„Immer in die richtige Richtung gegangen“ – Zum Abschied von Steffen Dittes
Zum Ende der politischen Laufbahn von Steffen Dittes hat parlamentsreport mit dem Fraktionsvorsitzenden der Linke-Fraktion gesprochen.
Sie haben während Ihrer Karriere mit Menschen unterschiedlicher politischer Lager und Weltanschauungen gesprochen. Gab es dabei Begegnungen, die neue Perspektiven eröffnet oder sogar Ihre Sichtweise nachhaltig verändert haben?
Ich würde nicht sagen, dass einzelne Menschen meine Sichtweise zu gesellschaftlichen Themen nachhaltig geändert hätten. Meine Grundüberzeugungen und Grundhaltungen sind seit vielen Jahren unverändert, was mein politisches Engagement für linke Politik in den vergangenen Jahren auch zeigt. Natürlich ändert man sich mit der Zeit, auch seine Schwerpunktsetzungen und Meinungen. Das aber ist ein Prozess und die Summe vieler Erfahrungen, zu denen Gespräche und Begegnungen mit zahlreichen Menschen beigetragen haben. Es sind also vor allem die anderen Perspektiven, die den politischen Dialog und am Ende auch politische Entscheidungen prägen. Übrigens in jeder, also sowohl positiven als auch negativen Hinsicht.
Zwei Bereiche will ich aber herausheben. Mich begleiten seit vielen Jahren noch einzelne Beratungsaufgaben für Geflüchtete. Dieser persönliche Kontakt und das mittelbare Erleben der fehlenden Lebensperspektive für Menschen führen einem immer wieder vor Augen, wie privilegiert die meisten Menschen – und ich im besonderen Maße – sind. Das erdet.
Eine andere prägende Erfahrung war, mitzuerleben, wie während der Corona-Pandemie Bodo Ramelow als Ministerpräsident, Helmut Holter als Bildungsminister und die Sozialministerin Heike Werner als Verantwortliche zwischen Gesundheitsschutz durch beschränkende Maßnahmen und Sicherung von Freiheitsrechten abwägen und entscheiden mussten. Das haben sie niemals leichtfertig, unter einem großen öffentlichen Druck aus allen Richtungen, sich niemals von persönlichen Meinungen leiten lassend und immer hinterfragend, getan. Das nötigte mir Respekt ab, denn auch ich – obwohl ebenso in der politischen Verantwortung mit an vorderster Stelle stehend – konnte mich darauf zurückziehen, formal keine Entscheidung treffen und diese bis ins letzte begründen zu müssen.
Rückblickend bin ich vor allem dankbar für die Vielfalt an Themen, die ich bearbeiten durfte und die Vielschichtigkeit der Begegnungen mit Menschen, von denen ich die allermeisten nicht missen möchte.
Die Minderheitskoalition in Thüringen konnte für Stabilität im Land sorgen, weil sie immer wieder bereit war, Kompromissen zu schließen. Welchen Idealen konnten Sie trotzdem treu bleiben?
In den 90er Jahren und auch noch Anfang der 2000er habe ich eine Regierungsbeteiligung für uns als sozialistische Partei abgelehnt, weil ich der Überzeugung bin, dass grundlegende gesellschaftliche Veränderungen sich nicht durch die Verabschiedung von Gesetzen einleiten lassen, sondern nur durch gesellschaftliche Bewegungen initiiert und letztlich auch durchgesetzt werden. Von diesem Prinzip bin ich auch heute überzeugt, und kann aus meiner Erfahrung hier in Thüringen aus den letzten zehn Jahren viele Beispiele dafür benennen. Nur anders als damals bin ich der Auffassung, dass es nicht dadurch entbehrlich wird, in Parlamenten Entscheidungen vorzubereiten und zu treffen, die das alltägliche Leben von Menschen in der Gegenwart beispielsweise hier in Thüringen gestalten. Unsere Ideale, oder besser unsere Wertvorstellungen, nach denen sich eine Gesellschaft unseres Erachtens nach zusammenfinden muss, nämlich für alle Menschen unterschiedslos den gleichen Zugang zum geschaffenen Reichtum, ökonomisch, ökologisch, kulturell, politisch, zu ermöglichen, ist bei jeder unserer Entscheidungen, auch bei Kompromissen, handlungsleitend gewesen. Um es bildlich zu sagen: Wir sind auch in der Regierungsverantwortung immer in die richtige Richtung gegangen. Aber oft waren das Schrittmaß und die Geschwindigkeit zu klein, manchmal kamen wir auch nicht von der Stelle. Aber in die falsche Richtung sind wir – davon bin ich zumindest überzeugt – nie gelaufen.
In der Vergangenheit haben Sie wiederholt darauf hingewiesen, dass politische Gegner:innen bewusst die Unwahrheit sagen. Welche Konsequenzen hat das für die Politik in Thüringen?
Als ich als junger Mensch in den 90er Jahren in die Politik gegangen bin und Parlamentarier geworden bin, wurde ich oft mit dem Vorwurf konfrontiert, dass Politiker:innen lügen würden. Heute weiß ich, dass dieser Vorwurf in der Gegenwart mehr als in den 90er Jahren noch mit Beispielen belegt werden kann, was freilich nicht zu einer Allgemeingültigkeit für alle Politiker:innen führen darf. Hier müssen dann im Einzelfall eben auch Ross und Reiter benannt werden.
Aber es ist die Folge eines sich in den letzten Jahren verstärkenden Prozesses. Einige Politiker:innen, und ich meine hier speziell die AfD, nicht weniger die CDU in Bund und Land, aber auch das neu gegründete BSW, haben das Handwerk gesellschaftlicher Gestaltung, die Politik, durch politische Kommunikation ersetzt, die Aufmerksamkeit und Effekte braucht. Schnelllebigkeit und die Verkürzung in den sozialen Medien haben die Zuspitzung noch gefördert. Eine Folge sind immer drastischer werdende persönliche und beleidigende Angriffe, effektheischende Wortschöpfungen, Ignoranz von Fakten bis hin zu ihrer Verdrehung und eben auch die offenkundige Lüge. Die Kurzlebigkeit der Nachricht führt dazu, dass es keine Aufarbeitung mehr gibt und es keiner Rechtfertigung mehr bedarf. Die Geschwindigkeit der Meinungsproduktion führt auch dazu, dass einst seriöse Medien Phrasen nicht mehr überprüfen, aber als gesagt weiterverbreiten.
Eine ernsthafte Folge wird sein, dass Politik, aber vor allem demokratische Institutionen, weiter Vertrauen verlieren, wenn sie ernsthaft auf sehr komplexe gesellschaftliche Prozesses und daraus entstehende Probleme reagieren und geschaffene Bedarfe nach Einfachheit, Kürze und dem Versprechen, dass alles so bleiben kann, wie es ist, nicht bedienen können.
Wir müssen als Politiker:innen endlich wieder lernen, nicht nur zu formulieren, was Menschen am liebsten hören wollen. Und als Wähler:innen müssen wir endlich wieder lernen, nicht den Politiker:innen zu applaudieren, die sagen, was man als liebstes hören will. Es braucht mehr Ehrlichkeit gegenüber den Herausforderungen die soziale Ungerechtigkeit, Ausbeutung von Natur und Menschen, Ökonomisierung und Privatisierung lebensnotwendiger Bereiche mit sich bringen und eine offene, vor allem auch inhaltliche und argumentative Auseinandersetzung zwischen politischen Parteien, die sich auf unterschiedliche Wertvorstellungen stützend diesen Problemen mit jeweils ihren Konzepten stellen.
Welche Konsequenzen hat dies auf die Kommunikation von politische Inhalten für Die Linke?
Die Linke kann mit Populist:innen nicht in deren Profession konkurrieren. Und wir sollten uns hüten, beispielsweise in das inhaltslose und unreflektierte Verteufeln der „Ampel“ oder in die respektlose, billige Polemik gegen Annalena Baerbock oder Olaf Scholz einzustimmen. Es gibt viel an Entscheidungen der Bundesregierung inhaltlich gut begründet zu kritisieren. Darauf sollten wir uns konzentrieren und gleichzeitig aufweisen, was eine linke Partei, was Die Linke anders macht und welche Wirkungen das für die Menschen hätte. Ich glaube nach wie vor an die Wirkung des Diskurses und an die Kraft des Argumentes. Und viele Gespräche bestärken mich darin. Aber diese Gespräche brauchen Orte und Zeit. Die Orte müssen wir uns zurückgewinnen, auf den Straßen und Plätzen, an den Stammtischen, im Betrieb und auf Familienfeiern, an Gartenzäunen und Haustüren. Und das, was wir sagen, müssen die Menschen zu Haus in unseren Medienangeboten auch wiederfinden und wiedererkennen können, auch vertiefend. Um das zu schaffen, brauchen wir mehr Zeit als ein einzelner Tweet derzeit aber erfordert.