Digitale Überwachung bekämpfen – Beschäftigte bei den Post-, Kurier- und Paketdiensten in Thüringen besser schützen

Lena Saniye Güngör
RedenLena Saniye Güngör

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 7/5634

 

Sehr geehrte Damen und Herren, viele von uns kennen die folgende Situation: Wir warten zu Hause auf ein Paket, welches wir online durch ein paar Klicks erworben haben, und hoffen, dass es möglichst schnell und möglichst unbeschadet bei uns ankommt. Diese Pakete erreichen uns durch Zusteller/-innnen. Abgehetzt begegnen wir ihnen im Hausflur, wir sehen ihre Paketwagen durch die Innenstadt rasen, teilweise auch an unmöglichen Orten parken.

 

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Bestelle nicht bei Amazon!)

 

Das ist schon mal sehr gut, da freue ich mich. Nein, mir geht es gerade ganz allgemein um Paketdienst, aber ich freue mich, dass Sie jetzt schon so aktiv dabei sind.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Genau bei diesen Zustellerinnen/Zustellern von Paketdiensten wird häufig gesellschaftlich weggeschaut und deshalb haben wir als Linksfraktion in der Aktuellen Stunde heute den Scheinwerfer auf die sogenannten „gläsernen Beschäftigten“ von Post, Kurier- und Paketdiensten gerichtet.

 

Warum spreche ich hier von gläsernen Bediensteten und Beschäftigten? Auf der sogenannten letzten Meile, wenn die Zusteller/-innen die Pakete nachts in den Wagen laden, um sie zum gewünschten Abholort zu bringen, werden sie mittels komplexer Technik überwacht. Die häufig gering qualifizierten Beschäftigten haben wenig Entscheidungsspielraum über diese Überwachung und unterliegen einer entsprechenden digitalen Kontrolle durch Arbeitsvorgaben, die sie softwaregesteuert sowohl im Auto haben als auch an tragbaren Geräten. Expertinnen/Experten haben diese Arbeitsbedingungen unter dem Stichwort „Digitaler Taylorismus“ zusammengefasst und die Berichte von Zustellerinnen/Zustellern müssen uns zum Handeln veranlassen. Neben der digitalen Überwachung geht es auch um überlange Arbeitstage, es geht um Pausenzeiten, die nicht eingehalten werden, es geht um enormen Zeitdruck und Stress, die den Alltag der Beschäftigten prägen. Und vom Boom des Online-Handels, der ja auch in der Corona‑Pandemie noch mal Fahrt aufgenommen hat, merken die Beschäftigten bei ihren Gehältern dabei nur sehr wenig. Im Gegensatz dazu hat Amazon im letzten Jahr unterm Strich 14,3 Milliarden Dollar Nettogewinn eingefahren. Das Unternehmen zahlt keine Tariflöhne und erzielt die satten Gewinne auf dem Rücken der Beschäftigten.

 

Diese Zustände sind in Europa, in Deutschland und in Thüringen schon länger bekannt und wir dürfen dabei nicht länger wegschauen, sondern müssen auf allen Ebenen aktiv sein. Und ich fand das in der vorherigen Aktuellen Stunde sehr, sehr spannend, dass FDP und CDU ja immer wieder davon gesprochen haben, dass man von seiner eigenen Hände Arbeit gut leben müsse. Deswegen bin ich sehr gespannt, inwiefern das dann eben auch für den Logistikbereich gilt, denn da spüren die Beschäftigten es eben nicht.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Die Frau Finanzministerin hat es angesprochen: In Thüringen expandieren die Paketdienste, Ende letzten Monats hatten wir den Spatenstich von Amazon in Erfurt-Stotternheim, der über tausend neue Jobs hier vor Ort schaffen soll. Bereits jetzt stehen die Arbeitsbedingungen von Zustellerinnen/Zustellern bei Amazon massiv in der Kritik. Wie die Fallstudie „Amazons letzte Meile“ gezeigt hat, haben sich bis Ende 2019 mehr als 150 Beschäftigte an die Gewerkschaften gewandt, um auf die gravierenden Probleme in ihrer Branche aufmerksam zu machen. Im Namen meiner Fraktion gilt deshalb unser Dank den Beratungsstellen „Faire Integration und faire Mobilität“ des DGB-Bildungswerks, deren wichtige Arbeit verstetigt gehört und die vom Thüringer Arbeitsministerium finanziert werden.

 

Die zahlreichen Probleme sind zum Teil auch strafrechtlich relevant. Unter anderem geht es um die Vorwürfe des Verstoßes gegen das Arbeitszeitgesetz, weil eben die Aufzeichnungspflichten vernachlässigt werden, weil Zeiten für Tourenplanung, für Besprechungen, für Warten auf Be- und Entladung nicht vergütet werden. Es geht um den Verstoß gegen das Mindestlohngesetz, weil aufgrund der Höchstarbeitszeit in Kombination mit Pauschallöhnen das Überschreiten eben auch umgangen werden kann. Es geht um den Verstoß gegen das Entgeltfortzahlungsgesetz, wo Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall nicht geleistet werden und die Kolleginnen und Kollegen sich eben nicht regulär krankmelden können. Es geht auch um Sozialversicherungsbetrug, weil die Zusteller/-innen eben oft über Subunternehmen beschäftigt werden, zu Soloselbstständigkeit angehalten werden und wir damit dann auch mit Scheinselbstständigkeiten konfrontiert sind. Zu alldem braucht es entsprechende Kontrollen und für die Kontrollen brauchen wir natürlich auch hier in Thüringen das nötige Personal. Hinzu kommt, dass die Beschäftigten überwiegend aus dem Ausland kommen bzw. häufig aus dem Ausland kommen, teilweise Sprachbarrieren vorhanden sind und damit auch die Regelungen von Arbeitsverträgen nicht immer bewusst sind. Amazon und Co. nutzen dieses Nichtbewusstsein, nutzen die Situation von ausländischen, von migrantischen Beschäftigten gezielt aus, und, ich glaube, das darf uns als Politik nicht egal sein.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Ausbeutung von Amazon und von anderen Lieferdiensten hat System. Ihr wirtschaftlicher Erfolg beruht eben auch auf der Ausbeutung der Beschäftigten und investiert wird von den Unternehmen weniger in die Qualifizierung von Arbeitskräften, sondern besonders in die Technik, die jeden Schritt der Beschäftigten überwacht. Und wenn digitale Steuerung zunimmt – das ist in diesem Arbeitsbereich der Logistik so, das ist auch in anderen Arbeitsbereichen so –, müssen die Bedürfnisse derjenigen berücksichtigt werden, die von genau diesen Steuerungssoftwares betroffen sind. Deswegen lassen Sie uns auf allen gesellschaftlichen Ebenen dafür sorgen, dass die oft unsichtbaren Beschäftigten der Post-, Kurier- und Paketdienste gesehen werden

 

Vizepräsidentin Marx:

 

Kommen Sie bitte zum Schluss.

 

Abgeordnete Güngör, DIE LINKE:

 

und dass ihre Arbeitsbedingungen entsprechend besser werden. Vielen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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