Überwachung Zehntausender unschuldiger Menschen auf dem Erfurter Anger schafft keine Sicherheit

Ronald Hande

Zur heutigen Ankündigung des Thüringer Innenministeriums, im Mai mit den Bauarbeiten zur Videoüberwachung am Erfurter Anger zu beginnen, erklärt Ronald Hande, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Thüringer Landtag: „Was hier als Maßnahme zur Stärkung der Sicherheit verkauft wird, ist in Wahrheit ein tiefgreifender Grundrechtseingriff ohne belegbare Wirkung. Zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen deutlich: Videoüberwachung führt nicht zu einer signifikanten Reduktion von Straftaten. Im Gegenteil, sie birgt sogar Gefahren für die Gesellschaft. Die Landesregierung bereitet durch die Installation der 12 Kameras eine Überwachung von täglich zehntausenden Menschen vor, die den Anger passieren, ohne dass diese sich etwas zu Schulden kommen lassen haben.“

Hande kritisiert das Ministerium außerdem für die abrupte Meinungsänderung im Vergleich zur zurückliegenden Legislatur: „Verwundert bin ich darüber, dass das Thüringer Innenministerium als Begründung anführt, das Sicherheitsempfinden stärken zu wollen, obwohl er dies vor nicht allzu langer Zeit noch mit Verweis auf wissenschaftliche Studien ausschloss und sich an der Studienlage nichts geändert hat. Im Gegenteil, sogar eine umfangreiche Anhörung im Innenausschuss hat die Untauglichkeit der Überwachung belegt, vor allem, da sie unverhältnismäßig ist.“
In seiner Aussage bezieht sich der Abgeordnete auf folgende Äußerung des Ministeriums (siehe Drs.: 7/1843): „Eine Zusammenschau nationaler und internationaler Studien legt nahe, dass Videoüberwachung im öffentlichen Raum kaum geeignet ist, einen wesentlichen Beitrag zu einer dauerhaften Steigerung des subjektiven Sicherheitsempfindens zu leisten. Des Weiteren ist das subjektive Sicherheitsempfinden weder ein zuverlässiger und probater Indikator für die reale Kriminalitätslage noch für die Wirksamkeit kriminalpräventiver oder selbst repressiver Maßnahmen und Erfolge.“

Hande verweist abermals auf die Aussagen des Thüringer Innenministeriums in derselben Drucksache und hebt hervor, dass das Ministerium gegenüber einem früheren CDU-Abgeordneten und dem Landtag der Kameraüberwachung nicht nur die Eignung abgesprochen habe, sondern sogar die Öffentlichkeit vor der Einführung der Kameras ausdrücklich gewarnt hatte.
Hiermit bezieht sich der Abgeordnete auf folgende Passagen in der damaligen Antwort des Ministeriums (ebd.): "Es treten jedoch rasch gegenteilige Effekte ein, wenn es trotz dieser Überwachung zu Straftaten und Übergriffen kommt, die nicht verhindert oder aufgeklärt werden können, oder wenn die Bevölkerung erkennt, dass diese Überwachung keinen wirklichen Schutz bietet, da keine schnelle Reaktion bei Übergriffen sichergestellt ist. (...) Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass Sicherheitsempfinden und Kriminalitätsfurcht als Erfolgsparameter nicht dazu geeignet sind, zur Legitimation wirkungsarmer Maßnahmen instrumentalisiert zu werden."

Hande weiter: „Der Widerspruch im Handeln des Innenministeriums ist offenkundig. Das geplante Areal, das mit Kameras ausgerüstet werden soll, wird zu einer Vielzahl von Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung führen, obwohl die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger nichts verbrochen hat.“
Die geplante Installation von Kameras am Anger sei auch deswegen absurd, weil in die Gesamtzahl der jährlichen Straftaten vom als ‚Gefährlichen Ort‘ markierten Anger auch solche einfließen, die sich auf 10 angrenzende Straßen verteilen, teils in Wohnungen begangen werden, teils als Körperverletzungen innerhalb angrenzender Clubs stattfinden. Die Absurdität dieser symbolpolitischen Maßnahme sei, dass mit Ladendiebstählen in Geschäften und Erschleichungen von Leistungen im ÖPNV ein großer Anteil dieser Delikte in längst kameraüberwachten Bereichen stattfinde.

Zusammenfassend erklärt Hande und warnt auch vor einer Geldverschwendung: „Die geplante Überwachung ist nicht nur rechtlich fragwürdig, die Einstufung des Angers als gefährlicher Ort ist weder verhältnismäßig noch gerichtsfest begründet, die Bestimmtheitserfordernis wird potentiell verletzt und trotzdem riskiert das Innenministerium eine Erwähnung im Schwarzbuch der Steuerzahler, wenn die Geräte später wieder abgenommen werden müssen. Auf dem Anger zirkulieren viele Menschen und auch dort kommt es zu Konflikten, doch statt Placebo-Maßnahmen fordern wir echte Sicherheit durch den Ausbau von Maßnahmen wie Streetworkern und Streitschlichtern, eine bürgernahe Polizeipräsenz sowie mehr Prävention. Ich fordere den Innenminister auf, die Öffentlichkeit über die verwendeten Technologien und auf welchen konkreten Arealen diese jeweils metergenau ausgerichtet werden aufzuklären.“


 

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