Neunter Stock Links. Im Gespräch mit Landtagspräsidentin Birgit Pommer
Birgit Pommer blickt auf eine bemerkenswerte politische Laufbahn zurück, die sie von der Kommunalpolitik bis hin zur Landtagspräsidentin von Thüringen führte. Im exklusiven Interview mit dem parlamentsreport spricht sie über die Herausforderungen und Erfolge ihrer Karriere, die Bedeutung der Kommunalpolitik für den Aufstieg der Linken und die sich wandelnde politische Kultur im Thüringer Landtag. Ein Gespräch über Verantwortung, Engagement und den steten Kampf für mehr Gerechtigkeit.
Ein Blick in Ihre Vita: Erzieherin, Abgeordnete, Landrätin, Ministerin und jetzt Landtagspräsidentin. Wie vergleichbar sind die Aufgaben als Landrätin Ministerin und Landtagspräsidentin?
Die Aufgaben einer Landtagspräsidentin und Landrätin sind sehr verschieden. Mehr Parallelen gibt es zu meiner Tätigkeit als Ministerin. Hier habe ich von meinen Erfahrungen als Landrätin profitiert, möglichst bodenständig zu sein und nah bei den Menschen. Als Landtagspräsidentin sind die Aufgaben anders.
Die Repräsentantin eines Parlamentes muss mit ganz verschiedenen politischen Strömungen und Parteien umgehen können. Was mir am meisten geholfen hat, ist, dass ich immer schon gern mit Menschen gearbeitet habe. Das macht mich von Kindheit an aus.
Ihre soziale Ader als roter Faden?
Ja, ich glaube, dass ich ein Faible dafür habe, auf Menschen zuzugehen, ihnen zuzuhören und sie in dem zu respektieren, was sie persönlich ausmacht. Und das kam mir in meinen Jobs und Ämtern immer zugute.
Also Landtagspräsidentin als Krönung?
Ich würde sie jetzt nicht Krönung nennen, aber als Aufgabe, die ich von meiner persönlichen und politischen Erfahrung her und im Umgang mit Menschen gut ausüben konnte.
Springen wir zurück zur Wende. Wie hat die Partei ihren Grundstein für die späteren Erfolge in Thüringen gelegt?
Es war richtig, dass wir uns sehr früh, 1990, intensiv mit der eigenen Geschichte auseinandergesetzt haben. Ich persönlich war in diesen Prozessen immer sehr stark involviert. Hinzu kommt, dass die PDS im Landtag eine starke Opposition war und dann ab 1994 auch in den Kommunalparlamenten immer bedeutender wurde.
Die Linke als „Kümmerer“ und „Ankommenshelfer“?
Genauso haben wir das gelebt. Wir waren für viele Menschen da, die auf uns zugegangen sind, die Hilfe gesucht haben und die natürlich auch Fragen zur Entwicklung der Gesellschaft hatten. Da kommt auch Bodo Ramelow ins Spiel, der von Anfang an, als die Kali-Kumpel streikten, da war.
Der Zuspruch von Die Linke stieg bis 2009 kontinuierlich, sodass wir mit den positiven Wahlergebnissen dann die erste Regierung mit linker Regierungsbeteiligung hätten haben können.
War die Arbeit in den Kommunen ein Schlüssel?
Die Linke wurde in den Städten und Gemeinden zu einem kompetenten Ansprechpartner für all die Menschen, die sich in Thüringen nicht mitgenommen fühlten. Als Kreistagsabgeordnete, als Mitglied und Stadtverordnete, Stadträtin und natürlich auch als Präsidiumsmitglied des Kreisverbandes, das ich fast ununterbrochen war, hatte ich viele Kontakte zu den Menschen. Noch heute empfinde ich das als überaus bereichernd.
Unser Zuspruch in den Kommunen wurde immer größer. Bei den Kommunalwahlen 2012 errangen wir viele Ämter: mehrere ehren- und hauptamtliche Bürgermeister, Landräte und starke Fraktionen in den kommunalen Parlamenten. 2014 wurden wir zu den Landtagswahlen zweitstärkste Fraktion im Landtag und übernahmen die Regierungsgeschäfte. Bei der nächsten Wahl stellte Die Linke die stärkste Fraktion im Landtag.
Auch eine Bestätigung der eigenen Arbeit?
2019 habe ich als einzige Linke das Direktmandat im ländlichen Raum erworben. Das habe ich auch als Bestätigung meiner Arbeit als Ministerin für Infrastruktur und Landwirtschaft empfunden. Hier ist es uns gelungen, den ländlichen Raum wesentlich zu stärken.
Und trotzdem reichte es nicht für eine Mehrheitsregierung. Wie kam das?
Natürlich hätte ich mir gewünscht, Rot-Rot-Grün mit einem starken Ergebnis fortzusetzen. Doch die Bilanz der Minderheitsregierung zeigt, dass sie abgeliefert hat. 146 verabschiedete Gesetze zeugen davon. Dennoch wünsche ich mir progressive Mehrheitsregierungen, die von breiten Wählerschaften getragen werden. Und ich wünsche mir, dass nach dem 1. September wieder eine Mehrheitsregierung hier in Thüringen regiert.
Ein Sprung zu den Abgeordneten und zum Klima hier im Landtag. Wie nehmen Sie beides wahr?
Als ich 2009 Landtagsabgeordnete wurde, hatte ich unglaublichen Respekt vor der Arbeit im Parlament. Ich hatte auch meine Sorge, ob ich dem persönlich überhaupt gewachsen bin. So habe ich mich mit großem Pflichtbewusstsein und sehr viel Respekt den Aufgaben gewidmet.
In der Legislatur ab 2009 gab es noch einen Umgang miteinander, der von politischer Verantwortung und Respekt gekennzeichnet war.
Und jetzt?
In der letzten Legislatur von 2019 bis 2024 hat sich der Umgang der Abgeordneten miteinander verändert. Nicht selten hat der Respekt gelitten. Ich habe in den fünf Jahren versucht, dem immer wieder entgegenzuwirken. Außerhalb des Parlaments erleben wir diese Stimmung sogar noch dramatischer. Dass inzwischen Menschen die politische Verantwortung übernehmen, tätlich angegriffen werden, ist unerträglich und eine Entwicklung, die mir Sorge bereitet.
Und die Debattenkultur?
So wie sich in den vergangenen Jahren das Miteinander in der Gesellschaft entwickelt, ändert es sich auch im Parlament. Denn das Parlament ist das Spiegelbild der Gesellschaft. Allerdings hat der Landtag eine besondere Verantwortung. Die Menschen achten sehr genau darauf, wie respektvoll wir Politikerinnen und Politiker miteinander umgehen und wie sachlich wir streiten. So ist die Aufgabe einer Parlamentssitzung, in respektvollen Debatten Argumente auszutauschen, um dann zur besten Lösung für das Land Thüringen zu finden. Das dürfen die Menschen von uns erwarten. Leider ist der respektvolle Umgang nicht immer gelungen.
Ist es vor diesem Hintergrund für Frauen in der Politik noch einmal schwerer?
Ja, definitiv. Mir selbst ist das besonders 1994 bewusst geworden, als ich in den Kreistag gewählt wurde, dem ich ab 1996 als Präsidentin vorstand. Ich spürte, als Frau musste ich mich hier immer mehr beweisen als Männer. Und ich wurde sehr genau beobachtet – als Frau und als Linke.
Wie haben Sie das gemeistert?
Meine Mutter war immer berufstätig und hat währenddessen sechs Kinder großgezogen. Ich habe immer unter vielen Geschwistern gelebt und das hat geholfen, eine sehr selbstbewusste Persönlichkeit zu entwickeln.
Wie haben Sie Ihre Rollen miteinander verbunden?
Als Mutter von zwei Kindern, Politikerin und Unternehmerin konnte ich mich über zu wenige Aufgaben nicht beklagen. Mehr als einmal wurde ich gefragt: Wie willst du das schaffen?
Von den Genossinnen und Genossen?
Nein, bei den Linken war man eher beeindruckt, wie ich das alles zusammenbrachte. Diese Rückendeckung hat mich gestärkt.
Welchen Einfluss hat das Erstarken rechter Parteien auf die Gleichberechtigung?
Der Blick in die Mandatslisten zeigt, wie Frauen immer weniger repräsentiert sind. Im Thüringer Landtag waren in der vorigen Legislatur fast die Hälfte weibliche Abgeordnete. Jetzt sind wir nur noch ein Drittel. Ich bin wenig optimistisch, dass sich dieser Trend in der neuen Legislatur umkehrt.
Was möchten Sie Ihrer Nachfolgerin oder Ihrem Nachfolger mit auf den Weg geben?
Man darf nicht unterschätzen, dass die Menschen auf das Parlament schauen und genau beobachten, wie Entscheidungen getroffen werden. Ich halte es für wichtig, dass sich das künftige Parlament der Verantwortung für das gesamte Land Thüringen mit seinen Menschen bewusst ist.
Konkret an Ihre Nachfolger?
In den letzten fünf Jahren habe ich versucht, gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen dieses Haus für die Bevölkerung zu öffnen. So ist uns ein Besucherrekord gelungen. Über 24.000 Menschen kamen zu Veranstaltungen, Ausstellungen und Führungen. Daher lautet meine Bitte an meine Nachfolgerin beziehungsweise Nachfolger: Sorgen Sie dafür, dass der Thüringer Landtag weiter ein Ort der Begegnung und ein offenes Haus für die Menschen bleibt, damit einander zugewandt diskutiert wird.
Wie geht es jetzt persönlich weiter?
Voriges Jahr hat mich der Landesparteitag zur stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt. Dieses Amt ist auf zwei Jahre angelegt und so lang will ich es auch ausüben. Zudem bin ich in vielen ehrenamtlichen Ämtern in meinem Heimatlandkreis aktiv – beispielsweise im Förderverein des Parks Hohenrode, im Förderverein des Theaters Nordhausen und bei Horizont e.V. Für die Linke will ich mich auch im Kreisverband weiter engagieren.
Und privat?
Ich freue mich, wieder mehr Zeit für meine Familie und meine Freunde zu haben. Vor zwei Jahren habe ich geheiratet und mein Mann und ich haben viele gemeinsame Interessen. Mein Tag wird also gut ausgefüllt sein.
Vielen Dank für dieses Gespräch.