„Man muss draußen sein damit die Menschen Vertrauen aufbauen können“

Karola Stange, Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag, begleitete zwei Streetworker der AIDS-Hilfe Thüringen e. V., Jens Hase, und seine Kollegin Marie Schmidt, bei einem Rundgang durch Erfurt. Stange besucht regelmäßig Verbände, Vereine oder Akteure aus ihrem Wahlkreis in Erfurt, um über ihre Arbeit zu informieren und im Kontakt zu bleiben. An diesem Mittwoch im Juli wollte sie nun mehr über den Arbeitsalltag der Streetworker erfahren. In der rund zweihunderttausend Einwohner:innen Stadt Erfurt sind zehn Streetworker unterwegs, aufgeteilt in vier Gruppen, die unterschiedliche Stadtgebiete betreuen. Zwei Teams sind davon vom Jugendamt eingestellt, die anderen zwei über freie Träger. Die AIDS-Hilfe Thüringen e. V. beschäftigt bereits seit 20 Jahren Streetworker und stellt Beratungsräume, aber auch Duschen und Waschmöglichkeiten zur Verfügung. Jens Hase ist seit vielen Jahren im Einsatz, um Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu unterstützen, denn er weiß auch aus persönlichen Erfahrungen, was es heißt, keinen festen Wohnsitz zu haben, erzählt er gleich zu Beginn.

Die Runde startet am Erfurter Anger, einem belebten Platz in der Landeshauptstadt, der auch als Gefahrengebiet eingeordnet ist. Seit 1. September 2023 ist hier eine Polizeidienststelle eingerichtet werden. Einige Obdachlose, die hier ihr Quartier aufschlagen haben, freuen sich darüber, so berichtet Jens. Denn auch sie fühlen sich von einzelnen Gruppen auf dem Anger gestört oder gar belästigt. Der Streetworker betont, dass der Großteil der Obdachlosen hier keine Drogen nimmt, doch kleinere Gruppen, die es tun, fallen besonders auf. Dies sei aber nicht die Regel, erklärt Marie. Die meisten Obdachlosen seien Einzelgänger:innen und wollen eher keine Aufmerksamkeit erregen.
Marie und Jens gehen zwei bis drei Tage pro Woche auf eine feste Runde durch Erfurt. Der Anger ist dabei nur einer der Orte, die sie besuchen. Ein weiterer ist zum Beispiel der Brühler Garten, ein Parkgelände im Erfurter Brühl. Hier treffen die Streetworker und die Abgeordnete Fritz. Ihm war es auf dem Anger zu stressig geworden, hier im Brühler Garten habe er seine Ruhe, erzählt der Mann im Rentenalter. Er habe sich mit seinem Leben auf der Straße arrangiert, im Gespräch mit ihm wird aber deutlich, dass ihn auch psychische Probleme plagen. Karola Stange bedankt sich bei ihm für seine Offenheit. „Solche Begegnungen zeigen, wie komplex und individuell die Lebenssituationen der Menschen sind, mit denen die Streetworker täglich in Kontakt kommen“, resümiert sie. Sie sieht auch, wie wichtig es ist, dass die Streetworker rausgehen, mit den Menschen sprechen und sich und ihre Arbeit immer wieder in Erinnerung rufen. Im Vorbeigehen grüßt Jens viele Leute. „Man muss draußen sein damit die Menschen Vertrauen aufbauen können. Früher war es auch noch einfacher. Aber gerade die junge Generation ist heute schwer zu erreichen.“ In den Anfangsjahren habe es zwar auch länger gedauert, um Vertrauen in den Gruppen der wohnungslosen Menschen aufzubauen. Heute jedoch falle man bei den Jugendlichen kaum als Anlaufstelle auf. Sie wüssten oft nicht, dass Hilfe vorhanden sei oder wie sie wieder in das soziale System eingegliedert werden können. Daher nutzen Jens und Marie auch den Kontaktweg über die Personen, die schon länger auf der Straße leben.

Frauen auf der Straße

Auf Nachfrage, wie es um junge Frauen ohne festen Wohnsitz stehe, erklärt Jens, dass auffällig sei, dass diese schneller wieder „von der Straße weg sind“. Meist, weil sie sich in Beziehungen zu Männern mit Wohnungen begeben. „Sicherlich sind darunter auch mal echte Liebesgeschichten dabei. Aber viele nutzen die Situation junger Frauen auch einfach nur aus.“ Es gäbe aber auch immer mehr feste Mädchen-Gangs, die selbstbewusster und stärker im Zusammenhalt werden, berichtet Jens. Oft seien sie harmlos, teilweise aber auch aggressiv unterwegs. Marie arbeitet seit einem Jahr als Streetworkerin in Erfurt, davor war sie als Sozialarbeiterin in Dresden angestellt. Neben den Runden in der Stadt betreut sie auch Schulprojekte, die sich mit sexueller Aufklärung beschäftigen. Sie sei schnell in der Arbeit mit den Wohnungssuchenden angekommen und habe viel positive Resonanz erfahren. Jedoch gehe sie die Runden durch die Stadt nie allein. Meistens mit Jens oder ihrer dritten Kollegin. „Allein würde ich die Besuche nicht machen. Ich fühle mich bei manchen Personen als Frau nicht sicher“, erklärt sie Karola Stange. Jens bestätigt, dass manche, die kaum soziale Kontakte zu Frauen haben, teilweise einen übergriffigen Umgang pflegen und es deshalb besser sei, im Team zu arbeiten.
Die Arbeit der Streetworker wird auch von der Landesregierung unterstützt, wie beispielsweise mit dem Drug-Checking-Projekt, das unter den Koalitionsfraktionen von DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingeführt wurde. Am Kaffeetrichter ist hierfür eigens eine Anlaufstelle eingerichtet worden. Beim Drug-Checking werden durch verschiedene Testmethoden Drogen auf ihre Zusammensetzung und Beschaffenheit hin überprüft. Sollten dabei bedenkliche Inhaltsstoffe gefunden werden, können Konsumenten gewarnt und es kann ihnen vom Konsum abgeraten werden. Mit den Testergebnissen werden zielgerichtete, für einzelne Substanzen objektive und glaubhafte Informationen vermittelt, um für Risiken, wie Mischkonsum, zu sensibilisieren. (Quelle: www.drogerie-projekt.de) Für die Sicherheit und auch als Beratungsstelle ist die Einrichtung von besonderer Bedeutung. Trotzdem versuchen CDU und AfD bei den Haushaltsplänen diese Gelder immer wieder einzukürzen.

Öffentliches Bewusstsein

Marie und Jens sind mit Leidenschaft bei ihrer Arbeit und sehen ihre Mission darin, Betroffene von Wohnungslosigkeit auf die Hilfsangebote aufmerksam zu machen. Aber sie wollen auch in der Öffentlichkeit Bewusstsein für die Probleme der Menschen schaffen, mit denen sie arbeiten. Durch ihre Präsenz an Schulen und in der Stadt hoffen sie, mehr Menschen zu erreichen und ihnen die Hilfe anzubieten, die sie benötigen. „Die Arbeit der Streetworker ist vielfältig und herausfordernd, aber sie setzen sich mit großem Engagement für die Menschen in Erfurt ein. Die Unterstützung von obdachlosen Menschen ist von unschätzbarem Wert und verdient unsere Anerkennung und Wertschätzung“, sagt Karola Stange und zeigt sich beeindruckt von der Arbeit der beiden.