vizepräsident Bergner:
Dann, Herr Abgeordneter Montag, bitte die Zwischenfrage.
Abgeordneter Montag, Gruppe der FDP:
Vielen Dank, Herr Kollege Schaft, für die Möglichkeit. Haben Sie noch erinnerlich, dass ich tatsächlich Thüringen gar nicht mit anderen Bundesländern verglichen habe, sondern ich auf den Rückgang der Unternehmensgründungen im Land selber geschaut habe und dass mich das ein bisschen skeptisch macht für die zukünftige Wirtschaftsentwicklung? Und haben Sie eine Idee, woran das denn liegen könnte?
(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Abgeordneter Schaft, DIE LINKE:
Dazu zwei Aspekte: Das eine ist, Ihre Gruppe, aber auch andere Fraktionen im Haus machen das ja gern, sich nur die absoluten Zahlen bei den Gründungen rauszunehmen. Deswegen habe ich da auf vergangene Wortmeldungen abgestellt. Das andere ist natürlich auch einfach mal zur Kenntnis zu nehmen: In einem Bundesland mit einem hohen Altersdurchschnitt und dieser demografischen Entwicklung hat das natürlich am Ende auch eine Auswirkung auf die Frage der Unternehmensgründungen und kann auch nicht einfach isoliert als Ursache betrachtet werden. Da kann man es sich dann auch nicht so einfach machen.
An vielen Stellen will ich daran anschließen, was schon der Kollege von den Grünen gesagt hat: Wir brauchen mehr soziale, ökologische Initiativen. Auch hier beispielsweise mit Blick auf die Initiative des DGB, die auch schon erwähnt wurde, zu sagen, wir müssen in den Ausbau einsteigen, weil das eine entscheidende Fragestellung für die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes ist. Das belegt – die Studie ist bereits genannt worden: Der schnellere Ausbau der erneuerbaren Energien, der Hand in Hand geht mit der Frage der Dekarbonisierung, könnte das Bruttoinlandsprodukt in Thüringen bis zum Jahr 2035 um weitere 6 Prozent steigern. Und das macht dann eben den zentralen Unterschied, ob man sich wie die CDU hinstellt und sagt, wir machen dann einfach irgendwie das Verbrennermotor-Aus als Forderung,
(Beifall DIE LINKE)
oder ob wir tatsächlich sagen, wir stehen an der Seite der Beschäftigten und unterstützen eben ganz konkret auf dem Weg zum Wandel, weil das ein konkreter Beitrag ist, mit zusätzlichen öffentlichen Investitionen zu sagen, wir unterstützen die Unternehmen und die Beschäftigten im Land. Da müssen wir in der nächsten Legislatur die Frage stellen: Reicht das, was mit dem regulären Haushalt dort zu bewältigen ist, oder brauchen wir andere Instrumente, die beispielsweise auch der DGB vorschlägt, wenn es um die Frage von öffentlichen Infrastrukturgesellschaften geht?
Dann will ich noch einen letzten Punkt machen. Das hängt noch mal zusammen mit dem, was mich immer wieder aufregt, wie über das Land Thüringen gesprochen wird. Ich glaube, wir alle hatten heute die Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ im Postfach. Da war dieses Heft dabei zum Thema „Zukunftsfragen – Antworten aus der Mitte Deutschland“. Ich würde allen Kolleginnen und Kollegen im Haus, die immer nur mit der roten Laterne oder der Schwarzmalerei kommen, durchaus empfehlen, dort mal reinzugucken, weil da tatsächlich ein paar Botschaften drinstehen, die auch Mut machen. Wenn beispielsweise von Herrn Tünnermann vom IOF gesagt wird, auf der zukünftigen Quantenautobahn führt kein Weg mehr an Thüringen vorbei. Oder wenn mit Blick auf die Entwicklungen im Bereich der Batterie- und Speichertechnologie von Prof. Ulrich Schubert klar festgestellt wird, wir haben volkswirtschaftlich nichts davon, wenn wir die Speicher nur importieren, und darauf abgestellt wird, dass wir beispielsweise hier konkret in Thüringen auch einen wichtigen Schritt gegangen sind. Wenn Herr Prof. Stelter beispielsweise sagt, zum Glück hat Thüringen klug gehandelt und früh genug eine regionale Forschungsgruppe finanziert, das ermöglicht uns die Arbeit in diesem Bereich. Das zeigt, dass hier noch zwei weitere Komponenten gemeinsam miteinander zusammen gedacht werden – die Entwicklung des Wirtschafts- und des Forschungsstandortes Thüringen, um hier die besten Rahmenbedingungen zu schaffen.
Ich will noch ein weiteres Zitat nehmen, denn auch daran kann man sich vielleicht ein Beispiel nehmen mit der Frage, wie reden wir eigentlich über den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Thüringen in der Verbindung. Wenn beispielsweise Herr Prof. Schubert auf die Frage, warum er sich denn für Jena entschieden hat, sagt und noch mal darauf hinweist, dass es die zweithöchste Zahl an Patentanmeldungen pro Einwohnerin, kurze Wege, eine extrem technologieaffine Bevölkerung gibt und dass hier eben tatsächlich geschätzt wird, dass die Entscheidungswege in Thüringen kurz sind und schnell und strategisch gehandelt wird, anders als – Zitat – in anderen Bundesländern – Zitat – „das flutscht einfach“.
Ich kann das also nur sehr empfehlen, schauen Sie sich das mal an. Die Zukunftsfragen werden hier in Thüringen angegangen
(Beifall DIE LINKE)
und werden konkret verbunden mit dem, was notwendig ist, um den Wirtschaftsstandort dann auch entsprechend voranzubringen. Da lohnt es sich eben, sich Schwarz und Weiß anzugucken und dann die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen, um wirklich voranzukommen. Da habe ich jetzt, zumindest von der Seite hier im Rund, nicht eine einzige Lösung gehört. Vielen Dank.
(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
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