Ernährungssicherheit in Thüringen weiter ausbauen – Zukunft der Landwirtschaft in der Region stärken

Dr. Marit Wagler

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 7/7516

 

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Abgeordnete, Zuschauerinnen und Zuschauer, ich freue mich sehr über diese Aktuelle Stunde. Hier kommt etwas auf die Tagesordnung, was wir die ganze Zeit über für selbstverständlich halten, was eigentlich aber gar nicht selbstverständlich ist. Für Versorgungssicherheit, für Nahrungsmittelsicherheit brauchen wir eine funktionierende Landwirtschaft. Soll das Ganze nachhaltig funktionieren, dann brauchen wir sogar eine funktionierende regionale Landwirtschaft. Was wir in den letzten Tagen aber hören durften, ist Rückgang. Montag, zum Milchtag, schon wieder ein Rückgang von 85.000 Milchkühnen innerhalb von zwei Jahren und so wird es wohl weitergehen. Wir haben jetzt also eine Milchkuh für 425 Thüringer. Jetzt gibt eine Bio-Kuh so zwischen 15 und 30 Liter Milch am Tag, einen Liter Milch braucht man für die Erzeugung von 100 Gramm Käse, noch mehr Milch braucht man für Butter. Das Rechnen überlasse ich jetzt Ihnen. Nehmen wir nicht nur unsere Milchrinder, sondern auch noch die Fleischrinder, die Schweine, die Pferde und andere dazu, dann sind wir in Thüringen jetzt bei einem Tierbesatz von 0,4 Großvieheinheiten pro Hektar. Eine Großvieheinheit pro Hektar bräuchten wir für eine nachhaltige Landwirtschaft in Thüringen; für eine Landwirtschaft mit der Möglichkeit, Nährstoffkreisläufe zu schließen, mit genügend organischem Dünger – und organischer Dünger, das ist nun mal Mist und Gülle. Dafür müssten wir in Thüringen die Tierbestände eigentlich mehr als verdoppeln.

 

(Beifall Gruppe der FDP)

 

Und es sind auch nur die Wiederkäuer, die unser Grünland in den benachteiligten Gebieten – das sind immerhin 21 Prozent unserer landwirtschaftlichen Nutzfläche – abweiden können. Selbst als Veganer kann man nun einmal kein Gras essen. Wir brauchen die Tiere, damit Grünland und Futterbau unsere Ackerfruchtfolgen auflockern und damit wir auch Vielfalt auf den Acker bringen können, was uns sonst nicht in dem Maße gelingen würde. Es nützt uns nichts, wenn Niedersachsen, wenn NRW weiter intensiv produzieren, unsere Tiere, unseren organischen Dünger mitproduzieren und im Tankwagen hierherfahren. Regionale, nachhaltige Landwirtschaft bedeutet nicht längere Transportwege, zu viele Tiere hier, zu wenige Tiere da. Deshalb muss man die richtigen Bundesländer ansprechen, wenn man im Bund von klimaschädlichen Tierdichten und vom Rückbau der Tierhaltung redet. Wir in Thüringen, im sogenannten Wurstland haben nur eine Eigenversorgungsquote von 65 Prozent beim Schweinefleisch. Wir müssen also importieren, um unser Lebensmittelhandwerk zu versorgen.

 

Besonders in der Tierhaltung kommt es natürlich also nicht nur auf Quantität, sondern auch auf Qualität an. Damit hat sich die Borchert-Kommission, ein bundesweites Expertengremium, über Jahre sehr intensiv auseinandergesetzt: Wie kann der Umbau der Nutztierhaltung gelingen? Was müssen wir tun, um eine bessere Nutztierhaltung zu machen? Wie lange brauchen wir dafür? Und vor allen Dingen: Was müssen wir dabei bezahlen?

 

Vier Milliarden Euro jährlich würden wir für den Umbau der Nutztierhaltung benötigen. Allerdings wurde diesem Umbau nur eine Milliarde Euro für vier Jahre zugestanden. Die Tierhalter sollen jetzt also ohne die entsprechende Finanzierung Produktionsstandards realisieren, mit denen sie weder im Ausland noch im Inland wettbewerbsfähige Produkte in den Handel bekommen. Der Entwurf des neuen Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes sieht zwar vor, dass deutsche Produzenten ihre Produkte bezüglich Tierhaltungsformen zu kennzeichnen haben. Für ausländische Produzenten ist das aber freiwillig. Das wären handfeste Wettbewerbsnachteile für unsere Erzeuger und würden vermutlich zu steigenden Importen führen. Ich kann hier nur an die im Bund in Verantwortung stehenden Fraktionen appellieren: Sorgen Sie dafür, dass die Produktion, die Sie fordern auch entsprechend gefördert wird und unsere Produzenten von Importen mit niedrigen Produktionsstandards geschützt werden!

 

Es nützt der Umwelt, den Tieren und den Verbrauchern wenig, wenn die Tiere, die wir in Deutschland essen, im Ausland erzeugt werden, wo uns die Produktionsstandards entweder wenig interessieren oder wir sie gar nicht kennen.

 

Thüringen kann gegen diese Weichen, die im Bund gestellt werden, nicht anfördern, dafür sind wir hier in Thüringen zu klein und leider auch nicht finanzstark genug.

Rückgang gibt es aber nicht nur bei den Tierbeständen, auch die Obstbaumfläche sank im vergangenen Jahr um 16 Prozent. Der Freilandanbau von Gemüse sank in Thüringen im letzten Jahr um 18 Prozent, seit dem Jahr 2016 sogar um 26 Prozent. Das sind die Sektoren in der Landwirtschaft, die arbeitsintensiv sind. Das heißt, in Thüringen sprechen wir nicht nur von Betriebsaufgaben. Wir sprechen auch über einen Rückgang von Beschäftigungszahlen in der Landwirtschaft insgesamt.

 

Vizepräsident Bergner:

 

Ihre Redezeit, Frau Kollegin.

 

Abgeordnete Dr. Wagler, DIE LINKE:

 

An dieser Stelle möchte ich mich noch an alle Erzeugerinnen und Erzeuger, Landwirtinnen und Landwirte wenden: Ich möchte Ihnen danken für Ihre Arbeit bisher! Meine Damen und Herren, wir müssen unsere regionale Landwirtschaft fördern und deren Rückgang auch aus Gründen der Nahrungsmittelsicherheit in unseren Zeiten stabilisieren.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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