Chance für progressive Änderung verpasst

Parlamentsreport

Die Vorzeichen der Wahlen in Griechenland waren unter anderem Anlass für die politische Bildungsreise der Fraktionsvorsitzendenkonferenz der Partei DIE LINKE, an der für die Thüringer Landtagsfraktion Anfang Mai die beiden Abgeordneten Lena Saniye Güngör und Katja Mitteldorf teilnahmen.

Ein Bericht von Lena Saniye Güngör und Katja Mitteldorf

Bei den Parlamentswahlen am 21. Mai 2023 hat Griechenland mit 40,8 Prozent Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis gestützt, nach aktuellen Berichten will er mit dem Ziel einer absoluten Mehrheit eine Neuwahl anstreben, statt ein Regierungsbündnis zu verhandeln. Koalitionsregierungen haben in Griechenland, anders als in Deutschland, keine große Tradition. Allerdings ist anzunehmen, dass Mitsotakis auch deshalb auf die Neuwahl setzt, weil eine neue Wahlreform im ersten Wahlgang verhinderte, dass die sonst üblichen automatischen  „Bonusstimmen“ der Wahlsieger-Partei mehr Gewicht im Parlament zur Folge gehabt hätten.
Die Schwesterpartei der DIE LINKE, „Syriza“ um Alexis Tsipras, erreichte nur 20,1 Prozent der Stimmen. Auch die rechtspopulistische „Elliniki Lisi“ (Griechische Lösung) zog mit 4,5 Prozent ein. Die griechische Verfassung sieht ein enges Zeitfenster von nur drei Tagen für eine Koalitionsbildung vor. Kommt diese nicht zustande, wird automatisch neu gewählt. Dann wieder mit dem alten Bonussitz-Wahlsystem.
Die Reise selbst, die drei volle Tage Programm für uns bereithielten, war vor allem auch ein sehr krasser Eindruck der Auswirkungen der Troika-Politik. Der dadurch verursachte wirtschaftliche Abschwung von 25 Prozent ist noch nicht mal ansatzweise aufgefangen, die zahllosen Entlassungen im Gesundheits- und Sozialsektor, im Bildungsbereich, aber auch bei Polizei und Justiz sind noch immer spürbar. In Gesprächen wurde uns berichtet, dass mittlerweile drei Milliardäre - zu denen auch das Umfeld des derzeitigen Ministerpräsidenten gehört - Macht und Einfluss über die Medien, große Wirtschaftszweige und auch Teile der Justiz hätten. Die Mitsotakis-Regierung werde als gut geführtes Familienministerium beschrieben. Dieser Umstand macht es nicht nur in Zeiten eines pluralistischen Wahlkampfes schwer, gesellschaftspolitische Bestrebungen ohne eigene Medienplattform in die griechische Gesamtgesellschaft zu bringen.
Entsprechend wenig herkömmliche Wahlkampfstimmung durch Wahlplakate, Infostände oder Ähnliches im öffentlichen Raum waren für uns erkennbar. Besonders verdeutlicht wurde das Problem der politischen Verstrickungen in Medien, Wirtschaft und Justiz bei einem Gespräch mit der „Initiative Simeio“, die analog zu NSU-Watch die Prozessbegleitung gegen Führungskräfte der Partei „Goldene Morgenröte“ als GoldenDawnWatch initiiert haben. Ohne die sozialen Netzwerke und Unterstützung zur Reichweitenvergrößerung aus dem Ausland hätte es eine solche Transparenz des gesamten Gerichtsprozesses nicht gegeben. Über die allgemeine politische Lage konnten wir uns mit Vertreter:innen unserer Schwesterpartei „Syriza“ sowie dem deutschen Botschafter austauschen. Dieser betonte, dass sich Griechenland bei einem Wirtschaftswachstum von 5,9 Prozent aktuell in einer Erholungsphase befände, mit Blick auf die - gerade auch von Deutschland vorangetriebenen Auteritätspolitik ist die Ausgangsbasis aber auch offensichtlich niedrig.
In Griechenland werden europaweit die viertniedrigsten Löhne gezahlt, ein Umstand der auch Thema bei unserem Austausch mit Gewerkschaftsvertetern von Essenslieferanten war. Besonders eindrücklich war unser Besuch von Kesariani, wo wir wir den Widerstandskämpfenden gedachten, die von der deutschen Wehrmacht hingerichtet wurden. Der Ruf nach noch offenen Reparationen hat auch im Wahlkampf eine Rolle gespielt, bei ihrem letzten offiziellen Griechenlandbesuch hat Außenministerin Baerbock von griechischer Seite sogar ein von der dortigen Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördertes Buch überreicht bekommen. Außerdem haben wir uns über die Grenzpolitik der EU mit der NGO „Melissa“ verständigt, die geflüchtete Frauen unterstützt. Der Missbrauch von Geflüchteten als politischen Spielball wird sowohl mit Blick auf den Ausgang der griechischen Wahl als auch der türkischen Wahl leider sehr aktuell bleiben.

Die Reise nach Griechenland war alles in allem sehr aufschlussreich und konnte ein autentisches Bild der politischen Lage und der Auswirkungen der Politik Troikas vermitteln.

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