In Bewegung, in Konflikt: Zum Thema Arbeiter*innenbewegung und Migration

Parlamentsreport

Arbeiter*innenbewegung und Migration – so lautet das Schwerpunktthema der aktuellen Ausgabe von „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ (ABG). Diese ist die einzige gedruckte deutschsprachige Zeitschrift, die ihren Schwerpunkt auf die Geschichte der Arbeiter*innenbewegung und der sozialen Bewegungen legt. Nach einem optischen Relaunch im Jahr 2016 erscheint die von einer vergleichsweise jungen Redaktion herausgegebene, sich Wissenschaft und sozialen Bewegungen verbunden fühlende Zeitschrift dreimal im Jahr.


Die insgesamt neun Artikel umfassen einen Zeitraum von über 100 Jahren, von den Debatten der Zweiten Internationale Ende des 19. Jahrhunderts um Internationalismus und „nationale Frage“, bis in die Bruchphase kapitalistisch-fordistischen Wohlstands Anfang der 1970er-Jahre. Sie machen deutlich, dass Migration schon immer zur Arbeiter*innenbewegung gehörte, ja dass „Migration“ und „Arbeit“ Phänomene sind, die sich getrennt voneinander weder betrachten noch verstehen lassen. Sie zeigen Migrant*innen in Bewegung, in Konflikten und in kollektiven Aktionen als integralen Bestandteil der Arbeiter*innenbewegung und ihrer kulturellen und politischen Organisationen.


Anda Nicolae-Vladu etwa erzählt von Kämpfen der Migration vor den 1950er Jahren, wie dem konzernweiten Streik bei der „Nordwolle“ 1927. Wobei die Gewerkschaft migrantische Beschäftigte hier teils in den Arbeitskampf integrierte und diese teils aufgrund eigenständiger Praktiken ausschloss, ein Phänomen, das auch später wieder zu beobachten ist – etwa bei den Kämpfen und Organisierungen, die Simon Goeke untersucht. Er berichtet aus seiner Forschung zu dem zwar nicht immer einfachen, aber auch solidarischen Verhältnis zwischen radikalen, eigenständigen migrantischen Kämpfen und den deutschen Gewerkschaften in der westdeutschen BoomPhase der 1960er und 1970er Jahre. Caner Tekin und Francesco Vizzari schreiben schließlich über Organisationen von Migrant*innen aus der Türkei bzw. Italien in Europa. Ursina Weiler stellt eine Organisation vor, die in der Schweiz der Zwischenkriegszeit das alteingesessene italienischsprachige Proletariat ebenso ansprach wie durch das Mussolini-Regime vertriebene Neuankömmlinge aus dem Nachbarland im Süden. Sie beleuchtet vor allem ihre Reorganisationsphase nach dem Sturz Mussolinis 1943.


Fast 50 Seiten mit Rezensionen und drei Beiträge, die geschichtspolitische Initiativen „von unten“, etwa das Webprojekt „www.bruderland.de“ zu Vertragsarbeiter*innen in der DDR vorstellen, runden das für alle historisch Interessierten sehr empfehlenswerte Heft ab. Janik Hollnagel

 


 

Die Arbeiterbewegung und „die anderen“?, Arbeit – Bewegung – Geschichte, Heft 1/21, 244 Seiten, 14 Euro, Jahresabo 35 Euro; Bezug über Metropol-Verlag Berlin. Mehr unter arbeit-bewegung-geschichte.de/. Der Beitrag von Nicolae-Vladu ist dort zu finden.