Mut zur Verantwortung sieht anders aus. Der Koalitionsvertrag der „Brombeere“ im Check
Thüringen steht vor großen Herausforderungen und die neue Koalition aus CDU, BSW und SPD muss zeigen, ob sie dieser Aufgabe gewachsen ist. Ende November hat die Brombeer-Koalition ihren Koalitionsvertag vorgestellt und wir werfen einen Blick in das 127-seitige Machwerk und greifen uns einzelne Punkte heraus.
Zukunft unter Finanzierungsvorbehalt
Als traditioneller Schwerpunkt von Landtagswahlkämpfen hat das Thema Bildung im letzten Jahr großen Raum eingenommen und die drei Brombeer-Partner haben u.a. ein kostenloses Mittagessen und den Wegfall der Hortgebühren versprochen.
Jetzt liegt der Koalitionsvertrag vor und liest sich mit Kopfnoten, Handyverbot und mehr Sitzenbleiben wie eine Reise in die Vergangenheit. Bei der Einstellung von Lehrkräften und der Bekämpfung von Unterrichtsausfall werden vor allem bereits umgesetzte Maßnahmen der rot-rot-grünen Landesregierung genannt, ob es darüber hinausgehen soll ist nicht ersichtlich. Insgesamt bleibt der Bildungsabschnitt deutlich hinter den geweckten Erwartungen zurück und unsere Fraktion wird alles dafür tun, dass die begonnenen Veränderungen weitergeführt werden und es nicht beim bloßen Fingerzeig auf die Vorgängerregierung bleibt.
Stadt & Land
Hinsichtlich der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land enthält der Koalitionsvertrag wenig Grundsätzliches. Dabei werden die Räume Stadt und Land nur auf die geografischen Aspekte und das „Stadt-Land-Gefälle“ reduziert. Wir vertreten hier eine andere Position: Das „Stadt-Land-Gefälle“ kann nur dann im Sinne der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse wirklich erfolgreich beseitigt werden, wenn auch und zuerst die Brüche und Benachteiligungen in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft und des Alltagslebens erfolgreich beseitigt sind.
Mobilität & Verkehr
Zwar wird das Thema „Mobilitätswende“ benannt, jedoch nur halbherzig verfolgt. So wird der Verbrenner als Spitzentechnologie gelobt, aber ernsthafte Anstrengungen zur Förderung sozialer und klimafreundlicher Fortbewegungsmittel vermieden. Elektromobilität auf Straße und Schiene findet zwar Erwähnung, Aussagen z. B. zur Ladeinfrastruktur sucht man auf den 127 Seiten allerdings vergeblich.
Das Mobilitätsprogramm der Brombeere zeigt wenige eigene Ideen und hält vielmehr an Vorhaben der Vorgängerregierung fest. Hier sind der integrale Taktfahrplan, die kostenlose Fahrradmitnahme, Investitionen in das Bus- und Bahnangebot, der zweigleisige Ausbau und die Elektrifizierung der Mitte-Deutschland-Verbindung und die landesbedeutsamen Buslinien zu nennen.
Energie – nichts genaues weiß man nicht
Das Energiekapitel trägt eine deutliche CDU-Handschrift. Windenergie soll nicht mehr über das Flächenziel, sondern über den „tatsächlichen Bedarf“ und entsprechende Mengenziele gesteuert werden. Dabei bleibt unerwähnt, wie die Bundesvorgaben erfüllt werden sollen, deren Verfehlung sonst ggf. die Aufhebung steuernder Planungen zur Folge hätte. Windkraft im Wald soll bis auf Ausnahmen, etwa bei drängendem kommunalen Wunsch, nicht möglich sein. Eine Antwort auf die Frage, wo Windenergielagen ansonsten gebaut werden sollen, wenn sie weder im Wald, besonders auf vom Borkenkäfer zerstörten Kalamitätsflächen, noch in Siedlungsnähe stehen können, bleibt der Vertrag schuldig.
Insgesamt ist der Abschnitt wenig ambitioniert, denn es fehlen konkret gefasste Zielmarken. So wird kein Stichjahr genannt, ab dem Thüringen bilanziell zu 100 % mit erneuerbarem Strom versorgt werden soll.
Innenpolitik & Sicherheit
Im Bereich der Inneren Sicherheit haben wir in den letzten Jahren die Präventionsarbeit, besonders mit Blick auf ältere Opfer, ausgebaut und es ist erfreulich, dass die Brombeere diesen Kurs fortsetzen möchte.
Völlig offen bleibt hingegen, wie es mit der Polizeischule in Meinigen vor dem Hintergrund der wachsenden Herausforderungen weitergehen soll. Auch bei den Themen Feuerwehr und Katastrophenschutz bekennt sich die Koalition zu unseren Ansätzen und hält sich ansonsten vage.
Menschenfeindliches Migrationskapitel
Das Kapitel im Koalitionsvertrag zur Migration in Thüringen ist von restriktiven Ansätzen geprägt und betont die ökonomische Verwertbarkeit von Migrant:innen. Die Abschiebung von Menschen, die bereits als Teil der Gesellschaft hier leben sowie die Abschottung gegenüber Personen, die nach Thüringen fliehen, werden priorisiert. Integration wird auf Fachkräfte mit sogenannter „guter Bleibeperspektive“ beschränkt, während Schutzsuchende sozial ausgegrenzt und rechtlich benachteiligt werden. Maßnahmen gegen Rassismus, die Unterstützung vulnerabler Gruppen oder nachhaltige Integrationskonzepte fehlen vollständig. Es wird ausgeklammert, dass die geplanten Kürzungen bei Sozialleistungen die Menschenwürde verletzen und gegen höchstrichterliche Rechtsprechung verstoßen. Insgesamt dominieren Kontrolle und Ausschluss, während menschenrechtliche Standards und gesamtgesellschaftliche Erfordernisse ignoriert werden.
Soziales & Gesundheit
Zwei Themen, die für Thüringen von großer Bedeutung sind und in denen die Landesregierung um Heike Werner und Bodo Ramelow große Schritte vorangekommen ist. So offenbart sich im Koalitionsvertrag, was sich auch schon im Sondierungspapier anbahnte: im Sozialbereich wird vor allem an linke Erfolge angeknüpft, nur selten zeigen sich eigene, neue Ideen.
Im Bereich Gesundheit und Pflege spiegeln sich weitreichende Ambitionen wider, deren Umsetzung jedoch eine deutliche Anhebung der finanziellen Mittel des Landes in diesem Bereich bedeuten würde. Wie die Brombeere das alles finanzieren möchte, bleibt offen.
Wirtschaft & Arbeit
Auch die Thüringer Wirtschaft wurde im Wahlkampf kräftig bemüht, doch der Blick in den Koalitionsvertrag führt schnell zur Ernüchterung. Denn dort hat die Brombeere – bis auf den nebulösen Abbau von Bürokratie – kaum Eigenes und Neues zu bieten. Das „Wie“ bleibt auf der Strecke. Zudem werden die Vorschläge nicht unter gesellschaftspolitischen Kriterien beleuchtet bzw. eingeordnet wie bspw. sozial-ökologisch etc. Vermutlich wird „die Brombeere“ auf bewährte (linke) Instrumente setzen, um aktive Wirtschaftspolitik in kleinen und mittelständischen Unternehmen voranzutreiben und im Zweifel Folgen neoliberaler Wirtschaftspolitik auf dem Rücken der Beschäftigten auszutragen. Beim eingeführten Vergabegesetz von R2G wartet „die Brombeere“ auf den Bund, um Anpassungen vorzunehmen (die noch lange auf sich warten lassen dürften), während sie beim Abbau von Bürokratie auf eigene Maßnahmen setzt.
Für uns als Linke ist klar, dass wir uns am Standardabbau für die Arbeitnehmer:innen nicht beteiligen. Wir wollen keine Rückkehr zum Billiglohnland, wie es die CDU in der Vergangenheit immer propagiert hat.
Städte & Gemeinden
Der Koalitionsvertrag kündigt an, dass der Prozess zur Reform des Kommunalen Finanzausgleichs sofort beginnen soll. Zur Erinnerung: Die CDU hatte dazu die letzten Jahre Zeit. Sie hat den Unterausschuss „Kommunaler Finanzausgleich“ in der letzten Legislatur gewollt und eingesetzt. Das Ergebnis: Die CDU hat sich zwar tonnenweise Zahlenmaterial von der Landesregierung liefern lassen, bis heute aber keinen konkreten Vorschlag zur Reform des Kommunalen Finanzausgleichs entwickelt und vorgelegt.
Bei den Gemeindeneugliederungen Rückendeckung für die Landesregierung, hier soll der in den letzten 10 Jahren eingeschlagene Kurs der freiwilligen Gemeindeneugliederungen zur Bildung zukunftsfester Verwaltungsstrukturen fortgesetzt werden. Indem Gemeindezusammenschlüsse auch zukünftig freiwillig und anreizorientiert erfolgen.
Finanzierung ausgeblendet
Hat man sich durch die verschiedenen Kapitel und 127 Seiten durchgearbeitet, bleibt die Frage nach der Finanzierung hängen, denn die ist völlig offen. Auch unser Fraktionsvorsitzender Christian Schaft findet deutliche Worte: „Der vorgelegte Vertrag wird seinem Titel nicht gerecht. Den Mut und die Verantwortung, Dinge wirklich anders zu machen, lässt er vermissen. Der Kurs heißt in vielen Bereichen einfach nur: Weiter so! Stellenweise nimmt man bereits umgesetzte, gute Ideen der rot-rot-grünen Regierungsjahre auf und klebt ein anderes Label darauf. Das spricht dafür, dass sich viele Entscheidungen der letzten 10 Jahre offenbar bewährt haben und gesellschaftlich für gut befunden wurden. In anderen Bereichen setzt „die Brombeere“ aber nicht auf Bewährtes, sondern auf Uraltes und verspielt damit die Zukunft Thüringens.“