Die letzte Seite: Bodo Ramelow liest „Schattenmächte: Operation OMGUS“ von Michael Menzel.
Neben ihren sozialen, gesundheitlichen und politischen Folgen hat die Corona-Pandemie sich nicht zuletzt zum Brandbeschleuniger für das Milieu von Verschwörungsgläubigen entwickelt. Egal, ob vermeintlich verseuchte Impfstoffe, geheime Pläne von so genannten „Welteliten“ oder auch hart antisemitische Verschwörungsideologien – man hört und sieht die Ergebnisse dieser unheilvollen Phänomene allerorten und nicht zuletzt häufig bei den so genannten „Montagsspaziergängen“. Gemein ist all diesen sehr unterkomplexen und hoch gefährlichen Welterklärungsversuchen die Vermutung ihrer Anhänger, hinter allen Übeln der (post-)modernen Welt steckten Schattenmächte ganz unterschiedlicher Art. Vor dem Hintergrund dieser Alltagserlebnisse habe ich mir einige Tage Zeit genommen, um eines der neuesten Bücher aus dem THK-Verlag, „Schattenmächte. Operation OMGUS“ von dem mir gut bekannten Rechtsanwalt Michael Menzel, zu lesen. Und ich gebe zu: zunächst war ich skeptisch, ob es einem Juristen, dessen Sprache ja in der Regel eine sehr komplexe, formalistische und nicht selten schwer verständliche ist, gelingen könnte, einen packenden Kriminalroman zu schreiben. Bereits die ersten Seiten sollten mich jedoch eines Besseren belehren.
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„Menzel gelingt es, ein schauerliches Panorama deutscher Geheimdienste zu entfalten. Eng miteinander verflochtene Handlungsstränge lassen zu keiner Sekunde Langeweile aufkommen.“
Die Ermittler Enders und Bruch stürzen sich in ein Abenteuer, das harmlos beginnt, aber sich von Seite zu Seite immer deutlicher als Spiel mit dem Tod darstellt. Der Spannungsbogen trägt bis zum Ende des Buches und nicht selten war ich versucht, mich zu fragen, wie weit hier Dichtung und Wahrheit miteinander vermischt wurden bzw. ob eine Trennung von beidem dem Leser hier überhaupt noch möglich ist. Mich erinnerte das Buch stark an Wolfgang Schorlaus „Die schützende Hand“, in dem er seinen Ermittler Dengler die Geschichte des NSU in Romanform aufklären lässt. Ich hatte seinerzeit enger mit Wolfgang Schorlau zusammengearbeitet, Material beigesteuert und das Werk schließlich gemeinsam mit ihm im Deutschen Nationaltheater in Weimar vorgestellt. Ähnlich wie Schorlau gelingt es Menzel, seine Ermittler in einer Mischung aus Fakt und Fiktion vor dem Leser ein schauerliches Panorama deutscher Geheimdienste entfalten zu lassen. Einander durchdringende und eng miteinander verflochtene Handlungsstränge lassen zu keiner Sekunde Langeweile aufkommen. Dabei gelingt es Menzel, handelnde Akteure zu betrachten und Wechselwirkungen über die Dialoge seiner Romanfiguren verstehbar darzustellen, auch wenn an der einen oder anderen Stelle der Eindruck der Übertreibung entstehen mag.
Wer das Thema weiter vertiefen möchte, dem seien die beiden Texte von Wolfgang Wenz zum OMGUS-Projekt aus den German Studies von 1979 sowie das 2012 erschienene Buch des Historiker Josef Foschepoth, „Überwachtes Deutschland“, in dem viele der von Michael Menzel verwendeten Hinweise wissenschaftlich belegt sind, sehr anempfohlen. Außerdem hat bereits das 1987 zum ersten Mal erschienene Buch von Ingo Müller, „Furchtbare Juristen - die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz“, schon früh Hinweise auf die Webfehler der rechtsstaatlichen Entwicklung nach 1945 hingewiesen und sie deutlich benannt. Mögen die Handlungsstränge in „Schattenmächte“ auch erfunden sein, so ist der Stoff der Handlung doch Realität. Dies kann man schnell feststellen, wenn man Begriffe wie „stay behind“ googelt und sich nur auf die Fakten einlässt und einen Bogen um die gängigen Geschichten von Verschwörungsgläubigen macht. Dass es diese Schattenarmee gegeben hat, bestreitet niemand. Der Anschlag von Bologna am 2. August 1980 mag hier als wahrscheinlich schlimmstes Beispiel genügen. Reflexartig wurde dieses Attentat Linksterroristen zugeschrieben. Erst nach und nach stellte sich heraus, dass die Schattenmächte sehr greifbar waren und die Spuren der Tat bis in den Militärgeheimdienst hineinführten.
Die Bundesregierung hat auf Nachfragen aus der Fraktion der LINKEN erklärt, dass die Organisation „stay behind“ aufgelöst sei. Prüfen und damit verifizieren lässt sich diese Aussage – wie so Vieles, was regierungsamtlich im Kontext von Geheimdiensten verlautbart wird – nicht. Das Attentat von Bologna, aber auch und vor allem meine eigene Beschäftigung mit den rassistischen Morden des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU), lassen für mich nach wie vor den zentralen Schluss zu, dass hinter vielen dieser Ereignisse so etwas wie eine „ordnende Hand“ sichtbar wird.
Der rechtsterroristische Anschlag auf das Münchener Oktoberfest vom 26.09.1980, überraschenderweise nur wenig mehr als einen Monat nach dem Terroranschlag in Bologna, und die Netzwerke, die sich in diesem Zusammenhang über Rechtsextremisten wie „Wehrsportgruppen“-(Karl-Heinz)-Hoffmann bis ins thüringische Kahla verfolgen lassen und letztlich gar bis ins Umfeld der späteren NSU-Täter Böhnhardt und Mundlos reichen, böten noch viel mehr Stoff für Texte wie den von Michael Menzel, die auf den ersten Blick fantastisch erscheinen, bei genauerem Hinsehen aber bestürzend nach an unserer Wirklichkeit andocken können.
Einer Spur bin ich einmal nach Luxemburg gefolgt. Im so genannten „Bombenleger“-Prozess von Luxemburg hatte ich Gelegenheit, mich mit sachkundigen Personen auszutauschen, die mir unter anderem Einblick in die Gerichtsakten gewährten. Es hat mir einen Schauer über den Rücken gejagt, zu lesen, dass einer der deutschen Zeugen sehr glaubhaft versicherte, dass sein Vater als BND-Agent bei der Bundeswehr eingesetzt und für „stay behind“-Operationen zuständig gewesen sein soll. Weitere Recherchen legten schließlich nahe, dass der genannte Bundeswehr-Angehörige der Anwerber des Oktoberfest-Attentäters gewesen sein könnte. Die Nachfragen der Bundestagsfraktion DIE LINKE an die Bundesregierung erbrachten nur, dass die nämliche Person zwar in der Bundeswehr existierte, dass aber aus Datenschutz-Gründen keine weiteren Informationen vorlägen bzw. zugänglich gemacht werden könnten. Eine Verbindung zum BND sei daher nicht erkennbar. Ausschließen könne man allerdings auch nichts und deshalb war es spannend zu hören, dass die so genannte „Bombenleger“-Affäre in Luxemburg die Zeit zwischen 1984 und 1986 umfasst.
Hier sollen Übungen stattgefunden haben, bei denen auch amerikanische Truppen, die in Deutschland stationiert waren, gemeinsam mit der luxemburgischen Sicherheitspolizei Bombenanschläge auf Strommasten geprobt hätten – Anschläge, die später dann tatsächlich auch stattfanden. Das verbindende Glied, um hier Klarheit zu schaffen, fehlt allerdings – ähnlich wie bei den Morden des NSU. In den Untersuchungsausschüssen war immer wieder zu erleben, wie an den entscheidenden Stellen ein Puzzleteil fehlte – so als habe es eine „ordnende Hand“ absichtlich versteckt. Das Buch von Michael Menzel, „Schattenmächte – Operation Omgus“, führt ein in dieses Halbdunkel der Geheimdienste, in dem der Grat zwischen Wahrheit, Lüge und Verschwörungsfantasien ein äußerst schmaler ist.
Ich habe die Stunden des Lesens genossen und anschließend angefangen, vieles zu recherchieren. Vielleicht wäre das eine Anregung für den Autor und den Verlag, den einen oder anderen Hinweis im Anhang gesondert aufzuführen. Menzels verdienstvolles Buch ist ein Lektüregenuss.
„Schattenmächte: Operation Omgus“, Michael Menzel.
Erschienen im THK-Verlag
ISBN: 9783945068489
280 Seiten