Interview: „Wir wollen das demokratische Präsidium verteidigen“

Landtagsvizepräsidentin Lena Saniye Güngör im Gespräch

 

Die ersten Wochen Landtagsvizepräsidentin liegen hinter dir, wie fühlt sich das an?
Lena Saniye Güngör: Es ist aufregend, denn mit der neuen Rolle kommen auch viele neue Aufgaben. Zur Sitzungsleitung haben wir uns im Präsidium auf Weiterbildungen verständigt, damit im Plenum für Alle die gleichen Regeln gelten und wir in der Lage sind, die Geschäftsordnung auszulegen, auch dort wo es schwierig ist. Ich treffe mich auch bald mit dem Personalrat des Landtags und bin auf die Perspektive der hier beschäftigten sehr gespannt.

Neben dem Landtagspräsidenten Dr. König bist du eine der drei Vize-Präsidentinnen, Wiebke Muhsal (AfD) ist durchgefallen. Ein Verstoß gegen die „Hausregeln“?
Lena Saniye Güngör: Nein. Denn diese „Regeln“ haben sich zu einer Zeit herausgebildet, wo eben keine erwiesen rechtsextremistische Partei im Thüringer Landtag saß. Die einzige Regel ist, dass jede Fraktion das Recht hat jemanden vorzuschlagen, nicht das Recht das der eigene Vorschlag sicher gewählt wird. Die Kandidatur von Wiebke Muhsal, die wegen Betrugs rechtskräftig verurteilt worden ist, war eine Provokation, genauso wie die Kandidatur von Jörg Prophet jetzt. Ich bin froh einer Fraktion im Thüringer Landtag anzugehören, die solche AfD-Kandidat:innen nicht wählt, weil sie für dieses Amt nicht geeignet sind und damit das demokratische Präsidium verteidigt.

Du hast dein Büro jetzt im Hochhaus des Thüringer Landtags (im Volksmund Eierkiste genannt). Was hast du mitgenommen?
Lena Saniye Güngör (lacht): Das wichtigste bei mir sind die Aufladekabel für alle elektronischen Geräte, da ich versuche ausschließlich digital zu arbeiten. Und mit Blick auf unser Kind definitiv Feuchttücher.

Was hast du dir für die nächsten Jahre vorgenommen?
Lena Saniye Güngör: Mit Blick auf die Sitzverteilung des Thüringer Landtags glaube ich das Sitzungsleitung noch anspruchsvoller sein wird und das Ziel für mich ist, dass wirklich für alle die gleichen Regeln gelten, im Parlamentsbetrieb und insbesondere im Plenum. Darüber hinaus möchte ich auch immer wieder inhaltliche Akzente setzen.

Frauen sind unter den Abgeordneten stark unterrepräsentiert, woran liegt das?
Lena Saniye Güngör: Das hat vielfältige Gründe: von den üblichen patriarchalen Männerbünden, die in allen Parteien vorherrschen sind, bis hin zu den Sitzungszeiten nachmittags und abends, die mit Kindern oder auch der Pflege von Angehörigen und Nachbarn schwer zu vereinbaren sind. Eigentlich ein Problem für beide Geschlechter, aber solange die Papas nach der Geburt wieder Vollzeit arbeiten gehen, schließt es faktisch Frauen aus.

Was ist dein Rat an die Männer?
Lena Saniye Güngör: Ich kann allen Männern und Vätern nur raten, sich für Gleichberechtigung, insbesondere auch am Arbeitsplatz einzusetzen und das bedeutet eben auch die Hälfte der Care-Arbeit zu übernehmen und die Kinderkranktage nicht nur der Frau zu überlassen. Und eben nicht nur zu sagen, ich würde gerne, es ist aber so schwierig umzusetzen.

Was muss sich in dieser Legislatur ändern, damit der 9. Landtag einen höheren Frauenanteil hat?
Lena Saniye Güngör: Wir als Linke streiten für eine paritätische (gleiche) Besetzung. Nicht nur von Listen, sondern auch von Direktmandaten. Denn aktuell ist es ja so, dass die konservativen und rechten Parteien ein massives Männerübergewicht mitbringen. Gleichzeitig setzten wir uns für die Novellierung des Thüringer Abgeordnetengesetztes und die Möglichkeit der digitalen Sitzungsteilnahme ein. Was nicht nur hinsichtlich der Gleichberechtigung wichtig ist, sondern auch z. B. bei Krankheitsfällen zu einer Erhöhung der Beteiligung führen soll und damit auch die Möglichkeit bietet, aus den Pandemiejahren strukturell etwas zu lernen.

Abschließend zur letzten Frage: Wie helfen repräsentative Ämter der linken Idee, hier zu Veränderungen und Verbesserungen für Frauen zu kommen?
Lena Saniye Güngör: Nichts einzig als solche, jedoch abhängig von der individuellen Ausgestaltung. Wir haben mit unserer ehemaligen Landtagspräsidentin Birgit Pommer eine Kollegin gehabt, die sehr gut in der Lage war, auch repräsentativ linke Akzente zu setzen. Deshalb hoffe ich, für unsere Fraktion und Partei eine hilfreiche Rolle einnehmen zu können, gleichwohl das Amt der Vizepräsidentin geringere Möglichkeiten bietet.

 

Wir danken für das Gespräch!
Das Interview führte Paul Becker.