Erstes Gesetz zur Änderung des Thüringer Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung vor Tiergefahren

RedenSabine BerningerInneresHunde

Zum Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 6/3570


Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren der demokratischen Fraktionen hier im Haus, ich habe mir das schon gedacht, dass Sie gespannt sind – wo ist er denn, der Herr Kellner? –, was ich für einen Standpunkt für die Linksfraktion vortrage. Ich bin allerdings ein bisschen enttäuscht. Ich hatte erwartet, dass ich in der CDU-Fraktion eine Verbündete für unseren Standpunkt finde, dass nämlich Rasselisten nicht geeignet sind. Ich hatte auch erwartet, dass Wolfgang Fiedler zu dem Thema spricht, weil er der befasste, zuständige Abgeordnete in den letzten Jahren gewesen ist.


Meine Damen und Herren, wer die Debatte verfolgt hat, der weiß, dass die Linksfraktion mit dem jetzt vorgelegten Kompromissvorschlag nicht glücklich sein kann. Es geht natürlich nicht um Glücksgefühle meiner Fraktion hier im Haus und bei Gesetzgebungsverfahren, aber es ist dennoch so – wir bleiben dabei –, wir halten den Gesetzeszweck im Gesetz zum Schutz der Thüringer Bevölkerung vor Tiergefahren, nämlich in § 1 ist der formuliert, „[…] Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorzubeugen und abzuwehren, die mit dem Halten und Führen von gefährlichen und anderen Tieren verbunden sind“. Wir halten die Rasseliste nicht für geeignet, diesen Gesetzeszweck zu erfüllen. Insbesondere die im Änderungsgesetz in Punkt 3 mit den vorgeschlagenen Änderungen zu § 2 Abs. 3 sind aus unserer Sicht noch nicht das, was zum Schutz der Bevölkerung nach unserer Meinung sachgerecht wäre. Wir halten nach wie vor die Liste aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse als gefährlich eingestufter Hunde für falsch. Wir finden, dass der mit dem Gesetzentwurf ermöglichte Wesenstest zur Widerlegbarkeit dieser unterstellten Gefährlichkeit ein Schritt in die richtige Richtung ist. Aber für uns ist es ein zu kurzer Schritt.


Herr Götze, ich finde es problematisch, auch Herr Kellner, wenn man schlimme Beißvorfälle zur Grundlage solcher Diskussionen zu solchen Gesetzen macht und sich dabei dann auch nur auf das Tier und nicht auf die durch die Menschen oder auch durch Behörden gemachten Fehler konzentriert. Ich weiß, in Oldisleben war der Gemeindeverwaltung lange bekannt, dass Hunde auf diesem Grundstück sind, aber es wurde nichts unternommen. Die Hunde waren nicht registriert nach meinen Informationen, die Behörde hat nichts gemacht. Der von Ihnen zitierte Vorfall 2010 in Kindelbrück wurde durch einen Rottweilermischling verursacht, nicht durch einen Hund, der auf dieser sogenannten Rasseliste steht. Es wurde nicht erwähnt, dass 2011 beispielsweise in Wülfingerode ein 62-jähriger Mann von seinem Dobermann tödlich verletzt wurde. Es werden dann immer nur die Beißvorfälle herangezogen, die auch den Zweck der geplanten Gesetzesänderung stützen, und andere werden weggelassen. Herr Kellner, ich finde es nicht hilfreich – jetzt ist er weg.


(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ich bin doch da und höre zu!)


Ich finde es nicht hilfreich, wenn mit dem Finger auf andere gezeigt wird. Aber wenn Sie das machen, dann will ich mal sagen: 2011 wurde in Niedersachsen das Gesetz geändert und ein Hundeführerschein eingeführt. Meines Wissens war Herr McAllister damals Ministerpräsident. Das ist ein CDU-Politiker, wenn ich mich richtig erinnere. Ich habe diese Woche einen Beitrag von Herrn Dierbach gelesen. Herr Dierbach ist diplomierter Veterinäringenieur, berufene sachkundige Person des Thüringer Landesverwaltungsamts und Mitglied der Interessengemeinschaft der Thüringer Hundesachverständigen. Er hat einen Beitrag veröffentlicht, in dem er schreibt, das möchte ich zitieren:


„Verhaltensbiologisch ist die ‚gefährliche Rasse‘ nicht zu benennen, es ist naturwissenschaftlich so unsinnig wie unbewiesen, einer Hunderasse a priori, also ohne Berücksichtigung der Prüfung jedes Einzelfalles einer Beißattacke, eine gesteigerte ‚Gefährlichkeit‘ zuzuschreiben. Rassenkataloge, die ‚Hunde mit gesteigerter Gefährlichkeit‘ auflisten, sind irreführend, weil der Objektivität entbehrend, sie fördern darüber hinaus“ – und das finde ich auch einen wichtigen Aspekt – „einen Hundemissbrauch, indem sie bestimmte Rassen für eine bestimmte Klientel erst attraktiv machen.“


Herr Dierbach und die Interessenvereinigung der Sachverständigen schlagen als Definition für die Gefährlichkeit vor, dass ein Hund gefährlich für Mensch und Tier ist, wenn er die Unversehrtheit der Person oder eines Tieres durch irgendeine seiner Verhaltensweisen, wenig oder nicht kontrollierte oder durch den Halter nicht kontrollierbare Bewegungen bedroht oder in Gefahr bringt. Das finde ich eine hilfreiche und sachgerechte Definition der Gefährlichkeit eines Hundes, die eben nicht an der Rasse, sondern am Verhalten und daran festgemacht wird, wie der Halter oder die Halterin mit dem Hund umgehen kann.


Meine Damen und Herren, die Zahlen der Beißstatistik belegen, dass diese Liste nicht geeignet ist, „Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorzubeugen und abzuwehren, die mit dem Halten und Führen gefährlicher Tiere“, in diesem Fall gefährlicher Hunde, „verbunden sind“. In der von Herrn Kellner erwähnten Evaluation sind die Zahlen für 2012, 2013, 2014 und 2015 aufgelistet. Ich will mich mal nur auf die des letzten Jahres, also 2015, beschränken. Da waren in Thüringen 145.298 Hunde gemeldet, davon 659 dieser sogenannten gefährlichen Rassen und 13.320 Schäferhunde. Die will ich mit erwähnen, weil die meines Erachtens ein wichtiger Beleg für die Unwirksamkeit oder Unsinnigkeit der Rasseliste sind. Es gab 2015 415 Vorfälle mit Hunden, also wo Hunde andere Tiere oder Menschen gebissen haben. Davon waren neun von Hunden der sogenannten Rasseliste verursacht, 72 von Schäferhunden, meine Damen und Herren. Der Schäferhund hat also in 2015 acht Mal so oft schwere oder leichte Verletzungen bei Menschen oder Tieren verursacht wie alle in der Liste aufgeführten Hunderassen zusammen. Ich will jetzt nicht dafür reden, dass der Schäferhund auf die Liste gefährlicher Hunde kommt, sondern ich will nur, dass anhand der Population und anhand der tatsächlich passierten Vorfälle mal nicht emotional, sondern nüchtern über das Thema nachgedacht wird.


Herr Kellner, Sie sind ja schon länger hier Mitglied im Landtag, Sie hätten doch die Evaluierung per Selbstbefassungsantrag im Ausschuss thematisieren können. Wir hätten uns da gefreut. Da hätte kein Mensch etwas dagegen gehabt. § 74 Abs. 2 in der Geschäftsordnung des Landtags ist dazu das Instrument. Ich verstehe nicht, warum Sie es nicht machen und dann hier beklagen, dass wir es Ihnen nicht serviert haben. Das verstehe ich tatsächlich nicht.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber wir stimmen Ihrem Überweisungsantrag zu. Wir werden natürlich in der Debatte im Ausschuss diesen Evaluierungsbericht der Landesregierung mit auf den Tisch legen und in die Debatten mit einbeziehen.

Wenn ich über die Beißstatistik und die Zahlen rede, dann ist es so, dass wir dabei dann auch nur von den sachgemäß angemeldeten Hunden reden. Das sind die, mit den zumindest zum größten Teil verantwortungsvollen Halterinnen und Haltern, mit den Halterinnen und Haltern, die ihren Hund kennen und mit ihm umzugehen wissen, die ihn so sozialisiert haben, dass er eben nicht gefährlich ist, Herr Kellner. Das sind auch die, die fast klaglos diese exorbitant hohen Hundesteuern bezahlen, weil sie nämlich Tierfreunde und -freundinnen sind, weil sie den Hund als ein Familienwesen und nicht wie im Gesetz als Sache behandeln, und, Herr Kellner, das sind auch die, die die Kosten für den Wesenstest in Kauf nehmen werden. Und das sind auch die Hundehalterinnen und -halter, die den Wesenstest bestehen werden und damit ganz praktisch nachweisen, dass diese Rasseliste ein falsches Instrument ist.


Meine Damen und Herren, wir reden mit dem Gesetzentwurf leider nicht von Halterinnen und Haltern, die sich Hunde anschaffen, ohne die dafür nötige Sachkunde mitzubringen, beispielsweise Menschen, die sich einen Labrador-Retriever in die Familie holen, weil er als sehr kinderlieb und familienfreundlich bekannt ist, die aber seine richtige Sozialisation mit Menschen und Tieren vernachlässigen, die in der Erziehung ihres Hundes nicht konsequent sind, weil er ja so freundlich guckt und immer schön mit dem Schwanz wedelt, die dem Bedürfnis des Hundes nach Bewegung und Beschäftigung nicht gerecht werden und sich dann wundern, wenn der Hund eben nicht als Familienhund funktioniert und möglicherweise aggressiv wird. Auch Labrador-Retriever sind in der Beißstatistik ganz weit oben. Die Interessengemeinschaft der berufenen Sachverständigen formuliert als Grundsatz – das will ich auch noch einmal zitieren –: „Im allgemeinen Umgang und Handling der Hunde (unabhängig von der Rassezugehörigkeit) muss es immer auch um die physische und psychische Befähigung und die Forderung an den Hundehalter und Führer gehen, sodass der benannte Hund innerhalb und/oder außerhalb seines eingefriedeten Besitztums jederzeit so geführt und beaufsichtigt werden muss/sollte, dass Menschen, andere Tiere oder Sachen nicht verletzt oder anderweitig geschädigt werden können. Für die Haltung, das Führen von Hunden in der Öffentlichkeit (aller Rassen und/oder Mischlinge) befürworten die Thüringer Sachverständigen die Einführung eines sogenannten ‚Hundeführerscheins‘ für alle Hundehalter.“


Dem kann sich, meine Damen und Herren, die Linksfraktion anschließen und dies würden wir auch gern im zuständigen Innenausschuss beraten und zu der vorgeschlagenen Anhörung möglicherweise neben den Sachverständigen auch Vertreterinnen der niedersächsischen und/oder der schleswig-holsteinischen Landesregierungen einladen, die erst vor wenigen Jahren den Hundeführerschein eingeführt haben.


Meine Damen und Herren, die Linksfraktion bleibt dabei: Das Problem ist am oberen Ende der Leine. Gefährliche Hunde werden durch Menschen gemacht. Es sind die Menschen, die Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch Halterkunde und Sachverstand im Umgang mit ihren Hunden vorbeugen und abwehren können. Ein Gesetz, welches dies regelt, wäre nicht nur ein sicherheitspolitisches Instrument, sondern es diente auch dem in § 1 des Tierschutzgesetzes formulierten Tierwohl. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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