Das Thüringer Bildungswesen stärken – Schlussfolgerungen der Corona-Monate umsetzen

Torsten Wolf
RedenTorsten Wolf

Zum Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 7/3731

 

Sehr geehrter Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Kollege Tischner, was ich in meinem mittlerweile nun nicht ganz kurzen Leben gelernt habe, ist, dass man mit einer geballten Faust in der Tasche niemandem entgegenkommen kann. Genau das haben Sie hier und leider auch im Ausschuss gemacht. Denn all das, was Sie hier vorgetragen haben, hätten wir gern mit Ihnen im Ausschuss diskutiert. Allein Sie waren weder in der Lage noch willens, es dort zu vollziehen. Das, was Sie immer angekündigt haben, dass die CDU-Fraktion die Ausschüsse nutzen wird und das Plenum nutzen wird, hat genau nicht stattgefunden. Sie sind wie ein – ich sage es jetzt mal bewusst – bockiges Kind,

 

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: So ein Quatsch!)

 

wie ein bockiges Kind: Ich rede nicht mehr mit euch, das, was ihr hier macht, das passt mir alles nicht! Und wohin das führen sollte, das haben wir gerade eben erlebt. Wenn man – und das kann ja jede und jeder, der …

 

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Das ist wirklich Murks! Die Redebereitschaft muss es auf beiden Seiten geben, das ist keine Einbahnstraße!)

 

Sie waren doch gerade eben dran. Jetzt kommen Sie wieder runter.

Das kann jede und jeder nachvollziehen, der die Anträge mal nebeneinanderlegt, also alle drei Anträge nebeneinanderlegt. Die hatten alle einen Schwerpunkt, das stimmt ja. Aber das, was Sie hier machen, die Schwerpunkte der anderen in Bausch und Bogen zu reden oder geschweige denn --- Und das ist ja Grundlage der Arbeit in den Schulen, das, was aus dem Ministerium an fachlichen, dienstlichen Anweisungen kommt – und dabei dürfen wir nicht vergessen, dass all das, was dort in den Schulen umgesetzt worden ist, nicht nur auf Anweisungsebene, sondern auch aufgrund der pädagogischen Kompetenz der Kolleginnen und Kollegen stattfindet. Das ist sehr unterschiedlich, die Förderung von Kindern – oder war sehr unterschiedlich, das wissen wir heute. Und ich sage das auch bewusst: Es ist noch nicht zu Ende. Corona ist noch nicht zu Ende. Das wird mindestens eine Schülergeneration dauern, da ist sich mittlerweile die Forschung auch einig. Egal was wir hier beschließen, umsetzen werden es die Kolleginnen und Kollegen, die Pädagoginnen in den Schulen. Die Forschung ist sich einig, dass Kinder, die in der Grundschulzeit drei, vier Monate verloren haben, das bis zum Abschluss mitschleppen. Um es mal deutlich zu sagen: Ein Kind, was in der 3., 4. Klasse drei, vier Monate verloren hat, das hat in der 10. Klasse in etwa einen Lernrückstand vergleichbar zu anderen Kindern in anderen Schulen von einem Jahr. Ja, da braucht es die entsprechenden Ansätze in den Schulen. Ja, da steht viel drin in den verschiedenen Anträgen. Und ja, leider waren Sie nicht bereit und in der Lage, diese mit uns zu diskutieren.

 

Wir als Koalitionsfraktionen haben bereits im Frühjahr 2021, also in einem sehr frühen Stadium, einen Antrag eingebracht: „Das Bildungswesen stärken, Schlussfolgerungen der Corona-Monate umsetzen“. Und da war noch nicht abzusehen, welche Folgen die Pandemie im Bereich der frühkindlichen und schulischen Bildung eigentlich hat und wann diese Pandemie tatsächlich endet. Heute ist klar, die Pandemie – und das haben wir ja auch schon oft besprochen –, wirkte und wirkt wie ein Brennglas auf die vorhandenen Probleme im Bildungsbereich, hat diese verstärkt und für alle Akteurinnen und Akteure sichtbar gemacht. Andererseits betreffen die Auswirkungen die jetzt in den Schulen befindliche Schülergeneration, wie schon gesagt, ihren gesamten Bildungsweg, wenn nicht gar Lebensweg. Die Frage, ob die Schülerinnen und Schüler gestärkt oder nachhaltig geschwächt aus dieser Pandemie und den Auswirkungen hervorgehen, ob die sozialen Kosten dieser Krise diese Generation tatsächlich prägen, ob es gelingt, Schulen und die darin tätigen Pädagoginnen zukunftsfähig und krisenfest aufzustellen, das muss die Politik von heute vor allen Dingen angehen. Diese Frage ist deswegen Anliegen dieser hier heute vorliegenden Beschlussvorlage des Bildungsausschusses. Und diese Frage liegt auch – und ich will das betonen – allen Überlegungen und Planungen der Beschlussvorlage des hier im Plenum auch schon diskutierten Schulgesetzes von Rot-Rot-Grün zugrunde, das wir derzeit im Bildungsausschuss anhören.

 

Lassen Sie mich gleich feststellen: Es wird und ist eine Daueraufgabe, die wir da vor uns haben: die individuelle Förderung, die gleichmäßige Förderung aller Kinder. Die Politik handelte in der Coronakrise auf allen Ebenen, ohne – und das haben wir auch schon oft genug festgestellt – vorgefertigte Konzepte. Wo hätten sie denn auch herkommen sollen? Im Nachhinein stellen heute Politiker und Politikerinnen aus allen demokratischen Parteien – von der Bundesbildungsministerin, Frau Stark-Watzinger von der FDP, über Bundesgesundheitsminister Lauterbach von der SPD, Ministerpräsident Bodo Ramelow und auch CDU-Bildungsministerin aus Schleswig-Holstein, Karin Prien – fest, dass die flächendeckende Schulschließung aus heutiger Sicht ein Fehler war

 

(Zwischenruf Abg. Thrum, AfD: Haben wir Ihnen doch gleich gesagt!)

 

– ja, Sie haben vieles gesagt –, weil die psychosozialen Folgen und die Lernrückstände gerade bei sozial benachteiligten Schülern dem beabsichtigten Effekt des Gesundheitsschutzes überwiegen. Besonders bitter ist, dass die Gesellschaft und Wirtschaft in der Pandemie von den Kindern und Jugendlichen sehr laut Solidarität einforderte, aber diese heute nicht ausreichend zurückgibt. 2 Milliarden Euro vom Bund befristet auf wenige Jahre als Sonderprogramm ist kein Ausgleich für viele verlorene Monate in der Bildungsbiografie und der persönlichen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Nach wie vor sind die Schranken des Kooperationsverbots nicht eingerissen, um endlich gleiche Bildungschancen für alle als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrzunehmen.

 

Wovon müssen wir in der politischen Steuerung ausgehen? Die ständige wissenschaftliche Kommission der KMK hat unter dem Titel „Pandemiebedingte Lernrückstände aufholen – Unterstützungsmaßnahmen fokussieren, verknüpfen und evaluieren“ – jetzt mal als Kontrast auch zu drei hier im Haus erarbeiteten Anträgen – eine, wie ich finde, nach wie vor aktuelle und aussagekräftige Zusammenfassung von Studienergebnissen mit Empfehlungen vorgelegt. Darin ist festgehalten, dass die Voraussetzungen zum digitalen Lernen mit Beginn der Pandemie flächendeckend – flächendeckend in ganz Deutschland – unzureichend gegeben waren, sich aber seitdem verbessert haben. Dies entspricht auch den Ergebnissen unserer Anhörung. Weiterhin wird festgestellt, dass die Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Elternhäusern und solche mit Migrationshintergrund bei ohnehin bestehenden Bildungsdefiziten durch die Schulschließungen sowie die methodisch didaktischen sowie technischen Defizite beim Distanzlernen in der Lern- und Kompetenzentwicklung besonders stark betroffen waren. Auch legen die Befunde nahe, dass in der Grundschulzeit, wie schon ausgeführt, entstandene Lernrückstände nicht gänzlich aufgeholt werden können. Hinzu kommen vielfach psychosoziale und psychologische Probleme, die sich aus fehlenden Sozialkontakten und Alltagsroutinen erklären. Dies alles spricht gegen kurzfristige Maßnahmen und für in der Bildungsbiografie vieler Schülerinnen kontinuierlich notwendige zusätzliche Unterstützungen. Und, Herr Tischner, da sind wir doch gar nicht auseinander, deswegen verstehe ich auch immer nicht, warum Sie das hier so zuspitzen. Empfohlen wird von der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK unter anderem die Konzentration auf besonders betroffene Gruppen, die Förderung von Übergängen und Abschlüssen – wir erinnern uns alle, genau das ist in Thüringen auch passiert: sowohl die besonders betroffenen Gruppen als auch die Förderung von Übergängen und Abschlüssen –, die Konzentration auf Basiskompetenzen sowie statt Aufholen des Lernplans die Qualifizierung und der Einsatz von zusätzlichem Personal und das Monitoring und die Evaluation der Maßnahmen. Ich kann hier auch mal empfehlen, es ist eine neue Ausgabe der Fachzeitschrift „PÄDAGOGIK“ für Februar 2023, jetzt herausgekommen mit diesem Schwerpunkt. Und ich kann auch empfehlen zum Weiterlesen von Marcel Helbig und anderen „Aufholen nach Corona? Maßnahmen der Länder im Kontext des Aktionsprogramms von Bund und Ländern“ von 2022.

 

Die Wichtigkeit des Themas lässt sich auch daran ablesen, dass bereits im Sommer 2021 der Landtag drei umfangreiche Anträge hier vorgelegt hat und sich damit beschäftigt hat. Auf der Grundlage der drei dem Bildungsausschuss vorgelegten Anträge wurde eine umfangreiche Anhörung durchgeführt, wie Kollegin Baum dankenswerterweise schon richtig zusammengefasst hat. Die Schwerpunkte der Hinweise in der Anhörung lagen auf den ungenügenden Voraussetzungen und Vorbereitungen der Digitalisierung sowohl technisch als auch, was das Konzept der Lehrkräfte zur Umsetzung digitaler Konzepte sowie die Ausstattung von Schülerinnen und Schülern betrifft, auf den Forderungen nach Multiprofessionalität an den Schulen, Entlastung von Lehrkräften und Reformen im Bereich der Lehrerbildung. Was ich aus der Anhörung nicht herausgelesen habe, ist, dass dem Bildungsministerium oder ganz und gar Minister Holter zum Beispiel Kritik entgegengebracht worden ist, was die Ausgestaltung der KiJuSSp-VO anbetrifft, mit der wir uns hier diverse Male in den Doppelausschüssen beschäftigt haben, die Abmilderungsverordnung oder die Ausstattung der Schulen mit Schnelltests, die ja auch notwendig waren. Sehr wohl ist immer wieder kritisiert worden, was zum Beispiel die Ausstattung der Digitalität an den Schulen durch die Schulträger anbetrifft.

Der Ihnen in der Beschlussempfehlung durch den Bildungsausschuss vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen hat viele der von den Anzuhörenden vorgebrachten Hinweise aufgegriffen sowie die aus der Wissenschaft heute bekannten Erkenntnisse aufgenommen. Bei der Änderung des Ihnen nun vorliegenden Antrags zu diesem wichtigen Thema haben sich vier Fraktionen eingebracht. Wir waren als Koalitionsfraktionen, wie schon gesagt, immer bereit, vorurteilsfrei über unsere drei Anträge zu beraten und das Beste für die Schulen gemeinsam zu erreichen. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass den Koalitionsfraktionen bei der Abfassung des im Landtag liegenden Schulgesetzentwurfs vor allem auch die Schlussfolgerungen aus der Pandemie am Herzen lagen. Denn wie ich eingangs sagte, die Pandemie wirkte wie ein Brennglas auf die Defizite im Bildungssystem. Wir haben in unserem Schulgesetzentwurf die erforderliche Digitalisierung der Schulen ebenso in den Mittelpunkt gestellt wie – was ich eben schon gesagt habe – Multiprofessionalität durch pädagogische Assistenz und die bedarfsgerechte Ausstattung in Schulsozialarbeit. Da finde ich im Übrigen bei Ihnen gar nichts dazu, Herr Tischner, das ist ein echtes Armutszeugnis.

 

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Doch! Haben Sie es überlesen?)

 

Nein, in Ihrem Schulgesetzentwurf ist gar nichts. Nur im Gesetz ist das Wahre.

Dementsprechend haben wir nicht nur die Schlussfolgerungen aus der Pandemie gezogen, sondern bieten den gesetzlichen Rahmen für ein Bildungssystem mit Zukunft. Ich bitte also um die Zustimmung zu dem vom Bildungsausschuss unterstützten Antrag. Vielen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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