Aufklärung gestartet: Mafia-Untersuchungsausschuss hat mit der Arbeit begonnen

ParlamentsreportUA71-Mafia

Es war ein Coup für die Ermittlerinnen und Ermittler der Polizei: Vor zwei Jahrzehnten gelang es Bundeskriminalamt und Thüringer Landeskriminalamt, eine verdeckte Quelle in eine mutmaßliche italienische Mafiagruppe in Erfurt zu setzen. Der verdeckte Ermittler sollte Informationen aus dem innersten Zirkel einer ›Ndrangheta-Zelle beschaffen, die in Thüringen und Sachsen aktiv sein soll. Doch das Verfahren ist seinerzeit überraschend gestoppt worden. Warum?

Das soll nun ein Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag herausfinden. Das Gremium mit dem Kürzel 7/1 hat den Auftrag, die Rolle der ’Ndrangheta in Thüringen aufzuklären und vor allem herauszuarbeiten, warum das Mitte der 2000er Jahre mit viel Aufwand betriebene so genannte FIDOErmittlungsverfahren gegen die italienische Mafia-Gruppe plötzlich eingestellt wurde. Gab es damals Verstrickungen zwischen Mafia sowie Politik, Verwaltung und Justiz?

Die LINKE im Landtag stellt gemäß dem Stärkeverhältnis der Fraktionen vier Abgeordnete in dem Untersuchungsausschuss: Neben der Vorsitzenden Iris Martin-Gehl treiben die linken Abgeordneten Katharina König-Preuss, Patrick Beier und Daniel Reinhardt die Aufklärung voran. Nach der Konstituierung des Gremiums Ende Juni dieses Jahres lief die Arbeit auch sofort an. „Gleich in seiner ersten Sitzung hat der Untersuchungsausschuss beschlossen, alle relevanten Akten und elektronischen Daten beizuziehen“, erklärt Katharina König-Preuss, Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Untersuchungsausschuss. „Dazu gehören sowohl die von Polizei und Staatsanwaltschaft als auch insbesondere jene des Verfassungsschutzes. Das schließt Informationen über Observationen und technische

Überwachungen mit ein.“ Außerdem hat sich die LINKE für die Beiziehung der Akten des NSU-Untersuchungsausschusses eingesetzt, weil es darin Informationen zum Netzwerk bzw. Verflechtungen zwischen organisierter Kriminalität und Neonazi-Szene gibt. Auch diese müssen, so hat es das Gremium beschlossen dem Ausschuss vorgelegt werden. „Alle Behörden bzw. die Landesregierung sind nun in der Pflicht, die Akten zügig dem Ausschuss in Original- und Digitalform auszuhändigen, damit die Abgeordneten mit der detaillierten Untersuchung beginnen können“, sagt König-Preuss.

Gemeinsam mit den rot-rot-grünen Koalitionspartnern hatte die Linksfraktion die ersten fünf erfolgreichen Anträge für die Sitzung eingebracht. Darunter auch ein Amtshilfeersuchen für Akten an das Bundeskriminalamt, das verdeckte Ermittler in Thüringen eingesetzt hatte, sowie die Beiziehung der MDR-Dokumentationen zum Thema, die Anlass für die Bildung des Untersuchungsausschusses waren. Auch eine öffentliche Sachverständigenanhörung im Thüringer Landtag wurde auf den Weg gebracht. „Wir konnten drei Mafia-Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Ermittlungsbehörden gewinnen, die am 20. Juli weitere Einblicke über die Funktionsweise und kriminelle Arbeitsweise der ‚Ndrangheta geben und Fragen beantworten, die auch für die weitere Arbeit des Untersuchungsausschusses wichtig sind“, so König-Preuss.

Auch die Ausschussvorsitzende Iris Martin-Gehl drängt auf Aufklärung. „Der MDR und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung haben mit ihren fundierten Recherchen eine wichtige Vorarbeit geleistet, aus der sich eine Aufklärungsverpflichtung des Parlaments gibt und der wir gerne nachkommen. Allein, um das Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaat zu schützen, müssen wir solche Verdachtsmomente möglicher Mafiamauscheleien mit allen zur Verfügung stehenden Instrumenten sorgfältig aufklären“, so die Abgeordnete. Laut dem, was die Medien hatten zusammengetragen haben, „scheiterte es offenbar vor allem an der Eitelkeit gekränkter Beamter, Kompetenzstreitigkeiten und mangelndem Verständnis für die Herausforderung komplexer Verfahren gegen die italienische Mafia“, so formulierte es einmal der MDR. Übrig geblieben sein könnten vom Verfahren jedoch „Unmengen an brisanten Informationen“. Und der Sender weiter: „Denn bei den Telefonüberwachungen, den Observationen und den Berichten des Verdeckten Ermittlers wurde immer deutlicher, wie gut die italienischen Gastronomen und mutmaßlichen Mafiamitglieder in Politik, Verwaltung oder Justiz in Thüringen vernetzt waren.“

Die mit den Recherchen aufgeworfenen Fragen sind so schwerwiegend, dass auch die Zeit drängt. Zwar sind es nur noch wenige Monate bis zum voraussichtlichen Abschluss der Wahlperiode. „Dennoch ist es unsere Aufgabe, die verbleibende Zeit so effektiv wie möglich dafür zu nutzen“, so Martin-Gehl. Sie kündigte bereits an, dass die inhaltliche Arbeit zu Beginn der 8. Wahlperiode mit einem weiteren Untersuchungsausschuss wieder aufgenommen werden könnte.

Die ’Ndrangheta gilt als mächtigste Mafia-Organisation Europas, Schätzungen von Ermittlern zufolge machte die kalabrische Organisation zuletzt einen Jahresumsatz von rund 50 Milliarden Euro. PR