„Istanbul-Konvention endlich umsetzen“
Die Istanbul-Konvention ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt aus dem Jahr 2011. Seit nunmehr fünf Jahren ist die Konvention auch in Deutschland geltendes Recht, weshalb sich das Bundesland dazu verpflichtet auf allen staatlichen Ebenen, alles dafür zu tun, um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, Betroffenen Schutz und Unterstützung zu bieten und Gewalt zu verhindern.
Im Zuge dessen bringen auch die Koalitionsfraktionen von DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN politischen Initiativen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention auf den Weg: So fasste der Thüringer Landtag am 6. Mai 2021 den Beschluss „Istanbul-Konvention in Thüringen umsetzen: Gewalt gegen Frauen und Mädchen und häusliche Gewalt verhüten und bekämpfen“. In dem Beschluss wird die Landesregierung gebeten, unter Vorgabe verschiedener Eckpunkte eine Gesamtstrategie gegen alle Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt zu erarbeiten und umzusetzen. Hierdurch soll das Recht auf ein gewaltfreies und selbstbestimmtes Leben von Frauen und Mädchen gesichert sowie Betroffene von häuslicher Gewalt geschützt werden. Und auch mit der Verabschiedung des Landeshaushaltes 2022 stehen seither über eine Million Euro zur Verfügung, um die Beratungskräfte im Gewaltschutz zu verstärken. Die Thüringer Ministerin für Gleichstellung und Frauen, Heike Werner, wies jedoch bereits vor einem Jahr darauf hin, dass weitere Schritte dringend notwendig seien, wenn wir im Freistaat Gewaltschutz im Sinne der Istanbul-Konvention ernst nehmen. Vor einigen Monaten haben sich deshalb die Koalitionsfraktionen von DIE LINKE, SPD und BÜDNIS 90/ DIE GRÜNEN auf den Weg begeben, mit einem Gesetzesentwurf diese Schritte anzugehen: Das „Erste Gesetz zur Änderung des Thüringer Chancengleichheitsfördergesetzes -Ausbau und Förderung von Einrichtungen und Angeboten des Gewaltschutzes“ zielt darauf ab, Frauenhäuser und Schutzeinrichtungen in Thüringen im Sinne der Konvention flächendeckend auszubauen, sowie die Rahmenbedingungen für das Personal in den Einrichtungen zu verbessern. Wir haben uns mit Karola Stange (frauen- und gleichstellungspolitische Sprecherin) getroffen, die uns über die dringende Notwendigkeit eines flächendeckenden Gewaltschutzes und dem neuen Gesetzesentwurf berichtet:
PR: Zu Beginn die allgemeine Frage - Warum ist die Umsetzung der Istanbul-Konvention so wichtig?
Karola Stange: Die Istanbul Konvention ist, genauso wie eine Menschenrechtskonvention wie die UN Behindertenrechtskonvention, als gemeinsames Dokument von vielen europäischen und nicht europäischen Staaten anzusehen. Sie wurde in vielen, vielen Jahrzehnten inhaltlich verhandelt und in Istanbul unterzeichnet. Mit der Ratifizierung der Konvention in Deutschland im Jahr 2017 hat sie Gesetzeskraft. Und ein Gesetz, so haben wir es gelernt, muss umgesetzt werden. Es kann ja nicht sein, dass die Bundesrepublik Deutschland es ratifiziert, aber sich dann nicht drum kümmert, wie es mit Leben erfüllt wird. Darum war es uns sehr wichtig, dass wir erste Inhalte jetzt auch in Text und Gesetz für Thüringen umsetzen.
PR: Ist aktuell mehr Anlass für die Umsetzung der Konvention gegeben?
Karola Stange: Erst vor wenigen Wochen haben die Medien berichtet, dass es einen Anstieg von häuslicher Gewalt von 18,1 Prozent in Thüringen gab. 3812 Opfer. Davon waren zwei Drittel Frauen. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau in Deutschland an häuslicher Gewalt. Das sind Zahlen die uns sehr schockieren. In der Istanbul-Konvention geht es um die Prävention und Bekämpfung häuslicher Gewalt. Um den Schutz der Opfer und die Bestrafung der Täter:innen. Wir als Koalition haben vor ein paar Jahren zunächst einen Antrag für die Umsetzung der Istanbul-Konvention vorangebracht. Mit dem Gesetzestext gehen wir jetzt aber neue, verbindlichere Wege.
PR: Wie sieht es in den anderen Bundesländern aus? Gibt es auch hier Initiativen, den Gewaltschutz im Sinne der Konvention auszubauen?
Karola Stange: Ich kann behaupten, dass Thüringen mit dem Gesetz hier in der Vorreiterposition steht. Und wir warten natürlich darauf, dass, so steht es im Koalitionsvertrag der Ampelregierung, auch finanzielle Ressourcen durch den Bund bereitgestellt werden. Denn in Thüringen haben wir großen Bedarf an Betten. Wenn ich mit Leiterinnen von Frauenhäusern oder Schutzwohnungen rede, dann sagen die es passiere ganz oft, dass sie Schutzsuchende zurückweisen mussten, weil die Anzahl der Plätze voll ist.
PR: Wem genau wird mit der Umsetzung des Gesetzes geholfen?
Karola Stange: Wir sehen unter dem Begriff „Gewaltschutz“ auch „nicht-weibliche Personen“ und Kinder. Deshalb sprechen wir nun nicht mehr von „Frauenbetten“, sondern von „Familienplätzen“. Pro Platz/Bett in einer Schutzunterkunft heißt es also nicht nur, dass die Frau allein die Einrichtung aufsucht, sondern es kann sein, dass die Frau ein oder zwei Kinder mitbringt.
Und es gibt auch Männer die Probleme haben. Die gehen damit leider auch nicht an die Öffentlichkeit. Aber auch ihnen geht es wie vielen Frauen, die z. B. Sonnenbrille tragen um die Zeichen der Gewalt zu verstecken. Für die Personen muss ebenso ein Schutzraum geschaffen werden. Wir haben das im neuen Gesetz als Räume für „nicht weibliche Personen“ ausgeschrieben, denn es gibt ja auch mehr als zwei Geschlechter.
PR: Wie soll es mit der Umsetzung des Gesetzes nun weitergehen?
Karola Stange: Er wurde zunächst ins Plenum des Thüringer Landtages eingebracht und in den Sozialausschuss überwiesen. Hier haben wir auf einer Sondersitzung am Rande des Plenums bereits die erste Anhörung für Anfang September beschlossen. Unser Ziel ist es, das Gesetz noch in diesem Jahr hier im Landtag zu verabschieden. Ich hoffe, dass alle demokratischen Fraktionen das Thema so ernst nehmen, dass sie sich dazu auch mit uns verständigen werden. Es ist natürlich eine Umkehrung, wenn man nun sagt, dass das Land nun in die Finanzierung geht. Wir wollen, dass das Land die Hauptverantwortung übernimmt für die Personalkosten, nicht nur für die fachlichen Kräfte, sondern natürlich auch die gesamten Personalkosten. Also auch Sacharbeit, Bürokauffrau, Reinigungskräfte etc..
PR: Was ist dir noch besonders wichtig in Bezug auf das neue Gesetz?
Karola Stange: Ich bin ja nicht nur die Sprecherin für Gleichstellung, sondern auch für Behindertenpolitik. Und hier soll es auch in Bezug auf das neue Gesetzt Erleichterungen geben. Denn in die Schutzräume kommen auch Frauen die mehrfache Beeinträchtigung haben oder mittlerweile schon pflegebedürftig sind. Das dürfen wir nicht vergessen. Es gibt kein einziges Frauenhaus in Thüringen, das barrierefrei ist. Mit dem Gesetz wollen wir natürlich auch, dass sich das ändert. Zukünftig soll deshalb Barrierefreiheit in Bezug auf Schutzwohnungen verpflichtend sein.