Nr. 21/2010: Längere Zeiträume der Entwicklung von Ökosystemen und Landschaften in den Focus nehmen

Parlamentsreport

Auf Initiative ihres agrar- und forstpolitischen Sprechers, Tilo Kummer, hatte die Linksfraktion im Thüringer Landtag eine Diskussionsveranstaltung zu Aspekten der Biodiversität durchgeführt. Anlass waren teils kontroverse Debatten über die Strategie der Landesregierung, die u.a. den Verzicht auf Holzeinschlag auf einer Gesamtfläche von 25.000 Hektar Wald vorsieht. Dabei ist das Biosphärenreservat Vessertal-Thüringer Wald besonders in den Blickpunkt gerückt.

Entsprechend internationaler Leitlinien sind Biosphärenreservate alle zehn Jahre danach zu überprüfen, ob die Anerkennungskriterien noch erfüllt werden. 2011 steht für das Vessertal die nächste Evaluierung an, bei der auf Grund einer zu geringen Gebietsausdehnung sogar die Aberkennung drohen könnte. Eine Option ist deshalb die Erweiterung des Areals von gegenwärtig 17.000 auf 30.000 Hektar. Daraus ergeben sich aus Sicht der LINKEN mehrere Kernfragen: Woraus resultiert eigentlich die Notwendigkeit für den forstlichen Nutzensverzicht in der vorgeschlagenen Größenordnung von fünf Prozent des Landeswaldes? Sollten dafür große zusammenhängende Gebiete oder eher kleinteilige Waldstrukturen ausgewählt werden?

Die Diskussionsrunde war geprägt von der hohen Sachkunde der Referenten.  Jürgen Boddenberg von der Landesanstalt für Wald, Jagd und Fischerei gab zu bedenken, dass eine vorgegebene Flächengröße, für die ein Aufgeben des Holzeinschlags in Frage kommen könnte, wahrscheinlich eher politisch motiviert als wissenschaftlich begründet sei. Er regte eine behutsame Abwägung der verschiedenen Aspekte an. Wildnis sei kein Wert an sich, insbesondere wenn sie mit einer Reduzierung der Artenvielfalt einhergeht. Beispielsweise sei der Hainich als einzigartiger Buchenwald zwar sehr naturnah, trotzdem in Teilen relativ arm an faunistischen Arten.

Der Forstexperte plädierte dafür, von bereits vorhandenen kleinen, forstlich wenig interessanten, Sonderbiotopen auszugehen und diese strategisch auszuweiten. Mit dieser „Schrotschussvariante“, ergänzt durch die Auswahl größerer zusammenhängender Gebiete, wären 25.000 Hektar Wald ohne Holzeinschlag durchaus ein realistisches Ziel.


Schützen durch Nutzen


Unterstützung erhielt er von Prof. Dr. Martin Heinze, ehemals Rektor der Fachhochschule für Forstwirtschaft in Schwarzburg, und Dr. Dietrich von Knorre von der Stiftung Lebensraum e. V. Über viele Jahre in der forstlichen Naturschutzarbeit tätig, plädierten beide dafür, Biodiversität nicht als statischen Zustand „per Deklaration“ festzulegen. Vielmehr sollten längere Zeiträume der Entwicklung von Ökosystemen und Landschaften in den Focus gelangen. Daraus könne sich eine Vielfalt der Arten, aber auch an Populationen und Lebensräumen entwickeln.

Dass der Mensch in einer von ihm selbst geschaffenen Kulturlandschaft existiert, sollte ebenso nicht unberücksichtigt bleiben. „Schützen durch Nutzen“, war das Credo aller Experten.

„Naturschutz in Deutschland und den USA sind kaum miteinander vergleichbar“, so Katie Leary, Praktikantin in der Linksfraktion, bei ihrer beeindruckenden Präsentation. In den USA würden sich Schutzgebiete teilweise über mehrere Bundesstaaten erstrecken, was auch die Naturschutzgesetzgebung kompliziert gestalte. Zudem würden wirtschaftliche und Eigentumsinteressen Belange des Naturschutzes häufig unterwandern. So hätten es der Grizzlybär oder der Fleckkauz als gefährdete Tierarten ziemlich schwer, ihr Überleben zu sichern. Katie Leary wörtlich: „Es reicht nicht aus, nur Naturschutzgebiete einzurichten, es müssen vor allem die Kommunikation und die Gesetze der einzelnen Bundesländer untereinander stimmen.“

Diese Erfahrung dürfte auch auf Deutschland übertragbar sein, weil auch hier im föderalen Rechtssystem eine einheitliche Naturschutzgesetzgebung ziemlich schleppend vorankommt. Thüringen hat z. B. noch keine Anpassung an die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes vom 1. März 2010 vorgenommen.


Dr. Barbara Glaß

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