Die letzte Seite: Pauline Lörzer liest „Die letzten Männer des Westens" von Tobias Ginsburg.

Pauline Lörzer
Parlamentsreport

Als Kulturwissenschaftlerin lese ich gerne und viel. Dabei stehen reichlich Fachbücher, aber als Ausgleich auch ganz triviale Literatur auf dem Tisch.
Eines der besten Bücher, oder sagen wir, am nachhaltigsten wirkenden Bücher, die ich in den letzten Monaten gelesen habe, war ohne jeden Zweifel „Die letzten Männer des Westens. Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats“ von Tobias Ginsburg. Bereits sein erstes Buch „Die Reise ins Reich: Unter Rechtsextremisten, Reichsbürgern und anderen Verschwörungstheoretikern“ hatte mich schwer beeindruckt. Bei einer OnlineLesung zu Pandemiezeiten, hörte ich Teile aus diesem zweiten Band und Hintergründe zu seiner Recherche. Ich bestellte das Buch noch direkt, während die Veranstaltung lief.
Für beide seiner Bücher drang der Hamburger Schriftsteller und Theaterregisseur undercover tief in die rechte Szene ein. Auf diesem Weg nimmt er den Lesenden mit und taucht ein in eine gleichsam faszinierende wie auch tief verstörende Welt. Je nachdem, wie sehr man sich mit dem Thema der Reichsbürger:innen, Rechtsextremer Gruppen und Netzwerke beschäftigt hat, ist nicht alles neu, was man erfährt und viele Protagonisten sind bekannt – so nah und so intim kommt man aber selten an sie heran.

Die Ich-Perspektive erlaubt es dabei, seinen Beobachtungen und Überlegungen direkt zu folgen. Diese ordnet er dabei geschickt in einen Gesamtkontext ein, hinterfragt seine Schlussfolgerungen dabei aber auch stets kritisch und setzt damit keine „ultimative Meinung“. Besonders bemerkenswert erscheint dabei auch die Offenheit, mit welcher Tobias Ginsburg an das Thema herantritt. Es geht keinesfalls um das generelle Verteufeln des Antifeminismus, sondern um den Versuch, zu verstehen, welche Menschen hinter diesen Haltungen stehen, wie sie dahin gekommen sind und was für Folgen ihre Handlungen haben. Dabei ist der Leser selbst auch mit Beobachter und kann eigene Schlüsse aus den beschriebenen Erlebnissen und Erfahrungen des Autors ziehen.
Wie tief der Hass, aber auch die Netzwerke in den antifeministischen, frauenhassenden Gruppierungen reichen, war für mich in dieser Dimension völlig fremd. Um uns hier hinein zu führen, trifft er selbsternannten Männerrechtler, rechtsradikale Burschenschaftler, faschistische Rapper, Incels, Identitäre und anderen Frauenfeinde, im Netz und in der echten Welt. Seine Wege führen ihn dabei auch in die USA und nach Polen – und zeigen, dass Ländergrenzen für den gemeinsamen Hass der Szenen keine Hürde darstellen.

Tobias Ginsburg liefert hier einen unschätzbaren Einblick in eine Welt, die man an der Oberfläche nur selten in dieser Dimension wahrnimmt – erhellend, erschreckend und traurig. Gleichzeitig liefert er mit seinem Schreibstil und dem Gefühl für Situationskomik auch immer wieder eine ordentliche Prise Humor, die es auch braucht, um das Thema erträglich zu machen.  
„Es wirkt so nett, normal und harmlos. […] Meine Güte, was habe ich denn erwartet? Dass hier eine Bande Nazirocker im Keller lauert? ‚Komm, wir gehen ins Studio‘, sagt Chris und führt mich die Treppe hinab. In den Keller. Wo eine Bande Nazirocker lauert.“
Das Lachen bleibt einem aber auch immer wieder im Halse stecken, angesichts dessen, was Ginsburg bei seinen Recherchen erlebt. Am Ende steht ein tiefer und aufrüttelnder Einblick in die Abgründe der toxischen Männlichkeit in all ihrer Facetten. Wobei es keinesfalls nur Männer sind, die sich in diesen Abgründen herumtreiben.
Ganz praktisch hilft er dabei, bestimmte Gruppierungen, Akteure und Argumentationsstrategien einordnen zu können und so selbst handlungsfähiger zu werden.
Spannend erscheint mir dabei, dass ihm die Rolle des Rechtsextremen, die er für „Die Reise ins Reich“ annahm, für den die oft platten Parolen und Haltungen reichten, wesentlich leichter zu fallen scheint, als die durch tiefen Hass geprägte Rolle des Antifeministen. Nicht ohne Grund muss er sich im Laufe des Buches ein paar Mal neu erfinden, um eine Figur zu finden, mit der er selbst arbeiten kann, ohne sich zu sehr zu ekeln vor dem, was er darstellt. – Auch das sagt viel aus. Eine Führung von Frau Dr. Bergner für die Gruppe der „Liberalen Männer“ in Jena verpasst Ginsburg übrigens leider – es wäre sicher eine interessante Passage geworden.
Am Ende bleibt nur der Hut zu ziehen vor diesem Buch, welches tiefgründige Reportage und unterhaltsamer Roman zugleich ist. Und natürlich ist der Hut zu ziehen vor der Klugheit und auch besonders dem Mut des Autors!

Hier die gesamte Ausgabe zum kostenlosen Download