Gedenken an Opfer der Novemberpogrome
„Wir gedenken der Opfer der Novemberpogrome im Jahr 1938. Die organisierte Gewalt tötete in dieser Nacht hunderte Jüdinnen und Juden, brannte Synagogen nieder und zerstörte Geschäfte und Wohnhäuser. Die Pogrome waren der erste Höhepunkt der antisemitischen Gewalt in Deutschland, welche mit antisemitischer Propaganda und Stereotypen begann und zur Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden führte.
Angesichts dessen stehen wir ganz besonders in der Verantwortung, uns antisemitischen, rassistischen, menschenfeindlichen Ideologien entschieden entgegenzustellen“, erklärt anlässlich des 85. Jahrestages der Novemberpogrome am 9. November der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag, Steffen Dittes. Doch gerade jene antisemitische Stereotypen und Verschwörungserzählungen sind momentan wieder auf dem Vormarsch. „Es besorgt mich, dass nach den Terrorangriffen der Hamas gegen Israel Antisemitismus zunehmend Raum greift. Dissens über historische und politische Zusammenhänge, Debatte und Streit darüber gehören zur gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung dazu. Doch eines darf es nie wieder geben: die Legitimation von Terror, die Entsolidarisierung mit Opfern und dass Jüdinnen und Juden - wie auch kein anderer Mensch - aufgrund ihres Glaubens oder ethnischen Zugehörigkeit zum Ziel von Hass und Gewalt werden.“
Auch in den Zeiten der verschiedenen Krisen wurden Jüdinnen und Juden in der Bundesrepublik als populärer Sündenbock missbraucht. Der Bericht „Antisemitische Vorfälle in Thüringen 2022“ der Recherche- und Informationsstelle (RIAS) Thüringen gibt an, dass 79 Prozent der dokumentierten Fälle einen verschwörungsideologischen Hintergrund hatten. Besonders im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gewannen diese Erzählungen an Popularität.
Darüber hinaus ist der Post-Shoah-Antisemitismus der Auswertung von RIAS zufolge in Thüringen besonders präsent. Post-Shoah-Antisemitismus bezieht sich auf den Umgang mit den nationalsozialistischen Massenverbrechen, beispielsweise wenn die Erinnerung an die NS-Verbrechen abgelehnt wird oder NS-Verbrechen bagatellisiert werden. Im Jahr 2022 erschien diese Form des Antisemitismus in 87 Prozent aller gemeldeten Vorfälle, was eine erneute Steigerung um 12 Prozent im Vergleich zu 2021 bedeutete.
„Die Gräuel der Novemberpogrome und des gesamten Massenmordes an den europäischen Jüdinnen und Juden zu negieren, zu verharmlosen oder gar eine Schuldumkehr darzustellen, ist in Thüringen, dem Land, in welchem die Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora, das Unternehmen Topf und Söhne sowie zahlreiche NS-Rüstungsbetriebe beheimatet waren, so unvorstellbar, dass uns manchmal die Worte fehlen mögen. Aber trotzdem ist es unsere Pflicht zu widersprechen und einzugreifen, wenn Antisemitismus verbreitet wird und das Leben von Jüdinnen und Juden angegriffen wird.“ Diese Angriffe sind in Deutschland leider weiterhin an der Tagesordnung. So verzeichnete die Jahresstatistik zu politisch motivierter Kriminalität in 2022 insgesamt 2.641 antisemitische Straftaten. Mit über 80 Prozent davon entfällt der Großteil auf den sog. „Phänomenbereich rechts“ und weitere 343 Taten werden als „nicht zuzuordnen“ gelistet, wohinter sich im Jahr 2022 regelmäßig verschwörungsideologische Täter:innen und ähnliche verbargen.
„Unsere Verantwortung endet nicht beim Kampf gegen Antisemitismus und dem Schutz jüdischen Lebens. Es ist heutzutage unsere Aufgabe, jüdisches Leben und jüdische Kultur zu fördern, das zeitgenössische jüdische Gemeindeleben und das Engagement zur Bewahrung des jüdischen Erbes aktiv zu unterstützen. Das Erfahren jüdischer Kultur muss selbstverständlicher Teil der vielfältigen Kultur in unserem Land sein“, schließt der Dittes ab.
9. November 1938
Als „Kristallnacht“ oder „Novemberpogrome“ werden die Terrorakte gegen Jüdinnen und Juden bezeichnet, die vor allem in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 im gesamten Deutschen Reich stattfanden. Von der NS-Führung zentral organisiert und gelenkt, wurden die Gewaltaktionen auf lokaler und regionaler Ebene von Angehörigen der SA und der SS mit einem hohen Maß an Eigeninitiative durchgeführt. Ungefähr 400 Menschen wurden ermordet oder in den Suizid getrieben. Über 1.400 Synagogen und Betstuben sowie etwa 7.500 Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört, jüdische Friedhöfe und andere Einrichtungen der Gemeinden wurden verwüstet. In den Tagen danach verhaftete die Gestapo etwa 30.000 jüdische Männer und verschleppte sie in Konzentrationslager, Hunderte wurden dort ermordet oder kamen zu Tode. Überlebende Häftlinge wurden größtenteils nach einigen Wochen und Monaten wieder freigelassen.
Der 9. November 1938 markiert den Übergang von der seit 1933 betriebenen Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung zu ihrer systematischen Verfolgung. Den in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden wurde spätestens jetzt klar, dass sie sogar ihres Lebens nicht mehr sicher waren. Die Zahl derjenigen, die sich um ihre Emigration bemühten, schnellte nach dem 9. November 1938 sprunghaft in die Höhe. In den wenigen Monaten bis Kriegsbeginn verließen etwa 200.000 Jüdinnen und Juden das Reich.
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