Europäische Gremien kennenlernen - Arbeitsbesuch in Brüssel

Pauline Lörzer, Markus Gleichmann


Europapolitik spielt auch für Thüringen eine wichtige Rolle, denn es ist oftmals die Länderebene, auf denen sich konkrete Auswirkungen für die Bevölkerung zeigen. Deshalb ist es einer der Themenkomplexe, für die jede Fraktion eine:n zuständige:n Abgeordnete:n bestimmt, welche:r sich schwerpunktmäßig mit dem Thema beschäftigt. Für die Fraktion DIE LINKE ist dieser Sprecher für Europapolitik der Abgeordnete Markus Gleichmann. Bearbeitet wird der Bereich darüber hinaus im Arbeitskreis für Europa, Kultur und Medien. Zu deren vielfältigen Aufgaben gehört unter anderem die Prüfung europäischer Beschlüsse auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips, was heißt, dass geprüft wird, ob EU-Regeln überflüssig oder konträr zum Landesrecht stehen. Aus diesem Grund fahren die thematischen Arbeitskreise aller Fraktionen auch regelmäßig in Zentren, in denen europäische Entscheidungsgremien arbeiten, um sich umfassender mit ihnen und den Prozessen zu beschäftigen, die diesen vorausgehen. Die demokratischen Fraktionen im Thüringer Landtag nutzten auch in diesem Jahr die Möglichkeit für einen Arbeitsbesuch. Die AfD hingegen zeigte ihre fundamentale Ablehnung gegen die europäische Zusammenarbeit und bliebt der auswärtigen Ausschusssitzung fern.  

Den Auftakt des Besuches bildete ein Treffen mit der Vertretung des Freistaats Thüringen in Brüssel. Die Vertretung beobachtet und analysiert vor Ort das politische Geschehen in Europa. Sie ist dafür zuständig, die Thüringer Landesregierung frühzeitig zu informieren, damit diese auf den europäischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess einwirken kann. Deshalb wurden auch aktuelle Probleme zum baulichen Zustand und die für den Dienstbetrieb nachteilige Lage der zweiteiligen Liegenschaft in der Rue Frödöric Pelletier und dem Square Vergote besprochen sowie verschiedene Lösungsansätze und Zukunftsideen für die Vertretung thematisiert.
Im Anschluss fand ein Treffen mit der in Brüssel sitzenden NGO „ECRE“ (Europeen Council on Refugees and Exiles) statt, die sich für den Schutz und die Förderung der Rechte von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Vertriebenen einsetzen. In ECRE sind zurzeit 105 Organisationen aus 39 europäischen Staaten vereinigt. Das Treffen, in dem es neben der praktischen Arbeit der Organisation vor allem um relevante Rechtssetzungsinitiativen ging, stellte auch eine thematische Ergänzung zum Treffen mit FRONTEX am nächsten Tag dar, die als europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, unter anderem für die Duldung von Pushbacks, immer wieder unter starker Kritik steht. Während ECRE deutliche Verstöße gegen EU-Rechte und fehlende Kontrollmechanismen für dieselben sah, war das FRONTEX-Meeting wesentlich informativer als kritisch angesetzt. Die aktuelle Politik der „Festung Europa“ bleibt inhuman und ist den Idealen der EU unwürdig.

Zu den Treffen des zweiten Tages gehörte außerdem ein Besuch im Ausschuss der Regionen (AdR), wo der Direktor für Legislative Arbeiten, Thomas Wobben, die Abgeordneten mit seiner Arbeit vertraut machte. Konkreten Thüringen-Bezug konnte hier unser Abgeordneter Markus Gleichmann ergänzen, der mit Staatssekretär Malte Krückels die Vertretung für Thüringen im AdR darstellte. Von ganz besonderem Interesse war im Verlauf des Tages der Bericht Elisabeth Bauers zu Lobbyregister und Transparenzregeln, da auch für Thüringen entsprechende Überlegungen zur Änderung des „ThürBeteildokG“ aktuell mit zwei Gesetzesentwürfen in der Beratung sind. In der regen Diskussion ging es um die prozessualen, inhaltlichen und strukturellen Herangehensweisen an die Transparanzregeln, wie auch Überlegungen zu freiwilligen und verpflichtenden Lobbyregistern und Erfahrungen mit der konkreten Funktionsweise und Anwendbarkeit. Mit einem Vortag zur EU-Datenschutzverordnung durch Owe Langfeldt von der Generaldirektion Justiz und Verbraucher und dem Umsetzungsstand des „Digital Compass 2030“ durch Stefan Lechler von der Generaldirektion ging der zweite Tag in Brüssel inhaltlich dicht bepackt zu Ende. Unter Einhaltung strenger Sicherheitskontrollen konnte die Delegation aus Thüringen im Europäischen Parlament mit der Vizepräsidentin desselben über die Konferenz zur Zukunft Europas ins Gespräch kommen. Am Europatag 2022 waren den drei EU-Organen, bestehend aus Parlament, Kommission und Rat, der Bericht über das endgültige Ergebnis der Zukunftskonferenz mit 49 Vorschlägen vorgelegt worden, die die Erwartungen der europäischen Bürgerinnen und Bürger zur Zukunft der Europäischen Union beinhaltet. In der Rue de la Loi folgte als letzter Punkt des dichten Programms ein Einblick in die Arbeitsweise des Europäischen Rates, den Ablauf der Sitzungen und Aushandlungstaktiken der verschiedenen politischen Lager.

Die lange Fahrt zurück nach Erfurt gab den Fraktionsmitgliedern Zeit genug, die Flut an Eindrücken und Informationen der drei Tage zu verarbeiten und auf ihren Nutzen für die kommende praktische politische Arbeit im Thüringer Landtag zu prüfen. Dass Thüringen als Region stark von der europäischen Integration profitiert, gleichzeitig aber auch noch viel Potential zur Entwicklung in diesem Bereich hat, ist ein Resümee der auswärtigen Ausschusssitzung. Parlament und Regierung müssen weiter an der engeren Verzahnung und Verbesserung der Beteiligungsprozesse arbeiten.

Pauline Lörzer und Markus Gleichmann

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