Wie Thüringen wieder zum Magneten für freischaffende Künstler:innen wird

Wer „Residenz“ hört, denkt vielleicht an Thüringens reiches Kulturerbe, an Schlösser und Herrenhäuser, und so wird dem einen oder anderen beim Wort „Residenzprogramm“ vermutlich nicht als erstes in den Sinn kommen, dass es eben nicht um dieses kulturelle Erbe geht.

Vielmehr hat sich in Thüringen in den letzten Jahren ein kulturpolitischer Magnet für freischaffende Künstler:innen der darstellenden Zunft entwickelt, der das Land bundesweit in den Fokus gerückt hat. Ein bemerkenswerter Prozess, den Thüringen selbst noch viel zu wenig nutzt. Die Idee des Thüringer Theaterverbandes ist trotzdem schon jetzt mehr als aufgegangen: Ausgehend von der bitteren Erkenntnis, dass es in Thüringen kaum Produktions- und Schaffensräume für freie darstellende Künstlerinnen und Künstler gibt und deshalb viele in Thüringen geborene und gut ausgebildete Menschen im Kulturbereich ihren Lebensunterhalt außerhalb unseres Kulturlandes verdienen (müssen), wurde das Thüringer Residenzprogramm geboren. In Ermangelung eines zentralen Produktionshauses für die freien darstellenden Künste wurden sogenannte Residenzen z.B. an Kinder- und Jugendtheatern, soziokulturellen Zentren und Kreativorten ausgeschrieben. Künstlerinnen und Künstler mit Thüringen-Bezug sollten so die Möglichkeit erhalten, für eine bestimmte Zeit in Thüringen zu leben, künstlerisch zu forschen und die Ergebnisse in Form von Performances, Installationen, aber auch Video- und audiovisueller Kunst zu präsentieren. Und das bei endlich angemessener Bezahlung, denn neben dem Mangel an Schaffensräumen ist das Prekariat im Kunst- und Kulturbereich leider vielerorts noch traurige Realität. Was als Experiment begann, hat sich in der dritten Auflage zu einem Erfolgsgaranten entwickelt. Die Bewerbungen für die Thüringer Residenzen übersteigen bei weitem die zur Verfügung stehenden Plätze, der Bedarf ist also da! Denn ja: Thüringen hat es mehr als verdient, Anker und Sehnsuchtsort für kreative Menschen zu sein. So sehr wir uns auf unsere reiche kulturelle Tradition mit namhaften Künstlerinnen und Künstlern berufen können, so sehr brauchen wir auch Räume und Orte für das Moderne, das Experimentelle, das freie Arbeiten, die gesellschaftlichen Impulse für die Zukunft. Nur so entsteht Bewegung, nur so entsteht Neues und nur so schaffen wir einen Resonanzraum für gesellschaftliche Debatten, davon bin ich fest überzeugt.

Der Erfolg des Residenzprogramms ist auf kulturpolitischer Ebene ein wichtiger Eckpfeiler für die eigentliche, seit langem schwelende Debatte um ein Produktionshaus für die freie Szene. Als Fraktion setzen wir uns seit Jahren dafür ein, die Vision des Thüringer Theaterverbandes als Dachverband der freien darstellenden Künste Wirklichkeit werden zu lassen. Oft wurde in diesen Debatten bezweifelt, dass es einen solchen Ort für die freie Szene braucht. Diese Zweifel dürften nun ausgeräumt sein. Auch wurde eine Art Konkurrenz zu den institutionell geförderten Theatern im Freistaat heraufbeschworen, die es aber gerade nicht gibt. Während die Theaterbetriebe mit langem Vorlauf Spielzeiten planen, künstlerisches und technisches Personal beschäftigen und im besten Sinne Kunst und auch Unterhaltung für ein breites Publikum anbieten. Die Arbeit vieler Freischaffender ist oft prozessorientierter, experimenteller und manchmal viel flexibler. Aber auch diese Art des Schaffens braucht einen Ort, einen Experimentierraum, eine Probebühne für manchmal mehrere Wochen am Stück. Dies lässt sich nur schwer in die bestehenden Strukturen der institutionellen Theater integrieren. Kooperationen zwischen der freien Szene und den Theatern in Thüringen sind jedoch äußerst wünschenswert und sicherlich ein nächster wichtiger Schritt des Thüringer Residenzprogramms, das auch in Zukunft dezentral in der Fläche seine Wirkung entfalten wird.
Wenn wir die Zukunft gestalten wollen, ist ein Produktionshaus in Thüringen der einzig logische Schritt. Verschiedene Kommunen haben Interesse bekundet, nutzbare Immobilien lassen sich sicher finden in einem Land wie unserem, in dem wir händeringend nach Nutzungskonzepten für historische Gebäude suchen. In einem Land, in dem uns 10 Jahre Internationale Bauausstellung viele Impulse für Nach- und Umnutzungskonzepte gegeben haben. Wer weiß, vielleicht wird das Residenzprogramm der vermeintlichen Zweideutigkeit auf Thüringer Art bald doch noch gerecht, indem das wichtige Produktionshaus in einer Thüringer Residenz eine Heimat findet. „Der Theaterverband hat vorgemacht, wie man lösungsorientierte Debatten führen kann. Wir tun gut daran, diese Impulse aufzunehmen und in die Gestaltung der Rahmenbedingungen einzusteigen.“
Katja Mitteldorf

 

Zur gesamten Ausgabe

 


 

Mehr Themen