„Reichsbürger“ sind Bedrohung

Parlamentsreport

Der Untersuchungsausschuss 7/3 („Politisch motivierte Gewaltkriminalität“) beschäftigte sich in der Juni-Sitzung mit „Reichsbürgern“ in Thüringen. Erst im Dezember 2022 fanden auch in Thüringen umfangreiche Durchsuchungen bei „Reichsbürgern“ statt, die einen gewaltsamen Umsturz geplant haben sollen und dafür bereits einen Waffenvorrat angelegt hatten. Durchsucht wurde auch das Jagdschloss von Heinrich XIII. Reuß in Bad Lobenstein. Nicht erst diese Durchsuchungen zeigen: In Thüringen existieren verschiedene Zusammenschlüsse und Netzwerke so genannter „Reichsbürger“. Von staatlicher Seite wurde diese Bewegung allerdings lange Zeit verharmlost. Erst als 2016 in Bayern ein Polizist erschossen wurde setzte ein Umdenken ein. Allerdings werden z. B. auch heute noch Straftaten aus dem politisch klar rechten Spektrum der „Reichsbürger“ in der Statistik zu politisch motivierter Kriminalität fast ausschließlich als politisch „nicht zuzuordnen“ erfasst.

„Reichsbürger“ und extrem Rechte

In der Sitzung des Untersuchungsausschusses betonte der Politikwissenschaftler Jan Rathje eingangs die enge historische Verknüpfung zwischen der „Reichsbürger“-Ideologie und der extremen Rechten. Er zeigte auf, dass diese Ideologie die Basis für die wichtigsten politischen Kampagnen der westdeutschen extremen Rechten bis in die 1980er Jahre darstellte und auch heute ein relevanter Teil der gesamten „Reichsbürger“-Szene in dieser Tradition der organisierten extremen Rechten steht. Weitere Akteure, Vernetzungen und Teilszenen, die sich auf „Reichsbürger“-Vorstellungen beziehen, entstanden in den 1980er Jahren. Erwähnenswert ist etwa Wolfgang Ebel, der mit seiner „Kommissarischen Reichsregierung“ eine eigene reichsideologische Traditionslinie gründete, auf die sich heute verschiedene „Reichsbürger-Regierungen“ beziehen. In Thüringen war für die „Kommissarische Reichsregierung“ insbesondere der aus Ronneburg stammende Holocaustleugner Christian Bärthel aktiv, der sich heute für „Freies Thüringen“, die Geraer Montagsdemonstrationen und die AfD engagiert. In den letzten Jahren verbinden sich Elemente der „Reichsbürger“-Ideologie zunehmend mit Elementen anderer Verschwörungsideologien, insbesondere rund um die Corona-Pandemie und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Eine genaue Zahl von Anhängern der „Reichsbürger“-Bewegung ist schwer zu schätzen. 2021 zählte das Thüringer Amt für Verfassungsschutz 770 „Reichsbürger“ in Thüringen. Allerdings hatte allein der massiv durch „Reichsbürger“ beeinflusste Telegramm-Kanal von „Freies Thüringen“ schon mehr als 18.000 Abonnent:innen. In Thüringen sind und waren darüber hinaus eine Vielzahl von Akteur:innen aus dem „Reichsbürger“-Spektrum aktiv, wie nicht zuletzt die beiden Kongresse der Szene 2022 in Pfiffelbach und 2023 in Worbis zeigen, an denen jeweils mehrere Hundert Personen teilnahmen. Die Verbindungen von „Reichsbürger“-Vernetzungen wie etwa „Freies Thüringen“ und „Patriotische Union“ zu extrem rechten Organisationen wie der „Europäischen Aktion“ müssten ebenfalls vertieft untersucht werden. Auffällig ist, dass sich die AfD auch als Wahloption für die „Reichsbürger“-Szene anbietet und Frank Haußner, führender Akteur von „Freies Thüringen“ gemeinsam mit der AfD auftritt. Behauptungen und Elemente der „Reichsbürger“-Ideologie finden sich ebenso im Wahlprogramm der Partei zur Bundestagswahl 2017 oder auch in Reden von Björn Höcke, wie der Sachverständige im Ausschuss nachweisen konnte. Die AfD agiert letztlich als eine parlamentarische Partnerin dieser Bewegung.

Umgang der Kommunen

Im Anschluss stellte die Sachverständige Dr. Uda Bastians vom Deutschen Städtetag den Umgang der Kommunen mit „Reichsbürgern“ vor und machte die großen Belastungen infolge von Drohungen und Beleidigungen gegen Kommunalbeschäftigte deutlich. Die Kommunalverwaltungen versuchen, den Schutz der Beschäftigten zu erhöhen; etwa durch bauliche Maßnahmen. Die Möglichkeiten schon vor einem Termin zu wissen, ob es sich um einen Anhänger der „Reichsbürger“-Ideologie handelt, seien aber noch ausbaufähig. Der folgende Sachverständige Ulf Walther, der als Oberstaatsanwalt in Mühlhausen auch für „Reichsbürger:innen“ zuständig ist, beschrieb, wie versucht wird, das Justizsystem durch Anrufe, Schreiben, Anzeigen usw. faktisch zu lähmen und wie die Instrumente des Rechtsstaats von „Reichsbürgern“ zur Unterminierung und Störung des Rechtsstaats missbraucht werden. Nachdem die Staatsanwaltschaft anfing, der „Reichsbürger“-Szene in Nordthüringen konsequenter zu begegnen, seien dort allein im Jahr 2023 über 600 Strafverfahren eröffnet worden. Die Situation wird durch den Personalmangel im Justizsystem noch weiter erschwert, so dass mehr finanzielle Ressourcen und eine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft für rechte Straftaten sinnvolle Maßnahmen wären, um den Problemen besser zu begegnen.

Gerichtsvollzieher:innen brauchen Unterstützung

Im Anschluss stellte der Gerichtsvollzieher Stefan Blecks anhand seiner konkreten Erfahrungen dar, wie belastend und zum Teil gefährlich der Umgang mit „Reichsbürger“ ist. Gerichtsvollzieher:innen werden mit Klagen überzogen und im Internet diffamiert. Der Sachverständige formulierte auch den Bedarf nach einer besseren Unterstützung und Verbesserungen in der Ausrüstung und Ausbildung für Gerichtsvollzieher:innen, wie bspw. ordentliche Dienstausweise. Die geforderten Maßnahmen haben wir dem Justizministerium weitergereicht, so dass es zeitnah zu einer Umsetzung kommen kann.

Hinweis: In diesem Text wird der Begriff „Reichsbürger“ in Anführungsstrichen gesetzt und nicht gegendert. Grund dafür ist, dass die Personen der Redaktion nach keine tatsächlichen Bürger des deutschen Reichs sind, da dieses nicht mehr existiert, sondern die Bezeichnung eine Selbstzuschreibung ist. In dem Sinne ordnet die Redaktion den Begriff „Reichsbürger“ als Eigenname ein.

 

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