Kommentar: Fossile Sucht

Markus Gleichmann

Wirtschaft und Gesellschaft sind süchtig. Nach Erdgas. Jetzt, da die geopolitischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fallstricke der überproportionalen Abhängigkeit von einem einzelnen Energieträger und einem einzelnen Förderland sichtbar werden, zeigt sich, wie sehr Wirtschaft und Gesellschaft von Erdgaslieferungen beherrscht werden. Ohne Erdgas bleiben Wohnungen kalt, stehen Kraftwerke und Industrieanlagen still. Ein sofortiger Verzicht auf russisches Erdgas würde immense Entzugserscheinungen in Form exorbitant steigender Preise und Verteilungskämpfe herbeiführen. Ein sofortiges Ersetzen durch Flüssiggaslieferungen wäre nicht nur technisch unmöglich, es würde auch den Weltmarkt derart durcheinander bringen, dass Gesellschaften des Globalen Südens, die auf Flüssiggaslieferungen angewiesen sind, teilweise gar keinen Zugang mehr zu Energie hätten.

Noch vor wenigen Wochen, am 2. Februar, wurde die Abhängigkeit sogar noch einmal verschärft, indem die EU-Kommission im Rahmen der Taxonomie Erdgaskraftwerke als nachhaltig eingestuft hat. Durch dieses institutionalisierte Green-Washing werden Investitionen, die in nachhaltige Technologien geleitet werden sollen, in Erdgaskraftwerke umgeleitet. Als Folge fehlt das Geld für Investitionen in Windenergie, Photovoltaik und Stromspeicher. Die Klassifizierung der Gasverstromung als „grün“ geschah auch auf Druck der Bundesregierung – derselben, die jetzt die Abhängigkeit von Erdgas lamentiert.

Jetzt muss endlich umgesteuert werden. Endlich auf Unabhängigkeit gesetzt werden: von Öl-, Gas- und Kohle-Importen. Von undemokratischen Ländern, egal ob Russland oder Katar. Von Kapitalinteressen der Mineralölkonzerne, die durch Spekulation die Preise in die Höhe treiben. Unabhängigkeit durch Energie aus Sonne, Wind und den Tiefen der Erde. Dezentral, regional und regenerativ. In langwierigen Verhandlungen haben wir als rot-rot-grüne Koalition die CDU davon überzeugen können, unserem Plenarantrag mit dem Namen „Solarausbau in Thüringen beschleunigen - Umbau auf ein sozial gerechtes Energiesystem forcieren - Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern stärken“ zuzustimmen. In diesem wird die Landesregierung aufgefordert, durch bspw. ein Gesetz dafür zu sorgen, dass beim Neubau von Häusern, der Sanierung von Dächern und auf Parkplätzen Solarenergienutzung sinnvoll integriert wird.

Des weiteren sollen Maßnahmen zur intelligenten Nutzung der Freiflächen-Photovoltaik erlassen werden. Dabei geht es darum, zunächst dort Solar-Strom zu generieren, wo eine andere Nutzung der Fläche nicht möglich ist. Also z.B. auf einer Fläche, die aufgrund einer vorherigen Nutzung als Industrie- oder Militärstandort versiegelt, also zubetoniert, oder kontaminiert ist, sich also Schwermetalle oder andere schlechte Stoffe im Boden befinden. Außerdem sollen die Flächen entlang Bahnstrecken und Autobahnen genutzt werden. Systeme, die die gleichzeitige Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Fläche und Erzeugung von Solar-Strom erlauben, sog. Agri-PV, sollen verstärkt genutzt werden.

Die Solar-Energienutzung ist nur ein Baustein einer nachhaltigen Energieversorgung. Windenergie, Bioenergie und Geothermie sind ebenso wichtig; die Mischung macht’s. Leider befinden wir uns als rot-rot-grüne-Koalition in einer Minderheits-Position im Landtag, sind also auf Stimmen anderer Fraktionen angewiesen. Als erster Schritt ist es uns endlich gelungen, der CDU-Fraktion ein „ja“ zur Solar-Energie abzuringen. Diesen steinigen Weg werden wir bei Wind-Energie und Wärmeversorgung weitergehen. Für eine von Weltmärkten, Förderländern und einzelnen Energieträgern unabhängige Energieversorgung. Nicht zuletzt dadurch sorgt die Energiewende für eine krisenfeste, bezahlbare und preisstabile Energieversorgung.

Markus Gleichmann und Frithjof Isenberg