Wie wir gemeinsam leben wollen
Anlässlich des 30. Jahrestages des Landtagsbeschlusses über die Thüringer Verfassung (25. Oktober 1993) fand am 24. Oktober im Thüringer Landtag eine Veranstaltung der Fraktion DIE LINKE unter dem Titel „Wie wir zusammen leben wollen“ statt. Der Titel der Veranstaltung macht deutlich, dass die Verfassung nicht nur ein Gesetzeswerk ist, „sondern die gesellschaftspolitische und rechtliche Grundlage für das Zusammenleben der Menschen in Thüringen. Umso wichtiger ist es, sich um die inhaltliche Ausgestaltung der Verfassung zu kümmern und den Menschen in Thüringen zu vermitteln, dass Verfassungsfragen jede und jeden betreffen - auch direkt im Alltag“, so Anja Müller, Sprecherin für Demokratie und Verfassung, zu Beginn der Veranstaltung. Sie wies in diesem Zusammenhang insbesondere auf die sozialen Grundrechte und die Regelungen zur direkten Demokratie hin - und darauf, dass gerade in diesen Themenfeldern eine Weiterentwicklung „angesagt“ sei.
Entstehung der Thüringer Verfassung
Im Frühjahr/Sommer 1990 wurde ein Verfassungsentwurf für Thüringen erarbeitet. Dieser Entwurf erarbeitet von einer Arbeitsgruppe der FSU Jena, die geleitet wurde von Prof. Gerhard Riege, spiegelte in erheblichem Umfang die Erfahrungen des Herbstes 1989 wider. Dies betraf nicht nur das Thema direkte Demokratie, sondern auch soziale Sicherheit und soziale Rechte. Einige der Inhalte, wie die Rolle, die Arbeit und die politischen Beteiligungsrechte von Bürgerinitiativen und Bürgerbewegungen, fanden schließlich Eingang in die 1993 beschlossene Verfassung, auch dank eines eigenen Verfassungsentwurfs und der Arbeit der PDS-Fraktion im Verfassungsausschuss des Thüringer Landtags.
Die Thüringer Verfassungsinitiative
Gabriele Zimmer, Abgeordnete des Thüringer Landtags von 1990 bis 2004 und später Mitglied des Europaparlaments von 2004 bis 2019, erläuterte, wie die Thüringer Verfassungsinitiative durch einen Verfassungsentwurf des damaligen rheinland-pfälzischen Justizministers „gekontert“ wurde. Dieser Entwurf aus dem westdeutschen Partner-Bundesland fand Unterstützung bei der Thüringer CDU. Gleichzeitig verloren die Strukturen der Runden Tische ab Frühsommer 1990 an politischem Einfluss und Bedeutung. Es wurde betont, wie wichtig ein partizipativer Verfassungsprozess „von unten“ aus der Bevölkerung ist, damit sich die Menschen später mit der Verfassung identifizieren und sich aktiv für die Verwirklichung der Verfassungsinhalte einsetzen. In der anschließenden Diskussion wurde es von den Teilnehmer:innen daher als positiv bewertet, dass bei der aktuellen Verfassungsdiskussion im Thüringer Landtag zumindest durch umfangreiche Anhörungen dafür gesorgt wurde bzw. wird, dass zahlreiche außerparlamentarische Akteur:innen mit ihren Einschätzungen und Vorschlägen Gehör finden. Die Akteur:innen möchten nun aber mit ihrem Engagement auch tatsächlich ernst genommen werden. Deshalb erwarten sie nun konkrete Ergebnisse in Form von positiven Landtagsbeschlüssen – z. B. die Verankerung von Staatszielen wie Förderung, Ehrenamt, Nachhaltigkeit, Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, die Stärkung von Inklusion und das Verbot der Altersdiskriminierung und den Ausbau der direkten Demokratie.
Gabi Zimmer wies weiter darauf hin, dass nach 1990 leider keine neue gesamtdeutsche Verfassung erarbeitet wurde, obwohl Artikel 146 des Grundgesetzes dies vorsieht. Dies wurde als verpasste Chance betrachtet, um die Menschen in Ost- und Westdeutschland näher zusammenzubringen und die Erfahrungen des Herbstes 1989 in einer gemeinsamen Verfassung zu reflektieren. Eine solche Erfahrung hätte es Menschen in Ostdeutschland sicherlich erleichtert, sich mit dem Grundgesetz als für sie neue Verfassung zu identifizieren und die Menschen in Westdeutschland hätten die wichtige Erfahrung machen können, dass die Einheit auch für sie etwas Neues und Sinnvolles (mehr Mitbestimmung, mehr soziale Sicherheit) bewirkt hätte. Die Referentin spannte anschließend den Bogen zum Europäischen Verfassungsprozess und machte deutlich: Auch das Scheitern des Europäischen Verfassungsentwurfs in Volksabstimmungen (z. B. in Frankreich) war sowohl inhaltlichen Defiziten (z. B. zu wenig soziale Rechte), als auch dem Vorgehen (Erarbeitung des Entwurfs ohne wirkliche Beteiligung der Bürger:innen) geschuldet.
Positive Bewertung aktueller Verfassungsdiskussion
In der aktuellen Verfassungsdiskussion im Thüringer Landtag wurde positiv bewertet, dass umfangreiche Anhörungen stattfanden, um die Einschätzungen und Vorschläge zahlreicher außerparlamentarischer Akteure zu berücksichtigen. Diese Akteure erwarten konkrete Ergebnisse in Form von positiven Landtagsbeschlüssen wie der Verankerung von Staatszielen wie Förderung des Ehrenamts, Nachhaltigkeit, Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, Stärkung von Inklusion, Verbot der Altersdiskriminierung und Ausbau der direkten Demokratie.
Abwehr rechter Gefahren
Steffen Dittes, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE, hielt einen Impulsbeitrag zur Abwehr von rechtsextremen Gefahren. Er betonte die Bedeutung der Thüringer Verfassung, des Landtags und der Zivilgesellschaft bei der Abwehr von rechts. Die LINKE-Fraktion forderte die Einführung einer Pflicht zum aktiven Handeln von Staat und Gesellschaft gegen Rassismus, Antisemitismus und (Neo-)Nazismus (Antifa-/Antira-Klausel). Dittes wies darauf hin, wie wichtig es sei, bei der Landtagswahl sicherzustellen, dass Rechtsaußenparteien nicht zu viel Macht erhalten. Renate Wanner-Hopp stellte die Arbeit und Positionen der „Omas gegen Rechts“ vor. Die Bewegung entstand als Gegenbewegung zur Regierungsbeteiligung der österreichischen Rechtsaußenpartei FPÖ. Sie betonte die Bedeutung von Demokratiebildung und -erziehung und verwies auf das Problem, dass die AfD bei Schüler- und Jugendwahlen in Thüringen stark vertreten ist.
Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen
Josef Ahlke, Vorstandsvorsitzender des Vereins „Zukunftsfähiges Thüringen“, stellte die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (UNO) vor und betonte ihre Relevanz für Deutschland und Thüringen. Diese Ziele können als Grundlage für die Weiterentwicklung der Thüringer Verfassung dienen und Antworten auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen bieten.
Schlussbetrachtung und Appell
Bei der Veranstaltung konnte hervorgehoben werden, wie wichtig es ist, die Bedeutung der Verfassung für das alltägliche Zusammenleben den Menschen vor Ort zu vermitteln und öffentliche Diskussionen zu Themen mit Verfassungsbezug zu fördern.
Hinweis: Die Berichterstattung zu dieser Veranstaltung und ihren Themen wird in den kommenden Ausgaben des Parlamentsreports fortgesetzt.