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Özge İnan, geboren 1997 in Berlin, hat bereits viele Kurznachrichten für Twitter verfasst und längere Texte für Mission Lifeline und den Freitag geschrieben. Ihr Debütroman, „Natürlich kann man hier nicht leben“, ist seit Ende Juli im deutschen Buchhandel erhältlich.Wie findet man anderswo eine neue Heimat, wenn die eigene Regierung einen ablehnt? Hat das eigene politische Engagement tatsächlich Einfluss und verbessert dadurch die Situation in der Heimat?
Der Debütroman erzählt die Geschichte von Nilay, einer Fünfzehnjährigen, die 2013 die Bilder der Gezi-Park-Proteste auf dem Taksim-Platz in Istanbul im Fernsehen sieht und selbst daran teilnehmen möchte. Ihr Bruder versucht, sie davon abzuhalten: „Du hast keine Ahnung, was die Türkei für ein Land ist. Nicht die geringste, winzigste Ahnung. Du kennst nur eine Postkartenversion davon. Eigentlich weißt du nicht mehr als jeder deutsche Tourist.“ Der Roman enthält auch Rückblicke auf Selim, Nilays Vater, der den türkischen Militärputsch von 1980 erlebt hat, als er noch zur Schule ging. Selim engagierte sich immer stärker politisch, bis die Regierung ihn und einen seiner Freunde beim Plakatieren erwischte, sie inhaftierte und die Repressionen der folgenden Jahre die Gruppe immer weiter in die Unsichtbarkeit drängten. Es wird auch von Selims Tätigkeit im Vertrieb verbotener politischer Schriften in einem Buchladen und seiner ungewollten Verliebtheit in die Tochter seines Chefs berichtet. İnan beschreibt eindrucksvoll die Hoffnungen von Nilay und Emre, eine gemeinsame und freie Zukunft in der Türkei zu haben, sowie die endgültige Notwendigkeit, nach Deutschland zu fliehen.
Die Autorin wechselt zwischen den Rückblicken auf die Erfahrungen der Eltern und denen der Tochter, die sich in Deutschland nie richtig zu Hause gefühlt hat und nun in das Herkunftsland ihrer Eltern zurückkehrt. Der Leser erfährt von den prägenden politischen Kämpfen der Eltern, die zwar in Deutschland Zuflucht gefunden haben, aber nie eine neue Heimat.
Die deutsche Schriftstellerin Shida Bazyar, deren Eltern 1987 aufgrund der Folgen der islamischen Revolution aus dem Iran geflohen sind, sagt über İnans Roman: „Özge İnan erzählt von Menschen, die tausend Gründe hätten, keinen Widerstand zu leisten - und die dennoch nicht zu brechen sind. Ein so lebendig erzählter, beeindruckender Roman.“ Wenn man Özge İnan von „X“ (ehemals Twitter) kennt, wird man Parallelen zwischen ihren Diskussionsthemen und dem besprochenen Buch finden. Das tiefe Unverständnis über die Unfähigkeit, wirkungsvoll zu handeln und sich nicht in Kleinigkeiten zu verlieren, zieht sich durch all ihre Texte.
Mit ihrem Buch und der Frage nach der Wirksamkeit ist die Autorin der aktuellen Diskussion einen Schritt voraus. Die Flucht der Ampelregierung vor AfD und CDU nach rechts macht die Debatte heute umso dringlicher. Dies ist notwendig für alle, die von den Verschärfungen und finanziellen Einschnitten in den Bereichen Migration und Soziales betroffen sind. Obwohl die Ampelregierung als eine Fortschrittskoalition gestartet ist, werden hart erkämpfte linke Errungenschaften zunichte gemacht, und progressive Ideen geraten unter die Räder destruktiver Diskursverschiebungen nach rechts, was wenig Hoffnung für die nächsten Jahre macht. In einem YouTube-Interview beschwerte sich İnan kürzlich über „Leute, Parteien und Gruppen, die sich links geben und dann rechte Positionen vertreten“.
Daher hat die DIE LINKE Fraktion im Thüringer Landtag Özge İnan eingeladen, aus ihrem Buch zu lesen und in der anschließenden Diskussion Fragen zur eigenen Wirksamkeit angesichts der aktuellen Herausforderungen zu diskutieren. Gemeinsam mit der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Katja Maurer und der migrationspolitischen Sprecherin Katharina König-Preuss sollen sie darüber sprechen, wie sie sich gegenseitig motivieren können und warum es sich trotz aller Rückschläge immer lohnt.
Lesung mit Özge İnan:
17. November um 18.00 Uhr im
Erfurter Zughafen,
Halle 6, Zum Güterbahnhof 20, 99085 Erfurt
Eintritt ist frei.Neben der Lesung findet eine
Diskussion mit der Abgeordneten Katharina König-Preuß statt.
Moderiert von der Abgeordneten Katja Maurer.
Paul Becker, Stellvertr. Pressesprecher, Mitarbeiter für Öffentlichkeitsarbeit