#Nordhausenzusammen - Was Politik von der Nordhäuser Zivilgesellschaft lernen kann

Parlamentsreport

Es war eine Erlösung, ein Straßenfest bis spät in die Nacht: Der von allen Seiten (außerhalb von Nordhausen) prophezeite Sieg des AfD-Kandidaten in der Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters in Nordhausen blieb aus! Das schier Unmögliche war wahr geworden: In einer von weltweiten Medien beobachteten Wahl hatte Nordhausen „Nein“ gesagt und gezeigt, dass zumindest gegen den medial beschworenen vermeintlichen „Siegeszug“ der rechtsextremen AfD in Thüringen bei der Ämtergewinnung eben doch ein „Kraut“ gewachsen ist – eine Zivilgesellschaft, die Haltung zeigt und binnen kürzester Zeit eine Bewegung mit wachsendem Zulauf auf die Beine stellt!
Direkt nach der Wahl gab es postwendend Zahlen- und Fernanalysen aus dem politischen Raum, die postulieren, Nordhausen habe nur „Glück gehabt“. Es sei kein Erfolg, weil schließlich habe der AfD-Kandidat auch Stimmen in der Stichwahl dazugewonnen, und außerdem müsse man sich ja auf die wesentlichen Dinge, wie die nun anstehenden Wahlen, konzentrieren. Das mag sachlich richtig sein, aber die Arroganz gegenüber einer Stadtgesellschaft, an die auch vorher niemand außerhalb von Nordhausen geglaubt hat, ist mit solchen Aussagen eben auch für besagte anstehende Wahlen wenig hilfreich, mitunter gar kontraproduktiv.

Um die Vorgänge in Nordhausen zu verstehen, muss man sich die Mühe machen, mal außerhalb der Zahlen zu gucken, in welcher Lage die größte Stadt im Norden Thüringens politisch seit fast 10 Jahren steckt. Hier müsste man vielleicht auch erstmal zur Kenntnis nehmen, dass der eigentliche Schauplatz der politischen Auseinandersetzung in einer Region, in der wir eine LINKE Landrätin und später zunächst ein und dann zwei LINKE-Direktmandate für den Landtag gewonnen haben, eben nicht von vornherein um die AfD geführt wurde – sehr wohl aber auch den Nährboden für diese (mit)bereitet hat. Man müsste zur Kenntnis nehmen, dass sich das alles eben gar nicht in den Zahlen widerspiegelt, die man sich außerhalb von Nordhausen, bar jeder weiteren Kenntnis der Situation, zur selbstgefälligen Analyse von oben herab hernimmt. Denn: In der Zivilgesellschaft Nordhausens, aber eben auch weit darüber hinaus, hat der Erfolg (denn ja, es ist einer!) von Nordhausen vor allem zu Hoffnung und Mut geführt. Es hat Menschen gezeigt, wie stark sie auch selbst aktiv Prozesse vor Ort steuern können. Es hat dazu geführt, dass für so manche Person, die sich schon ins Private zurückgezogen hatte, erstmals wieder erlebbar wurde, dass es eine Gemeinschaft gibt, die zusammen – entgegen aller Einlassungen im Vorfeld – etwas erreichen kann. Es hat bewiesen, dass es sich lohnt, die Stadt mit demokratischen Mitteln zu gestalten. Für viele Menschen, die sich den rund 30 Aktiven im Zentrum des Bündnisses #nordhausenzusammen anschließen, war es eine persönliche Befreiung aus der Lethargie der politischen Querelen der letzten Jahre in Nordhausen. Diesen Effekt auf der ganz menschlichen Ebene im politischen Raum zu unterschätzen, halte ich für einen großen Fehler! Umso tragischer ist eben, dass auch nicht alle politisch Verantwortlichen in Nordhausen selbst verstanden haben, welche Chance der Ausgang dieser Wahl am 24. September 2023 bedeutet.

Das Jahr 2024 wartet mit Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen auf. Das Bündnis #nordhausenzusammen rückt noch enger zusammen und wird sich weiterhin für demokratische Werte, Vielfalt, Weltoffenheit und Toleranz einsetzen. Es ist ein gutes Zeichen, dass dieses Bündnis aus ihrem Erfolg in Nordhausen für sich selbst die Grundlage zieht, dass die Gemeinschaft aus Vereinen, Verbänden, Unternehmen, Gewerkschaften, Kultur- und Bildungsinstitutionen, wie zum Beispiel sehr prominent der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie Stadträtinnen und Stadträten, gebraucht wird. Das Bündnis ist nicht nur offensichtlich kampagnenfähiger als jede Partei im Moment, es zeigt politisch Verantwortlichen – ob im Wahlkampf oder nicht – aber auch massiv auf, was Politik in der Kommunikation und Vermittlung von Inhalten noch immer lernen kann und muss. Parteien und Fraktionen müssen (wieder) lernen, dass es eine gute Balance zwischen Aufklärung über und Erklärung von politischen Vorgängen und Zusammenhängen braucht. Botschaften müssen klar und verständlich sein. Das direkte Gespräch ersetzt hunderte Kurznachrichten in der X - früher Twitter-Blase. Belehrungen darüber, wie Menschen etwas sehen oder bewerten sollten, sind keine Grundlage für Kommunikation auf Augenhöhe. Der Trend des empörten Reagierens auf Aussagen anderer anstatt proaktiv die eigenen Inhalte voranzustellen, kann und sollte umgekehrt werden – auch weit über Wahlkampfzeiten hinaus! All das scheinen Binsenweisheiten zu sein, aber die Realität zeigt, dass wir uns das alle – ob politisch Verantwortliche oder nicht – noch einmal ins Gedächtnis rufen sollten. Als Fraktion und auch als Partei DIE LINKE haben wir in Thüringen gegenüber unseren politischen Mitbewerbern einen Vorteil: Wir haben die Instrumente und Formate längst, um genau das zu tun. Gemeinsam mit den Thüringern und Thüringerinnen auf allen politischen Ebenen dieses Landes zu gestalten - lasst uns diese nutzen, denn aus #nordhausenzusammen kann auch #thüringenüberallgleichgut Mut und Kraft ziehen! Katja Mitteldorf, Abgeordnete mit WKB in Nordhausen

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